Weiterer Weckruf
Eine erzwungene Landung unter irgendwelchen Vorwänden ist selbstverständlich zu verurteilen, aber dann sollte hierbei nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Vor acht Jahren musste die Regierungsmaschine des venezolanischen Präsidenten Morales auf Druck der USA auf dem Rückflug aus Moskau in Wien zwischenlanden, da in der Maschine Edward Snowden vermutet wurde. 2016 wurde ein Flugzeug, welches in Kiew gestartet war, kurz vor der weißrussischen Grenze zur Rückkehr gezwungen, wo dann von ukrainischen Sicherheitskräften ein prorussischer Maidan-Gegner verhaftet wurde. Von beiden Zwangslandungen war in den westlichen Medien fast bzw. nichts zu lesen und ich kann mich auch nicht erinnern, dass es irgendwelche Rufe nach Sanktionen gegen die verantwortlichen Staaten gegeben hat. Deshalb sollten sich diejenigen, die jetzt am lautesten Schreien doch etwas zurückhalten, denn deren Scheinheiligkeit ist mehr als offensichtlich.
Auf Kosten der anderen
Zu „Impfaktion im Landtag in Zeiten des Mangels“(20.5.):
Die Impfaktion im Stuttgarter Landtag kann man nur mit Empörung zur Kenntnis nehmen. Hier gelingt es einer einflussreichen Gruppe, sich auf Kosten anderer gegen Covid-19 zu schützen. Die Begründungen des Landtagssprechers sind mehr als fadenscheinig. Jetzt wird klar, warum einen Tag vor Beginn der Aktion durch eine Verfügung des Sozialministeriums die Impfpriorisierung der Risikogruppen in Baden-Württemberg vorschnell aufgehoben wurde. Die fatalen Folgen dieser Maßnahme hat man offensichtlich zugunsten des eigenen Vorteils in Kauf genommen. Auf das bereits vorher überlastete Praxispersonal wird keine Rücksicht genommen und dass kranke Menschen telefonisch nicht mehr durchkommen, scheint diese Leute nicht zu interessieren. Immerhin haben sie ein rechtskonformes Mäntelchen für ihr Tun nicht vergessen!
Kinder brauchen Kinder
In seinem Leitartikel spricht der Autor unter anderem von einem Lernzuwachs an „Selbstorganisation, an Selbstmotivation, an Planung und Recherchefähigkeit“bei Kindern während der Corona-Pandemie. Diese Feststellung halte ich für total unangebracht und dass der Autor dies noch mit „dank Corona“untermauert, grenzt für mich schon fast an Zynismus. Auf dem Weg zu einer erfolgreichen Persönlichkeitsbildung brauchen Kinder andere Kinder. Dieses immens wichtige Gut ist unseren Kindern aufgrund der Corona-Politik verwehrt worden, die Folgen sind alarmierend: Infolge dieser Kontaktbeschränkungen
sind viele junge Menschen krank geworden. Jedes dritte Kind ist mittlerweile psychisch auffällig, Experten sprechen von lang anhaltenden gesundheitlichen Schäden. Diese Kontakteinbußen mit den schwer zu reparierenden Folgen für die jungen Menschen erwähnt der Autor mit keiner Silbe, stattdessen betitelt er die Erfahrungen, die die Kinder gemacht haben, mit „Lektionen fürs Leben“. Was mich sehr befremdet, ist die Tatsache, dass hier der Autor ein total verzerrtes Bild darstellt, indem er auf die verheerenden Folgen dieser Lockdownpolitik überhaupt nicht eingeht.
Wo sollen sie etwas gelernt haben?
Wo, bitte schön, konnten Schüler während der vergangenen 14 Monate etwas für das Leben lernen? Eingesperrt mit vollkommen überforderten Eltern in oft viel zu kleinen Wohnungen, mit einem Handy für die ganze Familie und ohne die sozialen Kontakte in der Schule, in Betreuungseinrichtungen und Sportvereinen? Wie und wo sollten sie in dieser Situation „ein Maß an Selbstorganisation, an Planung und Recherchefähigkeit“erworben haben, das „Generationen vorher erst im Studium erlernt haben“? Vor dem Fernseher? Es mag durchaus Kinder geben, denen dieses gelungen ist. Dafür bedurfte und bedarf es jedoch die Hilfe und Unterstützung eines sozialen Umfeldes, das in der Lage war und ist, auf die besonders schwierigen Begleiterscheinungen der Pandemie für Heranwachsende mit Einfühlungsvermögen, Verständnis, Geduld und einem gewissen Grad an Bildung zu reagieren.
Ja, die Wahl des neuen Spitzenduos der AfD wird keine „Beruhigung“in die Parlamente bringen und längerfristig vielleicht sogar der AfD selbst schaden. Aber wie viele Weckrufe braucht denn die CDU noch? Die Wahl von Chrupalla und Weidel ist ein weiterer Aufschrei nach dem Motto „so kann's nicht weitergehen“. Ob es die „Merkel'sche Obergrenze Politik“von 2015 ist, die Europapolitik mit EZB-Anleihenkäufen, Türkeibesuch EU-Kommissionspräsidentin – wo war und ist die deutliche Positionierung der CDU (aber auch der anderen Parteien)? Auch ein Blick nach Stuttgart ernüchtert potenzielle CDUWähler. Die ehemals so stolze Volkspartei CDU, jetzt ein Häuflein von profillosen, „grün-glattgeschliffenen“Ja-Sagern, die an ihren Posten kleben wie Kaugummi an der Schuhsohle und dafür bereit sind, (fast) alles mitzumachen? Irgendwann werden Strobl und seine CDU dafür die Rechnung präsentiert bekommen. Aber auch im Nachbarland Bayern – was ist denn das? Einer der profiliertesten Scharfmacher der CSU ist über Nacht zum „Bienenretter und Bäumeumarmer“geworden, Söder ist jetzt nicht mehr der „schwarze Sheriff“der CSU. Nein, ich denke die Mehrheit der AfDWähler wählt aus Protest und aus Mangel an Vertretung von konservativen Werten (vor allem durch die CDU). Diese Partei schließe aber vollkommen aus, dass diese damit Unterstützung leisten will, um an den Grundwerten dieses Staates zu zündeln. Diese Unterstellung ist einfach populistischer Quatsch – mit Verlaub.
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