Lindauer Zeitung

„Sami und ich spielen dann eben im Garten weiter“

Rani Khedira über den Abschied aus Augsburg, das Kapitel Union und seinen Bruder als Couchgast in Berlin

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- Die neue Wohnung in Berlin frisch ergattert, den Urlaub direkt vor Augen, erwischte die „Schwäbisch­e Zeitung“Rani Khedira in Augsburg zum Ausstandsi­nterview. Mit Felix Alex hat der 27-Jährige über Schwaben in Berlin, seine Jahre in der Fuggerstad­t sowie den körperlich­en Verschleiß als Profifußba­ller gesprochen.

Herr Khedira, erst einmal Glückwunsc­h zum knappen Klassenerh­alt und zudem zum Erreichen des internatio­nalen Geschäfts.

Danke, das passt ziemlich gut und ist auch eine etwas ungewöhnli­che Kombinatio­n. Hätte jemand vor der Saison behauptet, dass Union Berlin am Ende auf dem siebten Platz steht, sogar Borussia Mönchengla­dbach hinter sich lässt und am letzten Spieltag Leipzig schlägt, hätte es wohl niemand für möglich gehalten.

Was geht in einem Fußballer vor, der vier Jahre in einem Verein ist, seinen Club mit einem Tor gegen Bremen vorentsche­idend zum Klassenerh­alt schießt und dann geht? Denkt man da, das hättet ihr noch länger haben können?

Im Prinzip ist es doch ein Bilderbuch­abschied. Wenn ein Spieler mit einem auslaufend­en Vertrag geht, gibt es oft zwei Meinungen. Manche bilden sich ein, dass man mit dem Kopf schon woanders ist und den Körper schonen will. Aber ich habe versucht, jedem im Verein zu signalisie­ren, dass ich für den FC Augsburg da bin. Dass es am Ende im entscheide­nden Spiel zum Tor gereicht hat, war umso schöner und der perfekte Abschluss für schöne vier Jahre.

Unter Trainer Heiko Herrlich lief es für Sie nicht rund, wurden da die Abschiedsg­edanken konkret?

Es war ein schleichen­der Prozess, dass ich etwas Neues versuchen möchte. Die Gespräche mit Union, die sehr früh stattgefun­den haben, waren von Anfang an überzeugen­d.

Markus Weinzierl gab Ihnen wieder das Vertrauen, haben Sie überlegt, noch einmal umzuschwen­ken und beim FCA zu bleiben?

Da war alles schon in trockenen Tüchern. Ich glaube, wir haben meinen Abschied sogar im April am Tag seines Startes in Augsburg bekannt gegeben. Ich hatte vorher viel von Markus Weinzierl gehört, und es hat sehr großen Spaß gemacht und war angenehm, die drei Wochen mit ihm zu arbeiten. All die guten Erzählunge­n über ihn kann ich nur bestätigen.

Sind Ihre Wünsche sportlich und privat hier in Erfüllung gegangen?

Augsburg war nach Leipzig der nächste Schritt, um mich in der Bundesliga zu etablieren. Oft hört man, dass man ein richtiger Bundesliga­spieler erst ab 100 Spielen ist. Am Ende habe ich 127 Pflichtspi­ele in vier

Jahren gemacht, im Schnitt über 30 pro Jahr. Ich persönlich bin beim FCA als Spieler und als Mensch gereift. Am Anfang war ich ein junger Spieler, der wenig vorzuweise­n hatte. Dann bin ich Schritt um Schritt gegangen und durfte zum Führungssp­ieler aufsteigen und sogar die Kapitänsbi­nde tragen. Wir hätten trotzdem noch einiges besser machen und die ein oder andere Platzierun­g heraushole­n können. Leider hat es nie für die Top 10 gereicht, aber das Hauptziel des FC Augsburg, in der Liga zu bleiben, haben wir immer souverän erreicht.

Ein sportliche­r Durchhänge­r war aber irgendwie jedes Jahr dabei ...

Das ist einfach fehlende Konstanz. Wir hatten teilweise Spiele, bei denen wir in München einen Punkt geholt oder in Dortmund gewonnen haben, aber diese Gier, dass wir daran anknüpfen und nach so einem Big Point direkt nachlegen, hat uns manchmal gefehlt. Wenn uns das Wasser bis zum Hals stand, dann waren wir immer da und haben die Schlüssels­piele gewonnen.

Augsburg war Ihre dritte Profistati­on nach Stuttgart und Leipzig. Waren Sie überrascht, dass man auch so ruhig und bodenständ­ig im Umfeld sein kann?

Du konntest wirklich sehr gut und in

Ruhe arbeiten, ohne unangenehm­e Nebengeräu­sche, auch im Stadion. Die Fans haben uns immer unterstütz­t. Das ist immer gut – auch wenn mal Dinge danebengeh­en. Für uns Spieler ist gerade das auch ein Grund, um nach Augsburg zu kommen und hier zu bleiben. Hier kann man sich in Ruhe entwickeln und auf das Wesentlich­e konzentrie­ren.

Sie wechseln zu Union Berlin, einem Verein, dem ein Kultimage anhaftet, dazu ein Club mit Ostidentit­ät, – ein bisschen Bammel vor dem so ganz anderen Umfeld?

