Deutschlands digitale Probleme
Ob der Impfpass fürs Handy bis zum Sommer kommt, ist fraglich – Die Gründe dafür
- Immer mehr Menschen sind geimpft, die Infektionszahlen sinken – viele freuen sich nun auf einen unbeschwerten Sommerurlaub. Kann ein digitaler Impfpass dazu beitragen? Ein Überblick.
Wozu ein digitaler Impfpass?
Das bekannte gelbe Impfbüchlein der Weltgesundheitsorganisation erfüllt nach wie vor alle Anforderungen und bleibt international gültig. Es aber immer mit sich herumzutragen, womöglich noch gemeinsam mit Bescheinigungen über negative Tests oder eine überstandene Corona-Infektion, ist unpraktisch. Die EU hat deswegen beschlossen, dass ein digitaler Impfpass das Reisen in Europa, etwa bei Grenzübertritten oder beim Besuch von Restaurants, erleichtern soll. Das digitale Dokument soll neben Angaben zu Impfungen Informationen über Tests oder überstandene Infektionen enthalten. Name, Geburtsdatum, Impfdatum und Aussteller des benötigten Zertifikats können ausgelesen werden.
Wo bekommt man das Zertifikat her?
In der Regel sollen Ärzte oder Impfzentren gleich nach der Impfung als Zertifikat einen QR-Code, also eine Art Barcode, zur Verfügung stellen. All jene, die schon geimpft sind, können sich den Code laut Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nachträglich in Arztpraxen, Impfzentren und Apotheken abholen. Wenn in den Impfzentren entsprechende Kontaktdaten vorliegen, sollen die QR-Codes möglichst automatisch per Post zugesandt werden. Wenig begeistert reagierten allerdings bereits die Hausärzte. Sie seien Ärzte und nicht das Passamt, sagte der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt. Der zusätzliche Aufwand sei gerade in der jetzigen Situation nicht zumutbar. Spahn glaubt allerdings, dass das nicht alle Ärzte so sehen und viele das Zertifikat dennoch ausstellen würden, zumal sie genauso wie Apotheken für den Mehraufwand vergütet würden.
Wo wird der Pass gespeichert?
Den QR-Code, den man vom Arzt oder Apotheker erhält, kann man entweder in Papierform mit sich herumtragen oder von einer SmartphoneApp scannen lassen. Die EU hat die Nationalstaaten verpflichtet, bis zum 1. Juli eine solche App bereitzustellen. In Deutschland soll das unter anderem mit der Corona-Warn-App möglich sein. Außerdem wird momentan unter Führung des US-Konzerns IBM eine weitere CovPass-App entwickelt, die ausschließlich der Anzeige des Zertifikats dienen soll – alles auf freiwilliger Basis. In dieser App sei es laut Gesundheitsministerium auch möglich, Zertifikate von Familienmitgliedern abzuspeichern. Eine digitale Plattform der EU werde dann ermöglichen, dass dieses Zertifikat in ganz Europa, ähnlich wie Flug- oder Bahntickets, ausgelesen werden kann.
Welche Erleichterungen bringt der Pass?
Das entscheidet jedes EU-Land für sich selbst. Das Europaparlament konnte sich mit einer Forderung nach verpflichtenden Erleichterungen nicht durchsetzen. Die Kompromissformel lautet, dass Reisebeschränkungen wie Quarantäne für negativ Getestete, Geimpfte oder Genesene nur eingeführt werden sollen, sofern es die epidemiologische Lage erlaubt und dies wissenschaftlich begründet ist.
Die niedergelassenen Ärzte rechnen nach der Impferlaubnis für Kinder ab zwölf Jahren mit einem zusätzlichen Ansturm auf die Praxen – und das, wo der Andrang ohnehin schon riesig sei. Von der Politik würden Versprechen gemacht, die die Praxisärzte „mal wieder ausbaden müssen“, sagte Andreas Gassen, Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
(KBV). Die Priorisierung für Erwachsene zum 7. Juni abzuschaffen und gleichzeitig zum selben Termin Kindern Impftermine in Aussicht zu stellen, ohne aber zusätzliches Vakzin zu haben, ist für die KBV
„die Quadratur des Kreises“. Kinder und Jugendliche als große Verlierer der Pandemie dürften jetzt nicht
Wann ist es so weit?
