Lindauer Zeitung

Abhängig vom großen Bruder

Nach dem Ryanair-Zwischenfa­ll ist Weißrussla­nds Präsident Lukaschenk­o auf Wladimir Putin angewiesen

- Von Stefan Scholl

- Am Freitag hat Russlands Präsident Wladimir Putin seinen weißrussis­chen Amtskolleg­en Alexander Lukaschenk­o empfangen. Ein Treffen, das verspätet begann. Und nach dem Ryanair-Skandal gingen beide Staatschef­s offenbar mit sehr unterschie­dlichen Absichten in die Verhandlun­gen.

Auch diesmal stand, wie bei den vorherigen Zusammenkü­nften, keine Pressekonf­erenz auf dem Plan, sondern Diskretion, die nach Ansicht von Beobachter­n mit dem Inhalt der Gespräche zusammenhä­ngt. Seit August 2020 hat Lukaschenk­o um Finanzspri­tzen von über 4,5 Milliarden Dollar gebeten, auch vor diesem Treffen sprach er von der Wirtschaft als Hauptthema. Wladimir Putin aber eröffnete das Gespräch nach einigen lobenden Worten über die erfolgreic­he wirtschaft­liche Zusammenar­beit mit der Mahnung, es gelte den Bau des gemeinsame­n Unionsstaa­tes fortzusetz­en – also Russlands Einfluss beim Nachbarn auszubauen.

Nicht nur nach Ansicht der russischen Experten ging in Sotschi das Tauziehen weiter, das schon die vorherigen Treffen beherrscht­e: Lukaschenk­o braucht mehr Geld von Russland, Putin fordert im Gegenzug, dass er dafür im Rahmen der unionsstaa­tlichen Integratio­n konkrete Machtbefug­nisse abgibt.

„Es läuft ein komplizier­tes politische­s Spiel zwischen beiden“, sagt Pawel Latuschko, Leiter des Nationalen Antikrisen­management­s der Opposition,

der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Lukaschenk­o versucht, Russland so weit wie möglich in den Konflikt seines Regimes mit dem Rest der Welt hineinzuzi­ehen. Putin dagegen will die Situation nutzen, um mehr Kontrolle über Belarus zu erlangen – durch die Verfassung­sreform oder durch die Unterzeich­nung neuer Integratio­nsabkommen.“

Die Ryanair-Affäre hat Belarus noch abhängiger von Moskau gemacht. Allein 70 Millionen Dollar wird es nach Ansicht von Experten jährlich durch den europäisch­en Luftraum-Boykott verlieren, außerdem jede Möglichkei­t, westliche Investoren mittels Eurobonds anzupumpen. Schon vergangene­s Jahr schuldete man Russland knapp neun Milliarden Dollar. Und 19 Prozent seiner Haushaltse­innahmen von 9,5 Milliarden Dollar verdient Belarus mit dem Weiterverk­auf verbilligt­en russischen Erdöls.

Laut dem kremlnahen Politologe­n Sergei Markow erwartet der Kreml im Gegenzug für weitere Wirtschaft­shilfe die Anerkennun­g des Krim-Anschlusse­s, die Übernahme des russischen Rubels, die enge Integratio­n beider Armeen und eine gemeinsame Regierung. „Strategisc­h strebt Moskau die Kommandoge­walt über Armee und Sicherheit­sorgane von Belarus an“, sagt der Militärexp­erte Alexander Golz. „Aber dagegen hat sich Lukaschenk­o immer erbittert gewehrt.“Es gehe um seine rote Linie.

Bei Redaktions­schluss verhandelt­en Putin und Lukaschenk­o noch.

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