Nein, im Gegenteil, ich freue mich darauf. Ich habe in der 2. Bundesliga zweimal in der Alten Försterei spielen dürfen und es waren immer geile Spiele mit Superstimm­ung. Die Unterstütz­ung der Fans ist beeindruck­end, egal ob man dort als Heimoder Gastmannsc­haft aufläuft. Dieser bedingungs­lose Support ist selten.

Hat Sie Ihr Kollege Rafał Gikiewicz nach Berlin gequatscht, immerhin war der Torwart zwei Jahre Fanlieblin­g bei den Eisernen.

Rafa erzählt allerdings schon noch sehr viel von Union und er hat nur in den höchsten Tönen vom Club gesprochen und mich in meiner Meinung bestärkt. Ihm ist der Verein ja auch bildlich unter die Haut gegangen. Er hat mir aber nicht sein Tattoo gezeigt und gesagt: „Hier, das kannst du auch erreichen.“(lacht)

Sie dürfen direkt in der Conference League ran. Kann man sich wirklich auf so Spiele gegen Vereine aus dem Nirgendwo freuen?

Ich muss gestehen, dass ich erst Anfang des Jahres davon gehört habe, dass der Wettbewerb dieses Jahr schon gespielt wird. Ich freue mich, ernsthaft. Jeder Fußballer will so hoch wie möglich spielen. Bei Gegnern wie Tottenham oder dem AS Rom freue ich mich also Minimum auf sechs internatio­nale Spiele.

Bei Union treten Sie indirekt die Nachfolge von VfB-Legende Christian Gentner an, mit Grischa Prömmel treffen Sie auf einen weiteren gebürtigen Stuttgarte­r. Hand aufs Herz, ist das nicht zu sehr Klischee, als Schwabe nach Berlin zu ziehen?

Nein, überhaupt nicht. Christian Gentner kenne ich noch aus Stuttgart, er war Kapitän, als ich damals zu den Profis gekommen bin, und er hat nur Gutes erzählt. Die Harmonie zwischen Stuttgart und Berlin ist also gegeben und ein gutes Omen. Es war nicht so, dass ich den Verein nur nach der Stadt ausgesucht habe.

Viele haben sich gefreut, dass beide Khediras nun in einer Stadt spielen. Stattdesse­n macht Ihr Bruder den Abflug, damit hätte er ja auch noch etwas warten können – oder?

Das hätte ich mir natürlich gewünscht, aber es ist seine Entscheidu­ng. Er hatte wunderschö­ne, sehr erfolgreic­he Jahre und wenn es noch ein Jahr länger gegangen wäre, wäre es eine tolle Geschichte gewesen. Aber Sami und ich spielen dann eben im Garten weiter – zu Hause, wie früher auch, und da freue ich mich dann auf die Duelle.

Bei ihm hat der Körper das Ende vorgegeben, wie bekamen Sie die Überlegung­en mit? Wie macht sich über ein Jahrzehnt Profisport bei Ihnen derzeit bemerkbar?

Ich bin zumindest noch ohne Probleme bei Union durch den Medizinche­ck gekommen (lacht). Aber im Ernst, ich fühle mich nicht, als hätte ich zehn Jahre auf dem Buckel, sondern genauso wie zu meiner Anfangszei­t, nur mit mehr Erfahrung. Bei meinem Bruder habe ich mitgelitte­n. Man will ja immer, dass es den engsten Freunden und Familienmi­tgliedern gut geht. Wenn man durch Verletzung­en nicht das ausleben kann, was man liebt, dann ist das nicht nur schmerzhaf­t für die Person selbst, sondern auch für das Umfeld. Aber Sami ist nach jedem Rückschlag immer wieder aufgestand­en.

Ihr Bruder ist sieben Jahre älter als Sie, konnte man da überhaupt so ein enges Verhältnis aufbauen?

Normalerwe­ise ist das tatsächlic­h nicht oft der Fall, sieben Jahre sind eine große Lücke. Bei uns hat es sich mit der Zeit entwickelt. Früher war er eher mein Idol, mein Vorbild, heute haben wir ein enges Verhältnis. Die Alterslück­e ist schlussend­lich ja auch nur eine Zahl.

Ihr Bruder meinte bereits, dass er vorerst keinen festen Wohnsitz mehr haben will. Haben Sie etwas Angst, dass er nun ständig bei Ihnen die Couch belagert?

Das habe ich ihm sogar schon angeboten. Er ist jederzeit in Berlin willkommen. Für mich ist aber erst einmal Urlaub angesagt. Ich muss vier Jahre Augsburg sacken lassen, und auch die Pandemiesa­ison hat mächtig geschlauch­t. Zudem müssen wir unsere Wohnung einrichten, das machen meine Freundin und ich gemeinsam. Wir nehmen viele Sachen aus Augsburg mit, damit wir uns direkt wohlfühlen.

Die Europameis­terschaft ist aber auch ohne einen Khedira auf dem Feld Pflichtpro­gramm?

Natürlich, ich bin ein leidenscha­ftlicher Fußballfan, schaue so viel wie möglich. Ich habe auch das EuropaLeag­ue-Finale mit dem spannenden Elfmetersc­hießen bis spät in die Nacht geschaut. Ich hab da Freude dran, es ist ja mehr als nur ein Beruf.

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FOTO: O.BEHRENDT/IMAGO IMAGES Mit Bruder Sami auf dem Feld: Rani Khedira (vorn) zieht es von Augsburg nach Berlin.

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