Das ist die spannende Frage. Spahn versicherte zwar mehrfach, dass Deutschland die EU-Frist einhalten kann. Daran, dass das gelingt, gibt es jedoch Zweifel. Grund dafür ist die dezentrale Verwaltung Deutschlands. Weil es kein zentrales Impfregister gibt, müssen die Zertifikate jeweils vor Ort eingeholt werden. Anke Domscheit-Berg, netzpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, glaubt nicht an einen Start Ende Juni. „Das wird ganz sicher nichts
„zu Impfungen mit unklarem Nutzen für diese Gruppe gedrängt werden. Wenn sich alle Erwachsenen, für die die Impfung unbestritten sinnvoll ist, impfen lassen, sollte das für die Pandemiekontrolle völlig ausreichend sein“, kritisierte Gassen. Klar ist unterdessen, dass der Impfstoff von Biontech nun tatsächlich auch an alle Menschen ab zwölf Jahren in der EU verimpft werden darf, ebenfalls in zwei Dosen. Das entschied am Freitag die für die Zulassung zuständige Europäische Arzneimittelbehörde (EMA). Bisher musste man für eine Impfung mit Biontech mindestens 16 Jahre alt sein. In absehbarer Zeit dürften auch kleinere Kinder geimpft werden können. Zumindest werden.“Ihr zufolge brauche es unter anderem einheitliche Schnittstellen in der Praxissoftware, die sich nicht so schnell programmieren lassen. Den Befürchtungen, dass ein Start zum 1. Juli nicht gelingen wird, hat die Bundesregierung selbst Nahrung gegeben, indem sie bei der EUKommission eine sechswöchige Übergangsfrist ausgehandelt hat. Gut möglich, dass das deutsche Zertifikat erst Mitte August zur Verfügung steht.
Und was ist mit Datenschutz?
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber hat keine grundsätzlichen Bedenken gegen einen digitalen Impfpass. Im Gegenteil, dieser könne datenschutzfreundlicher sein als der Papierpass, da weniger Daten angezeigt würden. Die EU hat versichert, dass keinerlei persönliche Daten auf Servern gespeichert würden, sondern nur auf dem eigenen Handy. Kelber kritisiert jedoch, dass die Bundesregierung ihm nach wie vor nicht die nötigen Informationen zur geplanten CovPass-App zugespielt habe – obwohl sie dazu verpflichtet ist. Sollte die deutsche App aus Kelbers Sicht datenschutzrechtliche Mängel aufweisen, könnte er einen „Baustopp“verfügen, was den Prozess verzögern würde.
Brauchen wir das wirklich?
Manche Kritiker bezweifeln dies. Linus Neumann etwa, Sprecher des Chaos Computer Clubs, der auch im Bundestag zum Thema angehört wurde, warnt: Durch digitale Impfpässe werde eine „allgegenwärtige Kontrolle des Impfstatus“ermöglicht. Tatsächlich ist es vorstellbar, dass Restaurants oder Theater zunächst nur für Besitzer des digitalen Impfpasses öffnen. Dadurch drohe, solange nicht alle Menschen geimpft sind, eine enorme gesellschaftliche Spaltung zu entstehen, befürchtet Neumann. Dabei würde man die Zertifikate gar nicht mehr brauchen, sobald ausreichend Menschen geimpft sind. Das bevorzugte Mittel gegen die Pandemie seien seiner Meinung nach deswegen nicht digitale Impfpässe, sondern „impfen, impfen, impfen“. hat Biontech mit dem US-Partner Pfizer im März eine Studie mit Kindern ab sechs Monaten und bis unter zwölf Jahren begonnen. Erste Ergebnisse sollen im Juli vorliegen. Zudem könnte bald Moderna als zweiter Anbieter für mindestens Zwölfjährige dazustoßen. Im dritten Quartal werden in Deutschland von Biontech 40 Millionen Impfdosen und von Moderna 30 Millionen erwartet. Die Bundesregierung hat allen Impfwilligen – auch Kindern, deren Eltern das möchten – bis Ende September ein Impfangebot versprochen. Bisher haben 35 Millionen von 83 Millionen Deutschen mindestens eine Injektion erhalten, 13,7 Millionen sind vollständig geimpft. (hz)