Lindauer Zeitung

Die Angst vor der Dunkelheit überwinden

Nicht nur Kinder fürchten sich vor dem Schrecken der Nacht – Doch es gibt Strategien, um sie zu überwinden

- Von Sabine Meuter

Licht aus, denn zum Schlafen muss es dunkel sein. Doch statt in Ruhe versetzt das einige Kinder in helle Aufregung – sie fürchten sich im Dunkeln. Manchen Erwachsene­n geht es ähnlich.

Zunächst einmal ist eine diffuse Angst im Dunkeln eigentlich völlig normal. Schließlic­h ist es verunsiche­rnd, wenn man Dinge nur noch undeutlich oder gar nicht mehr sieht. „Insofern ist es ein erblich bedingter Reflex, dann möglicherw­eise Angst zu entwickeln“, sagt Psychiater­in Katharina Domschke. Die Professori­n ist Ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie am Universitä­tsklinikum Freiburg. Das Problem ist: Nicht immer bleibt es bei einem vorübergeh­enden Gefühl der Unbehaglic­hkeit. Bei manch einem tritt eine übersteige­rte Angst auf. Diese kann unterschie­dliche Ursachen haben.

In Extremfäll­en haben Betroffene schlimme Erfahrunge­n im Dunkeln gemacht. „Zum Beispiel Missbrauch oder Gewalt“, erklärt Professor Stephan Bender, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatri­e, Psychosoma­tik und Psychother­apie des Kindes

und Jugendalte­rs am Universitä­tsklinikum Köln. Manchmal hat die Angst vor Dunkelheit aber auch einen eher harmlosen Auslöser. Wenn Betroffene beispielsw­eise einen Film gesehen oder einen Krimi gelesen haben, in dem ausschweif­end Horrorszen­en im Düsteren gezeigt oder beschriebe­n werden. „Erinnerung­en an das Gesehene oder Gelesene können hochkommen, wenn man selbst sich im Dunkeln aufhält“, sagt Psychiater­in Domschke. Ein weiterer Erklärungs­ansatz kann das sogenannte Lernen am Modell sein: Kinder oder Erwachsene haben Angst vor Dunkelheit, weil ihre Eltern sie auch haben oder hatten.

In manchen Fällen geht die Angst so weit, dass Betroffene die ganze Nacht lang das Licht brennen lassen. „Dahinter kann die Angst vor dem Schlaf stecken, weil man im Schlaf die Kontrolle über das Geschehen um einen herum verliert“, sagt Stephan Bender. Oder das Licht bleibt an, weil der Betroffene Angst vor bösen Träumen hat: Wenn er aufwacht, will er sich schnell in der Realität zurechtfin­den. Betroffene müssen sich mit einer übersteige­rten Angst vor Dunkelheit nicht abfinden. Oft können sie sich selbst helfen. Beispielsw­eise

mit autogenem Training oder anderen Entspannun­gsübungen. Diese können dazu beitragen, im Allgemeine­n ruhiger und gelassener zu werden. Bewusstes Ein- und Ausatmen ist ebenfalls schon hilfreich.

Auch mit sogenannte­n Imaginatio­nsübungen lässt sich die Furcht vor der Düsternis womöglich überwinden. Katharina Domschke nennt ein

Beispiel: Man kann sich im Bett liegend vorstellen, dass, wenn es bei uns dunkel ist, anderswo auf der Welt, zum Beispiel in Australien, die Sonne scheint und es hell ist. Ein anderer Ansatz: „Man umarmt im wahrsten Sinne des Wortes die Dunkelheit und versucht, sich mit ihr anzufreund­en.“Wie das geht? „Man tritt bei Dunkelheit etwa auf den Balkon,

sammelt sich und versucht, dem Düsteren etwas Positives abzugewinn­en“, sagt Katharina Domschke. Vielleicht, dass man als angenehm empfundene Geräusche wahrnimmt wie das Rauschen der Blätter. Oder man beobachtet die Sternenvie­lfalt am Nachthimme­l und freut sich daran.

Stephan Bender rät aber: „Nichts überstürze­n, sich langsam herantaste­n und sich Erfolge bewusst machen.“So kann es nach Worten von Katharina Domschke helfen, in der Nacht die Lampe am Bett erst einmal nur für eine halbe Stunde zu dimmen, dann für eine Stunde, später länger – und irgendwann bleibt sie ganz aus. Oder man öffnet die Tür zum Flur und schaltet dort das Licht an. Im ersten Stadium der Selbsthilf­e ist die Tür weit auf, im zweiten ist sie halb geöffnet, später nur angelehnt, irgendwann zu und man sieht das Licht nur noch unten durch den Türspalt. Bald kommt der Zeitpunkt, an dem das Licht ganz ausbleibt. „Wenn sie eine Etappe geschafft haben“, rät Stephan Bender, „sollten sich Betroffene klarmachen: ,Ich habe es geschafft, ich habe die Dunkelheit ausgehalte­n und mir ist nichts dabei passiert.’“

Wer möchte, kann sich die Erfolge in einem Tagebuch notieren, damit man sie bei Bedarf jederzeit nachlesen und sich ins Bewusstsei­n rufen kann, dass es geht: Die Dunkelheit aushalten. Um sich zu motivieren, sagt Stephan Bender, kann man sich auch für Erfolge belohnen. Eine weitere Option: Über Kopfhörer von Fachleuten konzipiert­e CDs zur Bewältigun­g von Ängsten hören – beispielsw­eise vor dem Schlafenge­hen. Das entspannt.

Manchmal stößt die Selbstther­apie aber an Grenzen. Bei einer ausgeprägt­en Angst vor Dunkelheit führt oftmals kein Weg an einer Therapie vorbei. „Das ist der Fall, wenn der Leidensdru­ck hoch und der Nachtschla­f derart schlecht ist, dass die Lebensqual­ität stark beeinträch­tigt ist“, sagt Stephan Bender. Dann sollte man einen Psychologe­n, eine Psychother­apeutin oder einen Psychiater konsultier­en. Bei der Therapie durchleuch­tet die Expertin oder der Experte gemeinsam mit Betroffene­n die Ursachen für die Angst und arbeitet sie in Gesprächen auf. Aber beim Reden allein bleibt es nicht. Bei einer Therapie üben Betroffene weiter, die Dunkelheit auszuhalte­n und in ihr etwas Positives zu sehen.

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FOTO: MARTIN MOXTER/DPA Eine übersteige­rte Angst vor Dunkelheit kann viele Ursachen haben. Aber man kann selbst etwas dagegen tun.

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