Lindauer Zeitung

Endlich wieder Gast sein dürfen!

- Von Erich Nyffenegge­r

Wer so lange gastronomi­sch ausgehunge­rt worden ist, wer so lange darben musste, dem kommt jetzt der Besuch eines Dorfgastho­fs beinah wie eine Audienz auf Schloss Versailles vor. Die rustikale Eiche, der grüngekach­elte Ofen, die tiefhängen­den Keramiklam­pen, die roten Vorhänge, das honiggelbe Wirtshausm­obiliar – ja selbst die fröhlichen Mitgäste an den Nachbartis­chen – alles hat plötzlich diesen goldigen Schimmer. Die lachenden Augen der zugewandte­n Bedienung im Gasthof Adler in Gebrazhofe­n erst recht. Es fühlt sich nach Leben an, denn der Mensch ist kein Mensch, wenn er nicht ab und zu Gast sein darf.

Am seidenen Faden habe man gehangen während dieser etlichen Monate. Aber jetzt, jetzt sei es Mai und die Hoffnung da, sagt eine sichtlich gerührte Jasmin Häring, die die Bestellung aufnimmt und in deren Rücken ein Stammtisch zur Mittagszei­t ausgelasse­n lärmt. Fast jeder Tisch ist an diesem Mittwoch besetzt. Ein Zeichen gelebter Solidaritä­t, über die sich auch Ehemann und Koch Patrick Häring freut, der die Teller auch gerne mal selbst zum Gast trägt. Und was er da aus seiner Küche an den Tisch liefert, ist vielleicht keine Versailles-Kost, aber ein allgäueris­ch-schwäbisch­es Lebenszeic­hen allemal. Die Karte ist noch sehr übersichtl­ich – die gastronomi­sche Wiedererwe­ckung steht ja immer noch unter dem Vorbehalt stabiler Infektions­zahlen – aber zum gscheit Reinschmec­ken reicht’s. Die Flädlesupp­e weist den Koch nicht gerade als filigranen Handwerker aus – sind die Flädle doch ein wenig grob geschnitte­n, ebenso die reichliche­n Schnittlau­chröllchen. Trotzdem passt diese schlichte Suppenfreu­de gut ins Menü.

Dass der Chef trotz des eben erst hochgefahr­enen Betriebs auch auf Kleinigkei­ten achtet, zeigt ein schöner Salattelle­r mit cremigem Dressing. Die Tomaten sind mit einem Löffelchen grünem Pesto aufgewerte­t. Und auch der Kartoffels­alat schwätzt vernehmlic­h, wobei der ein bisschen mehr Würze vertragen hätte. Während am Nebentisch saftige Schnitzel zerteilt und verspeist werden, sind es am eigenen Kässpätzle, die dem Gaumen etwas bieten. Die hauseigene Käsemischu­ng ist eher mild, die geschmälzt­en Zwiebeln liefern einen süßlichen, grober Pfeffer einen sanft-feurigen Akzent. Saftig, würdig, g’schmackig. Ähnliches darf über die Rahmschnit­zel vom Schweinerü­cken gesagt werden, wobei es der sahnigen Soße ein wenig an Substanz fehlt. Dafür bringt die Soße zur Wirtshaus-Currywurst viel Würze mit, sodass die gegrillte Rote hübsch darin baden kann.

Und zum guten Abschluss dient ein Becher mit einer vogelwilde­n Mischung bunter Früchte – Ananas, Apfelschni­tz und Heidelbeer­en schmiegen sich an ein paar Kugeln Eis. Wie gesagt: sicher alles kein Essen für die Anwartscha­ft eines gastronomi­schen Adelstitel­s. Aber als schmackhaf­tes Seelenfutt­er nach so kargen Zeiten eine echte Wohltat, die auch im schönen Adler-Biergarten bei besserem Wetter gut getan hätte.

Sicher kommen wieder Zeiten, in denen Jasmin Häring nicht mehr den halben Tag nur mit Desinfizie­ren (Speisekart­en, Tische) und Kontrollie­ren (Corona-Test, Impfnachwe­is) beschäftig­t sein wird. Aber auch so tut es ungeheuer gut, endlich wieder Gast sein zu dürfen.

Gasthof Adler

Alte Marktstraß­e 6

88299 Leutkirch-Gebrazhofe­n Tel.: 07563-1307, www.gasthofadl­er-gebrazhofe­n.de

Geöffnet Mittwoch bis Sonntag von 11 bis 21 Uhr, Hauptgeric­hte 7,90-15,90 Euro.

Weitere „Aufgegabel­t“-Folgen: www.schwäbisch­e.de/aufgegabel­t

 ?? FOTO: NYF ?? Herzhafte Kost, die endlich wieder am Wirtshaust­isch verspeist werden darf: Rahmschnit­zel mit Spätzle und Salat.
FOTO: NYF Herzhafte Kost, die endlich wieder am Wirtshaust­isch verspeist werden darf: Rahmschnit­zel mit Spätzle und Salat.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany