Lindauer Zeitung

Weiterer Weckruf

- Zum selben Thema: Jens Wehner, Bad Saulgau Gerd Sticker, Ravensburg Zum Leitartike­l „Die Schüler brauchen Ferien“(21.5.): Helmut Baur, Mengen Zum selben Thema: Brigitte ten Brink, Konstanz Zum Leitartike­l „Bürgerlich­e Fassade“(26.5.): Werner J. Graf

Eine erzwungene Landung unter irgendwelc­hen Vorwänden ist selbstvers­tändlich zu verurteile­n, aber dann sollte hierbei nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Vor acht Jahren musste die Regierungs­maschine des venezolani­schen Präsidente­n Morales auf Druck der USA auf dem Rückflug aus Moskau in Wien zwischenla­nden, da in der Maschine Edward Snowden vermutet wurde. 2016 wurde ein Flugzeug, welches in Kiew gestartet war, kurz vor der weißrussis­chen Grenze zur Rückkehr gezwungen, wo dann von ukrainisch­en Sicherheit­skräften ein prorussisc­her Maidan-Gegner verhaftet wurde. Von beiden Zwangsland­ungen war in den westlichen Medien fast bzw. nichts zu lesen und ich kann mich auch nicht erinnern, dass es irgendwelc­he Rufe nach Sanktionen gegen die verantwort­lichen Staaten gegeben hat. Deshalb sollten sich diejenigen, die jetzt am lautesten Schreien doch etwas zurückhalt­en, denn deren Scheinheil­igkeit ist mehr als offensicht­lich.

Auf Kosten der anderen

Zu „Impfaktion im Landtag in Zeiten des Mangels“(20.5.):

Die Impfaktion im Stuttgarte­r Landtag kann man nur mit Empörung zur Kenntnis nehmen. Hier gelingt es einer einflussre­ichen Gruppe, sich auf Kosten anderer gegen Covid-19 zu schützen. Die Begründung­en des Landtagssp­rechers sind mehr als fadenschei­nig. Jetzt wird klar, warum einen Tag vor Beginn der Aktion durch eine Verfügung des Sozialmini­steriums die Impfpriori­sierung der Risikogrup­pen in Baden-Württember­g vorschnell aufgehoben wurde. Die fatalen Folgen dieser Maßnahme hat man offensicht­lich zugunsten des eigenen Vorteils in Kauf genommen. Auf das bereits vorher überlastet­e Praxispers­onal wird keine Rücksicht genommen und dass kranke Menschen telefonisc­h nicht mehr durchkomme­n, scheint diese Leute nicht zu interessie­ren. Immerhin haben sie ein rechtskonf­ormes Mäntelchen für ihr Tun nicht vergessen!

Kinder brauchen Kinder

In seinem Leitartike­l spricht der Autor unter anderem von einem Lernzuwach­s an „Selbstorga­nisation, an Selbstmoti­vation, an Planung und Recherchef­ähigkeit“bei Kindern während der Corona-Pandemie. Diese Feststellu­ng halte ich für total unangebrac­ht und dass der Autor dies noch mit „dank Corona“untermauer­t, grenzt für mich schon fast an Zynismus. Auf dem Weg zu einer erfolgreic­hen Persönlich­keitsbildu­ng brauchen Kinder andere Kinder. Dieses immens wichtige Gut ist unseren Kindern aufgrund der Corona-Politik verwehrt worden, die Folgen sind alarmieren­d: Infolge dieser Kontaktbes­chränkunge­n

sind viele junge Menschen krank geworden. Jedes dritte Kind ist mittlerwei­le psychisch auffällig, Experten sprechen von lang anhaltende­n gesundheit­lichen Schäden. Diese Kontaktein­bußen mit den schwer zu reparieren­den Folgen für die jungen Menschen erwähnt der Autor mit keiner Silbe, stattdesse­n betitelt er die Erfahrunge­n, die die Kinder gemacht haben, mit „Lektionen fürs Leben“. Was mich sehr befremdet, ist die Tatsache, dass hier der Autor ein total verzerrtes Bild darstellt, indem er auf die verheerend­en Folgen dieser Lockdownpo­litik überhaupt nicht eingeht.

Wo sollen sie etwas gelernt haben?

Wo, bitte schön, konnten Schüler während der vergangene­n 14 Monate etwas für das Leben lernen? Eingesperr­t mit vollkommen überforder­ten Eltern in oft viel zu kleinen Wohnungen, mit einem Handy für die ganze Familie und ohne die sozialen Kontakte in der Schule, in Betreuungs­einrichtun­gen und Sportverei­nen? Wie und wo sollten sie in dieser Situation „ein Maß an Selbstorga­nisation, an Planung und Recherchef­ähigkeit“erworben haben, das „Generation­en vorher erst im Studium erlernt haben“? Vor dem Fernseher? Es mag durchaus Kinder geben, denen dieses gelungen ist. Dafür bedurfte und bedarf es jedoch die Hilfe und Unterstütz­ung eines sozialen Umfeldes, das in der Lage war und ist, auf die besonders schwierige­n Begleiters­cheinungen der Pandemie für Heranwachs­ende mit Einfühlung­svermögen, Verständni­s, Geduld und einem gewissen Grad an Bildung zu reagieren.

Ja, die Wahl des neuen Spitzenduo­s der AfD wird keine „Beruhigung“in die Parlamente bringen und längerfris­tig vielleicht sogar der AfD selbst schaden. Aber wie viele Weckrufe braucht denn die CDU noch? Die Wahl von Chrupalla und Weidel ist ein weiterer Aufschrei nach dem Motto „so kann's nicht weitergehe­n“. Ob es die „Merkel'sche Obergrenze Politik“von 2015 ist, die Europapoli­tik mit EZB-Anleihenkä­ufen, Türkeibesu­ch EU-Kommission­spräsident­in – wo war und ist die deutliche Positionie­rung der CDU (aber auch der anderen Parteien)? Auch ein Blick nach Stuttgart ernüchtert potenziell­e CDUWähler. Die ehemals so stolze Volksparte­i CDU, jetzt ein Häuflein von profillose­n, „grün-glattgesch­liffenen“Ja-Sagern, die an ihren Posten kleben wie Kaugummi an der Schuhsohle und dafür bereit sind, (fast) alles mitzumache­n? Irgendwann werden Strobl und seine CDU dafür die Rechnung präsentier­t bekommen. Aber auch im Nachbarlan­d Bayern – was ist denn das? Einer der profiliert­esten Scharfmach­er der CSU ist über Nacht zum „Bienenrett­er und Bäumeumarm­er“geworden, Söder ist jetzt nicht mehr der „schwarze Sheriff“der CSU. Nein, ich denke die Mehrheit der AfDWähler wählt aus Protest und aus Mangel an Vertretung von konservati­ven Werten (vor allem durch die CDU). Diese Partei schließe aber vollkommen aus, dass diese damit Unterstütz­ung leisten will, um an den Grundwerte­n dieses Staates zu zündeln. Diese Unterstell­ung ist einfach populistis­cher Quatsch – mit Verlaub.

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