Endlich wieder Gast sein dürfen!
Wer so lange gastronomisch ausgehungert worden ist, wer so lange darben musste, dem kommt jetzt der Besuch eines Dorfgasthofs beinah wie eine Audienz auf Schloss Versailles vor. Die rustikale Eiche, der grüngekachelte Ofen, die tiefhängenden Keramiklampen, die roten Vorhänge, das honiggelbe Wirtshausmobiliar – ja selbst die fröhlichen Mitgäste an den Nachbartischen – alles hat plötzlich diesen goldigen Schimmer. Die lachenden Augen der zugewandten Bedienung im Gasthof Adler in Gebrazhofen erst recht. Es fühlt sich nach Leben an, denn der Mensch ist kein Mensch, wenn er nicht ab und zu Gast sein darf.
Am seidenen Faden habe man gehangen während dieser etlichen Monate. Aber jetzt, jetzt sei es Mai und die Hoffnung da, sagt eine sichtlich gerührte Jasmin Häring, die die Bestellung aufnimmt und in deren Rücken ein Stammtisch zur Mittagszeit ausgelassen lärmt. Fast jeder Tisch ist an diesem Mittwoch besetzt. Ein Zeichen gelebter Solidarität, über die sich auch Ehemann und Koch Patrick Häring freut, der die Teller auch gerne mal selbst zum Gast trägt. Und was er da aus seiner Küche an den Tisch liefert, ist vielleicht keine Versailles-Kost, aber ein allgäuerisch-schwäbisches Lebenszeichen allemal. Die Karte ist noch sehr übersichtlich – die gastronomische Wiedererweckung steht ja immer noch unter dem Vorbehalt stabiler Infektionszahlen – aber zum gscheit Reinschmecken reicht’s. Die Flädlesuppe weist den Koch nicht gerade als filigranen Handwerker aus – sind die Flädle doch ein wenig grob geschnitten, ebenso die reichlichen Schnittlauchröllchen. Trotzdem passt diese schlichte Suppenfreude gut ins Menü.
Dass der Chef trotz des eben erst hochgefahrenen Betriebs auch auf Kleinigkeiten achtet, zeigt ein schöner Salatteller mit cremigem Dressing. Die Tomaten sind mit einem Löffelchen grünem Pesto aufgewertet. Und auch der Kartoffelsalat schwätzt vernehmlich, wobei der ein bisschen mehr Würze vertragen hätte. Während am Nebentisch saftige Schnitzel zerteilt und verspeist werden, sind es am eigenen Kässpätzle, die dem Gaumen etwas bieten. Die hauseigene Käsemischung ist eher mild, die geschmälzten Zwiebeln liefern einen süßlichen, grober Pfeffer einen sanft-feurigen Akzent. Saftig, würdig, g’schmackig. Ähnliches darf über die Rahmschnitzel vom Schweinerücken gesagt werden, wobei es der sahnigen Soße ein wenig an Substanz fehlt. Dafür bringt die Soße zur Wirtshaus-Currywurst viel Würze mit, sodass die gegrillte Rote hübsch darin baden kann.
Und zum guten Abschluss dient ein Becher mit einer vogelwilden Mischung bunter Früchte – Ananas, Apfelschnitz und Heidelbeeren schmiegen sich an ein paar Kugeln Eis. Wie gesagt: sicher alles kein Essen für die Anwartschaft eines gastronomischen Adelstitels. Aber als schmackhaftes Seelenfutter nach so kargen Zeiten eine echte Wohltat, die auch im schönen Adler-Biergarten bei besserem Wetter gut getan hätte.
Sicher kommen wieder Zeiten, in denen Jasmin Häring nicht mehr den halben Tag nur mit Desinfizieren (Speisekarten, Tische) und Kontrollieren (Corona-Test, Impfnachweis) beschäftigt sein wird. Aber auch so tut es ungeheuer gut, endlich wieder Gast sein zu dürfen.
Gasthof Adler
Alte Marktstraße 6
88299 Leutkirch-Gebrazhofen Tel.: 07563-1307, www.gasthofadler-gebrazhofen.de
Geöffnet Mittwoch bis Sonntag von 11 bis 21 Uhr, Hauptgerichte 7,90-15,90 Euro.
Weitere „Aufgegabelt“-Folgen: www.schwäbische.de/aufgegabelt