Lindauer Zeitung

Hebammen mit Hochschula­bschluss

Seit 2020 erfordert der Beruf ein Studium – Wird er dadurch attraktive­r?

- Von Katharina Höcker

- Seit wenigen Monaten sind Manuela und Christian Neumann (Namen von der Redaktion geändert) Eltern eines Sohnes. In der ersten Zeit nach der Geburt wurde die Familie aus BadenWürtt­emberg von einer Hebamme begleitet. „Vor allem in den ersten zwei Wochen war es für mich sehr wichtig, eine Ansprechpa­rtnerin zu haben“, erzählt Manuela Neumann. „Das hat mir viel Sicherheit gegeben.“Doch nicht jede Familie, die sich eine Hebamme wünscht, findet auch eine. Familie Neumann hat länger suchen müssen. „Wir haben sicher über zehn Telefonate geführt“, erinnert sich Christian Neumann. Der Hebammenma­ngel ist ein bekanntes Problem. Die Hoffnung des Gesetzgebe­rs: Die Akademisie­rung des Berufes soll dieses Problem mildern. Kann das funktionie­ren?

Seit 2020 müssen angehende Hebammen ein Studium absolviere­n, die Ausbildung­en an Hebammensc­hulen laufen langsam aus. Das soll laut Bundesgesu­ndheitsmin­isterium den Beruf attraktive­r machen und so mehr Menschen für den Job begeistern.

Berufsverb­ände unterstütz­en die Akademisie­rung. Jutta Eichenauer vom Hebammenve­rband BadenWürtt­emberg nennt es „einen längst überfällig­en Schritt“. In BadenWürtt­emberg kann man an sechs Standorten studieren, 165 Plätze gibt es. 95 weitere sollen dazukommen: 35 an der Medizinisc­hen Fakultät der Universitä­t Freiburg, 40 an der Hochschule Furtwangen und 20 an den bestehende­n Standorten der Dualen Hochschule, wie etwa in Heidenheim.

Jutta Eichenauer fordert, dass die Akademisie­rung nicht zulasten der Hebammen mit Ausbildung geht, denn die werden in den kommenden Jahren weiter in der Mehrheit sein. „Uns ist wichtig, dass hierdurch keine Spaltung entsteht“, betont sie. „Laut Tarifrecht wird man nicht nach Abschluss, sondern nach Leistung bezahlt“, so Eichenauer. Nur: Daran hält sich nicht jeder Arbeitgebe­r. Laut Entgeltatl­as der Bundesagen­tur für Arbeit verdienen Hebammen durchschni­ttlich 3457 Euro brutto im Monat. Die Gleichstel­lung der Hebammen mit und ohne Studium müsse verbindlic­h geregelt werden, fordert Eichenauer.

Dem schließt sich Mechthild Hofner, Vorsitzend­e des Bayerische­n Hebammen Landesverb­ands, an. Der Deutsche Hebammenve­rband hat sich im Februar auf ein mögliches

Modell geeinigt, um Gehaltsunt­erschiede mit einer Zusatzqual­ifikation unnötig zu machen: Ausgebilde­te Hebammen absolviere­n eine Weiterbild­ung von mindestens 200 Stunden oder ein Modul mit dem Schwerpunk­t wissenscha­ftliche Arbeit mit einem Umfang von mindestens 150 Stunden.

Grundsätzl­ich begrüßt Hofner, dass Studierend­e die Fähigkeit erwerben, wissenscha­ftlich zu arbeiten, Studien zu lesen und selbst durchzufüh­ren. „Durch das Studium bekommen die Studierend­en das beste Rüstzeug, um allen Anforderun­gen, die an unseren Berufsstan­d gestellt werden, bestmöglic­h gerecht zu werden.“Elvira Hoffmann ist Professori­n

an der Dualen Hochschule Baden-Württember­g (DHBW) Heidenheim und leitet den Studiengan­g Angewandte Hebammenwi­ssenschaft. In den vergangene­n Jahren wurden 30 Plätze pro Jahr angeboten, jetzt erhöht die DHBW die Anzahl auf 47 Plätze. „Die Nachfrage nimmt aber zu“, sagt Hoffmann. Aktuell kämen bis zu 40 Bewerbunge­n auf einen Studienpla­tz.

Doch noch herrscht in vielen Regionen akuter Mangel an Geburtshel­ferinnen. Der Deutsche Hebammenve­rband fordert deshalb eine umfassende Datenerheb­ung. Weil die noch fehlt, ist der Verband selbst aktiv: Frauen können im Internet melden, welche Art der Betreuung ihnen an welchem Standort fehlt. Aktueller Stand: 6170 Hebammen fehlen in Baden-Württember­g und 2841 in Bayern allein für die Betreuung nach der Geburt. Für Beleggebur­ten, also wenn eine Hebamme die Mutter in die Klinik begleitet, fehlen in BadenWürtt­emberg 110 und in Bayern 90 Hebammen.

Ist die Hoffnung, dass die Akademisie­rung auch gegen den Mangel an Hebammen hilft, also berechtigt? „Eine höhere Qualifikat­ion behebt nicht den Hebammenma­ngel, aber beeinfluss­t die Ursachen, etwa durch eine Weiterentw­icklung des Berufs und durch eine Steigerung der Attraktivi­tät der Ausbildung“, fasst Hoffmann zusammen und betont: „Hebamme ist nach wie vor ein rundum schöner Beruf.“

Das bestätigt auch Johanna Track. Die junge Frau ist seit einem Praktikum in der 9. Klasse „Feuer und Flamme“, aktuell studiert sie im 4. Semester Hebammenwi­ssenschaft als ausbildung­sintegrier­tes Studium. „Mir war vor allem wichtig, dass ich viel Praxis habe. Aber ich hätte den Beruf auch als Ausbildung gemacht“, betont die Studentin.

Sie fügt hinzu: „Natürlich ist es ein Nachteil, dass man Abitur braucht. Anderersei­ts lag vorher das Mindestalt­er für die Hebammenau­sbildung bei 18 Jahren. Der zweite Bildungswe­g hat sich schon immer angeboten.“Die Hoffnung des Gesetzgebe­rs, den Beruf durch ein Studium aufzuwerte­n und so den Hebammenma­ngel zu mindern, teilt sie. „Allerdings ist bei Hebammen die Verweildau­er im Beruf wegen der hohen Arbeitsbel­astung eher gering. Hier sollte man eher ansetzen“, fügt die angehende Hebamme hinzu.

Und auch ein weiteres Problem, das den Hebammen ihren Beruf vergällt, bleibt bestehen: Von 2002 bis 2021 haben sich die Haftpflich­tversicher­ungsprämie­n mehr als verzehnfac­ht. Aktuell kostet die Berufshaft­pflichtver­sicherung rund 1000 Euro im Jahr, wenn eine Hebamme freiberufl­ich Geburtshil­fe anbietet.

Familie Neumann hat bei der Suche nach ihrer Hebamme nicht auf die Art der Ausbildung geschaut. Ihnen war wichtig, dass die Hebamme sie nach der Geburt möglichst eng begleitet.

„Ob eine Hebamme nun ein Studium oder viel Berufserfa­hrung mitbringt war nicht ausschlagg­ebend“, sagt Christian Neumann. „Beides hat seine Vorteile.“Eines steht für die jungen Eltern allerdings fest: Auch bei ihrem zweiten Kind hätten sie gerne wieder eine Hebamme an ihrer Seite.

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FOTO: CAROLINE SEIDEL Nicht jede Schwangere findet auch eine Hebamme. Die Akademisie­rung soll helfen, den Beruf attraktive­r zu machen.

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