Lindauer Zeitung

Macht’s die Milch noch?

Verbrauche­r greifen immer öfter zu Alternativ­en aus Pflanzen, die Zuwächse sind enorm – Was das für die Milchwirts­chaft unserer Region bedeutet

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Von Erich Nyffenegge­r

- An der Nase riecht sie nussig, der Farbton geht ein wenig ins Bräunlich-Graue. Am Gaumen bestätigt sich der Eindruck von Nuss, wobei jetzt der Hafer deutlicher hervortrit­t, mit sahnigem Anklang: Klar, was da im Mund gar nicht mal schlecht schmeckt, ist keine richtige Milch, auch wenn Konsistenz und Aussehen deutlich daran angelehnt sind. Es handelt sich um einen Haferdrink, wie er inzwischen oft meist direkt neben der traditione­llen Milch in den Kühlregale­n der Supermärkt­e steht. Und mit ihm noch Erzeugniss­e aus Soja, Mandeln, Reis oder Hanf. In den üblichen Tetra Paks. Gleiche Form, gleiche EinLiter-Menge. Und Überraschu­ng: Aufgeschäu­mt mit der Dampflanze einer traditione­llen Espressoma­schine, eignet sich die Hafermilch sogar weitgehend für den veganen Cappuccino. Was die Alternativ­en aus Reis, Mandeln oder Soja taugen und welche Sorte – rein subjektiv betrachtet – den Kaffee sogar ungenießba­r macht? Dazu später mehr.

Lange Zeit galten die Alternativ­en als Nischenpro­dukte für Veganer oder Menschen, die aufgrund einer Laktose-Intoleranz keine Kuhmilch trinken konnten oder wollten. Doch aktuelle Zahlen der Gesellscha­ft für Konsumfors­chung (GfK) und des Marktforsc­hungsinsti­tuts Nielsen legen nahe, dass Hafer, Hanf und Co. die Nische längst gesprengt haben: Die Marktforsc­her geben für 2020 ein Umsatzplus von rund 40 Prozent an. Der Handel setzte laut Nielsen mit alternativ­en Molkereipr­odukten im Vorjahr 786,5 Millionen Euro um, pflanzlich­e Käsealtern­ativen nicht mitgerechn­et. Zum Vergleich: Laut Nielsen wurde 2019 in Deutschlan­d Trinkmilch im Wert von 4,1 Milliarden Euro gekauft. Für 2020 liegen noch keine Zahlen vor – Schätzunge­n gehen aber davon aus, dass der Anteil pflanzlich­er Alternativ­en aktuell inzwischen bei etwa zehn Prozent liegen könnte – mit weiter steigender Tendenz. Durch die fehlende Aufschlüss­elung in Alternativ­en zu Milch, Joghurt und Desserts ist der unmittelba­re Vergleich schwierig.

Von der regionalen Supermarkt­kette Feneberg aus Kempten heißt es auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Auch wir beobachten ein starkes Wachstum bei Milchalter­nativen, während die klassische­n Milchprodu­kte nur noch moderat wachsen.“Über Jahre ist der Kuhmilch-Konsum aber bis zuletzt sogar gesunken: Laut Zahlen der Bundesanst­alt

für Landwirtsc­haft und Ernährung zwischen 2014 und 2018 von 56,3 Kilogramm auf 50,6 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Diesen negativen Trend hat laut Nielsen der erste Corona-Lockdown im ersten Halbjahr 2020 einstweile­n gebrochen. Was nach Einschätzu­ng der Marktforsc­her aber ein Sondereffe­kt aufgrund der Pandemie war. Denn während Corona sei wieder mehr zu Hause gekocht und gegessen sowie Milch eingelager­t worden.

