Abhängig vom großen Bruder
Nach dem Ryanair-Zwischenfall ist Weißrusslands Präsident Lukaschenko auf Wladimir Putin angewiesen
- Am Freitag hat Russlands Präsident Wladimir Putin seinen weißrussischen Amtskollegen Alexander Lukaschenko empfangen. Ein Treffen, das verspätet begann. Und nach dem Ryanair-Skandal gingen beide Staatschefs offenbar mit sehr unterschiedlichen Absichten in die Verhandlungen.
Auch diesmal stand, wie bei den vorherigen Zusammenkünften, keine Pressekonferenz auf dem Plan, sondern Diskretion, die nach Ansicht von Beobachtern mit dem Inhalt der Gespräche zusammenhängt. Seit August 2020 hat Lukaschenko um Finanzspritzen von über 4,5 Milliarden Dollar gebeten, auch vor diesem Treffen sprach er von der Wirtschaft als Hauptthema. Wladimir Putin aber eröffnete das Gespräch nach einigen lobenden Worten über die erfolgreiche wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Mahnung, es gelte den Bau des gemeinsamen Unionsstaates fortzusetzen – also Russlands Einfluss beim Nachbarn auszubauen.
Nicht nur nach Ansicht der russischen Experten ging in Sotschi das Tauziehen weiter, das schon die vorherigen Treffen beherrschte: Lukaschenko braucht mehr Geld von Russland, Putin fordert im Gegenzug, dass er dafür im Rahmen der unionsstaatlichen Integration konkrete Machtbefugnisse abgibt.
„Es läuft ein kompliziertes politisches Spiel zwischen beiden“, sagt Pawel Latuschko, Leiter des Nationalen Antikrisenmanagements der Opposition,
der „Schwäbischen Zeitung“. „Lukaschenko versucht, Russland so weit wie möglich in den Konflikt seines Regimes mit dem Rest der Welt hineinzuziehen. Putin dagegen will die Situation nutzen, um mehr Kontrolle über Belarus zu erlangen – durch die Verfassungsreform oder durch die Unterzeichnung neuer Integrationsabkommen.“
Die Ryanair-Affäre hat Belarus noch abhängiger von Moskau gemacht. Allein 70 Millionen Dollar wird es nach Ansicht von Experten jährlich durch den europäischen Luftraum-Boykott verlieren, außerdem jede Möglichkeit, westliche Investoren mittels Eurobonds anzupumpen. Schon vergangenes Jahr schuldete man Russland knapp neun Milliarden Dollar. Und 19 Prozent seiner Haushaltseinnahmen von 9,5 Milliarden Dollar verdient Belarus mit dem Weiterverkauf verbilligten russischen Erdöls.
Laut dem kremlnahen Politologen Sergei Markow erwartet der Kreml im Gegenzug für weitere Wirtschaftshilfe die Anerkennung des Krim-Anschlusses, die Übernahme des russischen Rubels, die enge Integration beider Armeen und eine gemeinsame Regierung. „Strategisch strebt Moskau die Kommandogewalt über Armee und Sicherheitsorgane von Belarus an“, sagt der Militärexperte Alexander Golz. „Aber dagegen hat sich Lukaschenko immer erbittert gewehrt.“Es gehe um seine rote Linie.
Bei Redaktionsschluss verhandelten Putin und Lukaschenko noch.