Wenn die Bettdecke einen sanft umarmt
Die Corona-Krise belastet Menschen auch nachts – Welche Gründe es dafür gibt und warum Gewichtsdecken einen besseren Schlaf versprechen
Die Käufer sogenannter Gewichtsdecken überschlagen sich im Internet mit positiven Bewertungen: „Ich schlafe jetzt viel schneller ein.“„Die Decke hilft tatsächlich, nachts zur Ruhe zu kommen.“„Sie gibt mir das Gefühl von Schutz.“„Man fühlt sich umarmt beim Schlafen.“„Ich schlafe endlich wieder durch.“Hersteller berichten, dass seit Beginn der Corona-Pandemie mehr Menschen Schutz unter Decken suchen, die rund zehn Prozent des Körpergewichts betragen.
Was steckt in einer Gewichtsdecke?
Die Gewichts- oder auch Therapiedecken sind je nach Hersteller gefüllt mit Glas-, Plastik- oder Edelstahlkügelchen oder auch mit Reis. Damit diese beim Schlafen nicht verrutschen, werden sie in kleine Kammern eingenäht oder aneinander geklebt. Es gibt auch Decken, die aus Baumwolle sehr dick gestrickt werden.
Wie funktionieren die Decken?
Die Füllung der Decken beträgt rund zehn Prozent des Körpergewichts des Schläfers. Den Herstellern zufolge fühlt sich dieser Druck an wie eine liebevolle Umarmung – das Gehirn reagiert auf dieses Signal mit Entspannung im Körper. Dadurch soll man schneller abschalten, einschlafen und durchschlafen können. Als Therapiedecken werden Gewichtsdecken schon lange bei Krankheiten wie Autismus, Restless-Legs-Syndrom (unruhige Beine), ADHS oder Panikstörungen eingesetzt.
Was sagen Experten zur Verwendung der Decken bei Schlafproblemen?
„Es gibt keine echten wissenschaftlichen Studien, die den medizinischen Nutzen solcher Decken für einen besseren Schlaf belegen“, sagt Jörg Lindemann, Leiter des Schlaflabors am Universitätsklinikum Ulm. Dort werden die Decken nicht eingesetzt. „Wenn man andere medizinische Ursachen als Grund für Schlafprobleme ausschließen kann, spricht aber nichts dagegen, die Decken mal auszuprobieren“, sagt Jörg Lindemann. Denn um schlafen zu können, muss man körperlich und geistig entspannt sein. „Wie man das erreicht, dazu gibt es 1000 Wege – von Hörbüchern bis zur Entspannungsmusik. Der eine oder andere kann sich vielleicht auch unter einer solchen Decke entspannen“, sagt Hans-Günter Weeß, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin.
Wie wirkt sich die Corona-Krise auf den Schlaf aus?
Keine nervigen Arbeitswege wegen Homeoffice und kaum zeitraubende Freizeitmöglichkeiten: Eigentlich bietet die Pandemie viele Chancen auf mehr Schlaf. „Es gibt durchaus auch Menschen, die derzeit besser und länger schlafen als früher“, sagt Schlafmediziner Hans-Günter Weeß. Beim Großteil der Deutschen aber hat sich das Schlafverhalten seit
Beginn der Corona-Krise deutlich verschlechtert. „Je nach Studie haben Schlafprobleme um zehn bis 60 Prozent zugenommen“, sagt Weeß. Auch im Schlaflabor des Universitätsklinikums Ulm werden Jörg Lindemann zufolge jetzt mehr Patienten mit Schlafstörungen behandelt als vor der Pandemie.
Warum schlafen die Menschen derzeit schlechter?
Die Gründe sind den Experten zufolge vielfältig: Viele Menschen sorgen sich um ihre gesundheitliche, wirtschaftliche oder berufliche Situation und nehmen diese Ängste auch mit ins Bett. Eltern lässt die Doppelbelastung aus Homeoffice und Homeschooling schlechter schlafen. Kontaktbeschränkungen sorgen für mehr Einsamkeit und begünstigen ängstliche, depressive Störungen.
Auch der Konsum digitaler Medien ist stark gestiegen. Ein weiterer Grund für mehr Schlafprobleme sind fehlende Sportangebote. „Viele Menschen bewegen sich derzeit weniger und sind körperlich einfach nicht erschöpft“, sagt Jörg Lindemann.
Neben Gewichtsdecken gibt es noch andere Hilfsmittel zum besseren Schlafen. Bringen diese etwas?
Sechs Prozent der Deutschen leiden an behandlungsbedürftigen Schlafstörungen, rund 15 Prozent haben regelmäßig Ein- und Durchschlafstörungen. „Viele Deutsche schlafen viel zu wenig“, sagt Schlafforscher Hans-Günter Weeß. Rund um diese Schlaflosen ist eine ganze Industrie an Produkten entstanden, die beim Schlafen helfen wollen: Spezielle Matratzen, Extra-Kissen für Rückenoder
Seitenschläfer, Schlafgetränke oder Speziallampen. Jörg Lindemann hält von dieser „Vermarktung des Schlafes“nichts. „Eigentlich ist Schlaf etwas ganz Natürliches, über das man gar nicht nachdenken sollte“, sagt der Leiter des Ulmer Schlaflabors.
Was kann man dann tun, um vor allem in Krisenzeiten besser schlafen zu können?
Mehr als die Hälfte der Deutschen hat in einer repräsentativen Studie der mhplus Krankenkasse kürzlich angegeben, zur Zeit nicht mehr richtig abschalten zu können. „Anspannung ist aber der Feind des Schlafes“, sagt Hans-Günter Weeß, der in seinem Buch „Schlaf wirkt Wunder“viele Tipps für besseren Schlaf gibt. Im Homeoffice fällt es vielen schwer, richtig Feierabend zu machen. Einfacher
Wer zu wenig schläft, wird eher krank. Trifft das auch auf Corona zu?
Schlaf ist für den menschlichen Organismus so wichtig wie Essen und Trinken. „Schlaf ist das wichtigste Regenerations- und Reparaturprogramm des Menschen“, sagt Schlafmediziner Weeß. Wer zu wenig schläft, ist anfälliger für Krankheiten, weil die Immunabwehr bei Schlafmangel schlechter funktioniert. Schläft man beispielsweise über elf Tage hinweg weniger als fünf Stunden täglich, hat man ein dreifach höheres Erkältungsrisiko, so Weeß. „Deshalb erhöht zu wenig Schlaf auch das Ansteckungsrisiko für Corona“, sagt der Schlafforscher.
Beim Impfen wird das Immunsystem durch den Impfstoff aktiviert – und das macht müde. Diese Müdigkeit sollte man keinesfalls verdrängen. „Ausreichend Schlaf nach einer Impfung ist sehr wichtig, denn das erhöht die Wirksamkeit der Impfung“, sagt Schlafmediziner Hans-Günter Weeß. (sam)