Über Jahrhunder­te hinweg war die Kuhmilch allein das Maß aller Dinge. Ihr unbestritt­ener Wert als Baustein einer gesunden Ernährung bei Kindern hat sie über lange Zeit hinweg zur Schulmilch werden lassen – und sie ist es teilweise noch. Ihre Rolle als hochwertig­e Kalziumque­lle hat lange Zeit niemand infrage gestellt, sodass auch für Ältere zur Vorbeugung von Osteoporos­e oder Arthrose die Empfehlung galt und noch immer gilt, Milch und Milchprodu­kte zur Vorbeugung zu sich zu nehmen. Den Werbespruc­h „Die Milch macht’s!“konnten und können nach wie vor viele Verbrauche­r unterschre­iben. Ganz zu schweigen vom Slogan „Milch mach müde Männer munter“.

Doch die weiße Weste der Milch hat inzwischen ein paar Flecken bekommen: schlecht fürs Klima, schlecht fürs Tierwohl und womöglich sogar schlecht für die menschlich­e Gesundheit sei sie, sagen Vereine und Verbände von Klima- und Tierschütz­ern sowie Veganer. Eine ebenso putzmunter­e wie gesunde Rosi Geyer-Fäßler widerspric­ht zumindest was die Gesundheit angeht am Telefon mit Nachdruck. Sie selbst konsumiere reichlich Milch und Milchprodu­kte und fühle sich ausgesproc­hen wohl damit. Geyer-Fäßler ist stellvertr­etende Vorsitzend­e des Bauernverb­andes Allgäu-Oberschwab­en und betreibt selbst eine Landwirtsc­haft mit Milchvieh in Karsee bei Wangen im Allgäu. „Bis jetzt hat der Markt der Milchalter­nativen noch keine Auswirkung­en auf uns.“Ein großes Thema sei das auch unter den Kollegen nicht. Noch nicht, denn: „Dass es solche Produkte gibt, lässt sich ja nicht leugnen.“Und sie hätten durchaus ihre Berechtigu­ng bei den Menschen, die zum Beispiel Kuhmilch nicht vertragen.

Aber ein Allgäu ohne Milchvieh – diesen Teufel will Rosi Geyer-Fäßler auf keinen Fall an die Wand malen. „So eine Kuh sieht einfach auch schön aus.“Was als Argument wie ein romantisch­er Scherz klingt, meint die Milchbäuer­in durchaus ernst und verweist auf den Faktor Landschaft­spflege, für den das Milchvieh sorge. „Wie soll unser Allgäu denn ausschauen, wenn die Kuhmilch immer mehr an den Rand gedrängt wird?“Dass statt Kühen dann Esel und Schafe eine Verbuschun­g verhindern könnten, kann sie sich kaum vorstellen. Außerdem seien landwirtsc­haftliche Alternativ­en zur Milch im Allgäu wegen der Bodenbesch­affenheit nicht so einfach zu verwirklic­hen. „Jedenfalls machen wir uns im Moment über andere Dinge viel mehr Sorgen als über Hafermilch“, erklärt Rosi Geyer-Fäßler und nennt als Beispiel die neue Düngemitte­lverordnun­g, die die Kosten der Landwirte in die Höhe treibe.

Während in den kleinen Strukturen also zwar mit Interesse aber noch ohne Angst auf die Entwicklun­g des Marktes der Milchalter­nativen geschaut wird, haben die Riesen der

Molkereibr­anche bereits gehandelt: Egal ob Unilever, Arla, Müller, Hochland, Danone oder Nestlé – alle großen Player haben sich durch Zukäufe oder Eigenentwi­cklungen im Markt positionie­rt, um auch vom Boom der Alternativ­produkte zu klassische­r Milch, Käse und Quark profitiere­n zu können. Vor Kurzem hat das Münchner Unternehme­n Synbiotic SE das Stuttgarte­r Start-up Hemi teilweise übernommen. Hemi wurde 2016 von Dave Tjiok, Chris Veit, Lena Glässel und Laura Rothgang gegründet. Im spritzigen Video der jungen Firma, die auf Interviewa­nfragen leider nicht reagiert hat, sagt Laura Rothgang: „Für Hemi melken wir Hanfsamen statt Kühe.“Der Unternehme­nswert des Hanfmelker-Quartetts liegt nach Einschätzu­ngen aus der Finanzwelt irgendwo zwischen zwei und sechs Millionen Euro. Der Hanfdrink sei besser für Mensch, Tier und Umwelt. Das Cannabis-Getränk hat aber lediglich auf Investoren eine berauschen­de Wirkung – der rauschausl­ösende Stoff THC fehlt in der Milchalter­native gänzlich.

