Profitables Herumbasteln am Kartellrecht
Anwälte werfen Bund und Ländern vor, sich Vorteile im Streit mit privaten Firmen zu verschaffen – Holzstreit im Südwesten Auslöser
- Wollen sich Bund und Länder durch einen Trick von lästigen Schulden befreien? Ja, sagt der Hamburger Anwalt Rüdiger Lahme. Er wittert einen Skandal. Sollten die Vorwürfe zutreffen, könnte womöglich auch Baden-Württemberg profitieren und Hunderte von Millionen Euro sparen. Dies würde zumindest ein Gesetzesentwurf ermöglichen, der gegenwärtig dem Bundestag vorliegt. Er nennt sich bürokratisch spröde „Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt“.
Generell geht es bei dem Gesetzesentwurf um eine Neuregelung von Inkasso-Tätigkeiten, also die Arbeit von Schuldeneintreibern. Ein Feld davon betrifft auch das Kartellrecht. Der Entwurf sieht vor, dass InkassoDienstleistungen in diesem Bereich nicht mehr statthaft sein sollen. Für das Land Baden-Württemberg wäre so eine Reglung Gold wert. Hintergrund ist das einstige „Rundholzkartell“.
Im Südweststaat sowie den Ländern Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen und Thüringen hatte der jeweilige staatliche Forst über Jahrzehnte nicht nur die Vermarktung des eigenen Holzes übernommen, sondern auch die der Bäume aus privaten Wäldern. Der Staat verkaufte also nicht nur eigenes Holz, sondern auch von anderen Waldeigentümern. Die Sägewerksindustrie betrachtete dies als Kartell, weil sich die Preise nicht in Konkurrenz wie auf einem freien Markt entwickeln konnten. Sie seien zu hoch gewesen, bemängelten die Säger.
Das Bundeskartellamt gab ihnen recht und erklärte das Modell für rechtswidrig. Vor eineinhalb Jahren beendete Baden-Württemberg deshalb die frühere Praxis beim Holzvermarkten. 36 Sägebetriebe aus dem Südwesten haben jedoch Klage auf Schadenersatz erhoben. Sie sehen Verluste, weil sie über viele Jahre hinweg womöglich überteuertes Holz aufkaufen mussten. Insgesamt steht eine Summe für alle betroffenen Bundesländer in Höhe von mindestens 830 Millionen Euro im Raum. Eine Inkasso-Gesellschaft macht die Ansprüche geltend.
Nun kommt aber der besagte Gesetzesentwurf ins Spiel. Noch vor den ersten Beratungen im Bundesrat vergangenes Jahr geschah laut eines Schreibens des Anwaltes Lahmes an die Presse folgendes: Der Rechtsausschuss sowie der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz empfahlen, Inkasso-Dienstleistern künftig keine Dienstleistungen im Kartellrecht mehr zu ermöglichen. Wobei im Agrarausschuss jene Ministerien vertreten waren, die bei einem Erfolg der Schadenersatzklage in ihre Kassen greifen müssten. In Baden-Württemberg ist dies das Landwirtschaftsministerium.
Würde das Gesetz in dieser Art und Weise verabschiedet, hätte sich die Schadenersatzklage erledigt. Weshalb Lahme eine Verletzung der Gewaltenteilung beklagt. Die vom
„Rundholzkartell“betroffenen Länder würden verfassungswidrig Einfluss auf die Rechtsprechung nehmen.
Lahme gehört zur global tätigen Kanzlei Quinn Emanuel Urquhart&Sullivan. Diese ist unter anderem auf dem Gebiet der standardisierten und digitalisierten Form von Inkasso-Dienstleistungen tätig. Eine lukrative Verdienstmöglichkeit für entsprechend spezialisierte Anwaltsbüros. Vom Grundprinzip her treten Geschädigte ihre Einzelforderungen an solche Kanzleien ab. Sie bündeln sie dann zu riesigen Schadenersatzklagen.
Der Rechts- und der Agrarausschuss des Bundesrates meinen jedoch, dass ausgesuchte Rechtsgebiete
im Kartellrecht zu komplex für diese Art von Inkasso-Dienstleistungen seien. Dies gelte ebenso im Hinblick auf ihre hohe Bedeutung fürs Gemeinwohl und die Rechtspflege. Volkstümlich ausgedrückt könnte man vielleicht sagen, dass sich nicht jegliches rechtliche Problem dazu eignet, über einen Kamm geschoren zu werden – und solch angesprochenen Inkasso-Dienstleistungen schon gar nicht.
Lahme hält das Vorgehen im Bundesrat jedoch für einen „fadenscheinigen Versuch“der beklagten Länder, nichts an die Sägewerke zahlen zu müssen. Die Begründung der Bundesratsausschüsse kann der Anwalt nicht nachvollziehen. Er spricht mit Blick auf entsprechende Kanzleien
„von spezialisierten Anbietern mit der nötigen Erfahrung und den erforderlichen Ressourcen“. Einzelne Geschädigte hätten in der Regel weder das eine noch das andere.
Zudem würden sich im akuten Fall des „Rundholzkartells“die Länder von spezialisierten Großkanzleien vertreten lassen. Ohne Bündelung ihrer Ansprüche hätten die Säger keine Chance.
Dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass es in Deutschland bisher „keinen wirksamen kollektiven Rechtsdurchsetzungsmechanismus“gebe.
Er meint damit Gruppenklagen. Letztlich soll dies heißen, das Abtreten von Ansprüchen an juristische Dienstleister fülle das vermeintliche 2020 trat in Baden-Württemberg eine große Forstreform in Kraft. Einer der Gründe war das Kartellverfahren. Mitarbeiter im Landesdienst bewirtschafteten auch Wälder von Privaten, Städten und Landkreisen und verkauften auch deren Holz. Dafür verlangten sie zwar Gebühren, die aber nicht kostendeckend waren. Das sei ein erheblicher Nachteil für andere Anbieter von Holz, die Personal zu marktüblichen Preisen einstellen müssten. Letztlich verhindere das Modell, dass sich ein Holzmarkt entwickle, so die Behörde. Die Reform im Südwesten war außerdem notwendig, weil das Bundeswaldgesetz Änderungen vorgab. Die staatlichen Wälder bewirtschaftet nun mit ForstBW eine eigenständige Anstalt des öffentlichen Rechts. Mitarbeiter verkaufen nur noch Holz aus diesen Wäldern. Beratungen für private Waldbesitzer und Kommunen leisten die Forstbehörden des Landes. Andere Dienstleistungen werden angeboten, aber kostendeckend abgerechnet. Allerdings können Waldbesitzer rund 70 Prozent der Kosten über Fördergeld refinanzieren. Außerdem traten strengere Vorgaben für eine klimagerechte Bewirtschaftung aller Wälder in Kraft. (tja)
Manko. Wobei Lahme eine schriftliche Anfrage der „Schwäbische Zeitung“zur Rolle seiner Kanzlei unbeantwortet ließ.
Von den betroffenen Bundesländern will gegenwärtig keines Stellung zu den Vorwürfen nehmen. So verweist etwa das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium „auf ein laufendes Verfahren“, zu dem man nichts sagen könne. In juristischen Fachkreisen scheint die Wertung des Vorgehens aber auch noch nicht abgeschlossen zu sein. So schreibt Nicolas Lührig im „Anwaltsblatt“, unklar sei, ob hier die Gerichte geschont werden sollen oder die Kartellanten, die durch Preisabsprachen überhöhte Preise von ihren Kunden gefordert hätten.