Mehr Geld für Pflegekräfte, mehr Entlastung für Bedürftige
Koalition einigt sich auf einen Entwurf für die Pflegereform – Opposition gehen Neuerungen nicht weit genug
(dpa/AFP) - Im Ringen um eine Pflegereform mit einer besseren Bezahlung von Pflegekräften kommen die Verhandlungen in der Bundesregierung voran. Laut einem neuen Entwurf sollen Versorgungsverträge ab 1. September 2022 nur noch mit Einrichtungen abgeschlossen werden dürfen, die nach Tarifverträgen oder mindestens in entsprechender Höhe bezahlen. Um Pflegebedürftige von steigenden Zuzahlungen zu entlasten, sind zugleich zum 1. Januar 2022 Zuschläge geplant. Der Entwurf lag der Deutschen PresseAgentur am Sonntag vor, zuvor hatten die „Ärzte Zeitung“und die „Bild am Sonntag“berichtet.
Das federführende Gesundheitsministerium erklärte am Sonntag auf Anfrage, der Entwurf sei noch Gegenstand regierungsinterner Beratungen. Es gebe noch keinen abschließenden Entwurf. Zur Gegenfinanzierung ist darin ein Bundeszuschuss zur Pflegeversicherung von jährlich einer Milliarde Euro ab 2022 vorgesehen. Zudem soll der Zuschlag für Kinderlose beim Pflegebeitrag um 0,1 Punkte angehoben werden. Er liegt bisher bei 0,25 Prozentpunkten.
Eine bessere Bezahlung dringend benötigter Pflegekräfte ist erklärtes Ziel der Großen Koalition. In der Altenpflege mit rund 1,2 Millionen Beschäftigten bekommt laut Arbeitsministerium nur knapp die Hälfte Tariflohn. Ein Anlauf für einen Tarifvertrag, den Ressortchef Hubertus Heil (SPD) für die ganze Branche verbindlich machen wollte, war zu Jahresbeginn gescheitert. Zugleich steigen selbst zu zahlenden Anteile für Pflegebedürftige im Heim, sie liegen nun bei 2068 Euro pro Monat im
Bundesschnitt. Darin ist zum einen der Eigenanteil für die reine Pflege enthalten. Denn die Pflegeversicherung trägt – anders als die Krankenversicherung – nur einen Teil der Kosten. Für Heimbewohner kommen aber noch Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen der Einrichtungen dazu.
Nach den von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf den Weg gebrachten Plänen soll der Eigenanteil für die reine Pflege künftig im zweiten Jahr im Heim um 25 Prozent sinken, im dritten Jahr um 50 Prozent und ab dem vierten Jahr um 75 Prozent. Kritik an den Plänen zur Tarifbezahlung kam von der Gewerkschaft
Verdi. Es sei offen, ob sie überhaupt auf breiter Front zu einem überfälligen Anstieg der Löhne führen würden. „Es muss sichergestellt werden, dass die Bezugnahme ausschließlich auf relevante Flächentarifverträge erfolgt“, forderte Gewerkschaftschef Frank Werneke.
Politikerinnen und Politiker der Opposition im Bundestag haben sich enttäuscht von den Plänen der schwarz-roten Koalition gezeigt. Grüne und Linke bemängelten am Sonntag gegenüber der Nachrichtenagentur AFP die anvisierte Entlastung der Pflegebedürftigen beim Eigenanteil als unzureichend und forderten eine flächendeckende gesetzliche Verankerung von Tariflöhnen in der Pflege. Die FDP zweifelte die finanzielle Solidität der Pläne an und kritisierte insbesondere die geplante Erhöhung des Pflegeversicherungsbeitrags für Kinderlose. „Die Pflegereform enthält zwar Verbesserungen, bleibt aber hinter dem Notwendigen zurück“, sagte Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow der AFP. „Für die Beschäftigten, deren Arbeitgeber schlechte Tarifverträge mit ihnen hörigen Pseudogewerkschaften abschließen, ändert sich wenig bis nichts“, kritisierte sie. „Sinnvoll wäre ein allgemeinverbindlicher Flächentarifvertrag in der Pflege.“
Zudem forderte Hennig-Wellsow einen Gehaltsbonus von 500 Euro im Monat für Pflegebeschäftigte und eine „Pflegevollversicherung, in die alle einzahlen“. Die geplante Deckelung des Eigenanteils reiche nicht aus, Pflegebedürftige und ihre Angehörigen würden trotz Reform „weiter enorm belastet“. Ähnliche Kritik äußerte die pflege- und altenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Kordula SchulzAsche. Sie nannte den Entwurf „halbherzig“. Grundsätzlich sei zwar zu begrüßen, dass es ab 2022 einen jährlichen Steuerzuschuss von einer Milliarde Euro für die Pflegeversicherung geben solle, sagte SchulzAsche. Dieser werde aber „nicht reichen, um die Herausforderungen des demografischen Wandels zu bewältigen“. Es sei „versäumt worden, die Tariflöhne gesetzlich flächendeckend zu verankern“, kritisierte die Grünen-Abgeordnete. Dass der Entwurf eine Evaluation der Tariflage erst am Ende der nächsten Legislaturperiode vorsehe, sei „eine Unverschämtheit für die Fachkräfte“.