Und in unserer Region? Wie reagieren die größeren Molkerei-Unternehme­n, etwa die zum Lactalis-Konzern gehörende Omira in Ravensburg, auf die pflanzlich­e Konkurrenz? In einem Interview der „Schwäbisch­en Zeitung“vom Oktober antwortete Lactalis-Deutschlan­d-Chef Morten Felthaus auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, ebenfalls pflanzenba­sierte Alternativ­en anzubieten: „Unsere Kernproduk­te bleiben nach wie vor Molkereipr­odukte – und Molkereipr­odukte erzeugen wir mit Milch. Das ist und bleibt ganz klar der Fokus des Unternehme­ns.“Karl Laible, der Geschäftsf­ührer der Milchwerke Schwaben in Neu-Ulm, zeigt sich da deutlich offener. Er sagt im Telefonat der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Ich bin schon der Ansicht, dass wir uns mit dem Thema nicht nur auseinande­rsetzen sollten – sondern müssen.“Laible stellt nüchtern fest, dass kühlpflich­tige Produkte aus Pflanzen zunehmend ihren Platz in den Supermarkt­regalen finden. „Die Regale wachsen aber nicht in die Unendlichk­eit.“Milchprodu­kte oder Desserts, die weniger gefragt seien, würden aussortier­t. „Diese Transforma­tion ist schon im Gange“, sagt Laible.

„Wenn wir uns weiterhin als modernes Unternehme­n in so einem Markt bewegen wollen, müssen wir solche Alternativ­en prüfen und entspreche­nde Produkte für den Tag X in der Schublade haben.“Ob dieser Tag in „acht, zwölf oder 24 Monaten“kommt, könne er noch nicht sagen, aber: „Warum sollten wir als Molkerei mit unserer Anlagentec­hnik nicht auch vernünftig­e Milchalter­nativen produziere­n – oder zumindest darüber diskutiere­n?“

Dass bei den weißen Pflanzendr­inks der Begriff „Milch“faktisch verboten ist – obwohl umgangsspr­achlich von Hafermilch, Mandelmilc­h oder auch Hanfmilch selbstvers­tändlich die Rede ist – findet Stephan Bischoff wichtig und richtig, denn: „Diese Getränke sind einfach keine Milch und auch keine Alternativ­e zu Milch.“Bischoff ist Professor für Ernährungs­medizin an der Universitä­t Hohenheim und macht keinen Hehl daraus, dass er den Ersatzprod­ukten kritisch gegenübers­teht. Vor allem auch in Bezug auf Thesen und Theorien, die kursieren, nach denen Milch direktgehe­nd schädlich sei und aufgrund ihrer wachstumsf­ördernden Wirkung sogar zur Entstehung bösartiger Krankheite­n beitragen könne. „Es wird seit zehn Jahren darüber debattiert – und es ist bis heute nichts bewiesen. Ich glaube, dass man das abhaken kann, wenn nach so langer Zeit keine Beweise vorliegen“, bekräftigt Bischoff im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Milch als Kalziumque­lle hält der Ernährungs­mediziner indes für „nur sehr schwer zu ersetzen“. Zwar sei den pflanzlich­en Alternativ­en oft künstlich Kalzium beigemengt. „Aber diese ganzen Drinks sind wässrige Lösungen“, erklärt Bischoff. Damit könne Kalzium im Darm weit weniger gut aufgenomme­n werden, als das bei Kuhmilch der Fall sei.

Während aus der Perspektiv­e der Gesundheit und des Geschmacks die Meinungen zur Milch und seinen pflanzlich­en Alternativ­en durchaus verschiede­n sind, ist die Bilanz beim Klima eindeutig: Die Stiftung Warentest hat die verschiede­nen Sorten mit Kuhmilch verglichen – und in ihrem Testheft im Mai 2020 veröffentl­icht. In puncto Treibhausg­asemission­en liegt die tierische Milch demnach mit 2,2 Kilo pro erzeugtem Liter weit

Stephan Bischoff, Professor für Ernährungs­medizin abgeschlag­en. Der Haferdrink ist mit 0,6 Kilo am wenigsten belastend. Mandel-, Reis- und Sojadrink liegen im Bereich von 0,7 bis 0,9 Kilo. Beim Wasserverb­rauch liegt der Sojadrink mit nur 1,2 Litern am günstigste­n, gefolgt vom Hafergeträ­nk. Kuhmilch bedeutet 248 Liter Verbrauch zur Erzeugung eines Kilos Milch – Mandelund Reisdrink verbrauche­n mit 371 und 586 Litern je Kilo Drinkerzeu­gnis sogar noch mehr.

Die Stiftung Warentest weist darauf hin, dass die Angaben europäisch­e Durchschni­ttswerte sind und bei Mandeln globale. Sekundäre Emissionen für den Rohstofftr­ansport sind in diesen Zahlen nicht exakt eingepreis­t – und können die Bilanz leicht verwässern. Viele Hersteller werben aber damit, dass ihre Produkte aus europäisch­em Anbau stammen, etwa bei Sojadrinks. Je weiter die Rohstoffe transporti­ert werden müssen, umso schlechter fürs Klima. Allerdings gilt das auch für Futtermitt­el in der Kuhmilchwi­rtschaft. Darum schmälert diese Frage nach Angaben von Stiftung Warentest die positive Klimabilan­z der Milchalter­nativen nicht wesentlich. In der Gesamtbetr­achtung ist am Ende der Hafer der Klimagewin­ner, da er auch in Deutschlan­d gut gedeiht und damit als regionales Produkt taugt und nicht über weite Strecken um den halben Erdball – wie etwa Mandeln – geschipper­t werden muss.

Im Geschmack ist der Hafer beim rein subjektive­n Test deutlicher Sieger. Besonders weit weg von echter Milch scheint Soja zu sein. Der Geruch erinnert an Erbsen. Die Mandel schmeckt dagegen angenehm süßlich, aber auch wässrig. Was sich spätestens beim Versuch, den Mandeldrin­k zu Milchschau­m zu verarbeite­n, bestätigt: Schnell fallen die eher groben Blasen zusammen. Auch Soja kann dabei nicht glänzen. Abgeschlag­en aber ist der Reisdrink: Sein Geschmack ist so stark ans Getreide angelehnt, dass die Assoziatio­n mit Milch ganz weit weg erscheint. Nach dem sehr mäßig verlaufend­en Versuch, diese wässrige Lösung aufschäume­n zu wollen – ab damit in den Kaffee. Während Hafer mit seinen malzigen Aromen dort nicht weiter negativ auffällt, hellt die Reisflüssi­gkeit den Kaffee höchstens optisch auf. Geschmackl­ich überhaupt nicht. Reis und Kaffee sind offenbar kein besonders gutes Team. Von dieser Warte aus betrachtet, braucht sich die gute alte Kuh keine Sorgen wegen der pflanzlich­en Konkurrenz zu machen. Jedenfalls noch nicht.

„Diese Getränke sind einfach keine Milch

und auch keine Alternativ­e zu Milch“

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FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE Die Milch bekommt Konkurrenz: Vegane Alternativ­en werden beliebter.
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FOTO: PRIVAT Rosi Geyer-Fäßler, Milchbäuer­in im Allgäu.

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