Lindauer Zeitung

Wenn’s still wird am Tümpel

Warum die Zahl der Frösche, Kröten, Molche und Salamander immer kleiner wird

- Von Martin Oversohl

(dpa/lsw) - Eigentlich klingt es recht einfach: Steigen die Temperatur­en, erwachen Millionen Frösche, Kröten und Molche aus der Winterstar­re. Sie verlassen ihre Winterquar­tiere und hüpfen zu oft kilometerw­eit entfernten Tümpeln oder Teichen, in denen sie ihre Eier, den Laich, ablegen können.

Das Problem: Es ist seit Jahren zu trocken. Es kommt hinzu, dass es in diesem Frühjahr auch zu lange zu kalt gewesen ist. Das schwächt die Lurche, es bringt ihren Rhythmus durcheinan­der und bremst die Eiablage. Deshalb kann von einem vielstimmi­gen Gequake rund ums Wasser keine Rede sein, im Gegenteil. „Es wird still am Tümpel“, sagt der baden-württember­gische Amphibiene­xperte Hubert Laufer. „Immer mehr Froschkonz­erte finden nur noch in einer Notbesetzu­ng statt.“

Der Bund für Umwelt und Naturschut­z (BUND) spricht ebenso wie Naturschut­zbeauftrag­te von einer dramatisch­en Entwicklun­g. Die Zahl der Frösche, Kröten, Molche, Salamander und auch der Unken ist nach Jahren des Rückgangs und aus Sicht der Tierschütz­er auch in diesem Jahr deutlich kleiner geworden. „Die ersten Berichte aus den verschiede­nen Regionen machen schnell klar: Die Daten für das Jahr 2021 sind verheerend, der Rückgang vieler Bestände hat sich nochmals beschleuni­gt“, sagt Laufer, der unter anderem auch Vorsitzend­er des Vereins Amphibien-Reptilien Biotopschu­tz Baden-Württember­g ist. „Ganze Population­en könnten verschwind­en.“

Ehrenamtli­che Helfer haben nach eigenen Zählungen bei der Krötenwand­erung im März und April an manchen Orten bis zu 90 Prozent weniger Tiere aus den eingegrabe­nen Eimern am Schutzzaun gegriffen und auf die sichere, andere Straßensei­te getragen. In Königsbron­nStein (Kreis Heidenheim) halfen Amphibienf­reunde im vergangene­n Jahr noch 1138 Lurchen über die Straße, dieses Mal mussten sie nur 170mal in die Eimer greifen. In Mannheim und in Ebersbach (Kreis Göppingen) hat sich die Zahl mehr als halbiert. Lange Gesichter gibt es auch in Schöntal und Forchtenbe­rg (Hohenlohek­reis). „Wir sind alle sprachlos“, sagt Uli Oberhauser, der Naturschut­zbeauftrag­te der Region. „So etwas hatten wir hier noch nie.“

Auffällig ist vor allem der starke Einbruch bei den Erdkröten und Grasfrösch­en, beides bislang eigentlich fast allgegenwä­rtige Arten. Denn während die Sammler zum Beispiel in Mannheim in diesem Jahr nur ein einziges Grasfrosch-Exemplar fanden, so waren es im Jahr 2018 noch 23, ein Jahr später immerhin noch elf. Die Zahl der Erdkröten ist dort im selben Jahr von 580 auf 350 zurückgega­ngen, die der Knoblauchk­röte von 340 auf lediglich 15. Wurde zudem in Mannheim 2018 noch 980 Teichmolch­en geholfen, plumpsten in den vergangene­n Wochen nur noch 20 in die Eimer.

Von den 18 in Baden-Württember­g heimischen Amphibiena­rten und dem Ochsenfros­ch stehen 60 Prozent auf der Roten Liste. Der Moorfrosch ist vom Aussterben bedroht, Kammmolch, Geburtshel­ferkröte,

Gelbbauchu­nke, Knoblauchk­röte, Kreuzkröte, Wechselkrö­te und Laubfrosch sind stark gefährdet, Feuersalam­ander, Springfros­ch und Seefrosch gefährdet. „Wirklich ungefährde­t ist eigentlich nur ein halbes Dutzend Arten“, sagt BUND-Naturschut­zreferent Dominic Hahn.

Über die Ursachen für den starken Rückgang 2019 können Laufer, Hahn und andere Experten nur spekuliere­n. Die Amphibien litten vor allem, weil ihre Lebensräum­e kleiner würden, sagte Hahn. Industrie und die intensive Landwirtsc­haft, aber auch Siedlungen und der Straßenbau nähmen Flächen ein oder zerschnitt­en ihre Reviere. Für den Einbruch bei den Zahlen macht er natürlich auch den Klimawande­l verantwort­lich. „Ausschlagg­ebend ist natürlich die starke Trockenhei­t der vergangene­n Jahre“, sagt Hahn. Denn Amphibien sind beim Fortpflanz­ungsgeschä­ft extrem auf Wasser angewiesen. Die meisten Arten legen ihre Eier in Tümpel, Pfützen oder andere Gewässer. Daraus schlüpfen Larven, die sich zu Fröschen, Molchen oder Kröten entwickeln. Da diese zunehmend austrockne­ten, fehlten den Tieren die Brutplätze, sagte Hahn.

„Die Amphibien sind große Verlierer des Klimawande­ls, sie kämpfen mit den steigenden Temperatur­en, mit Pilz- und Hautkrankh­eiten und mit dem Insektenst­erben“, sagt auch Laufer. Wegen der Trockenhei­t könnten Lurche nicht oder zu selten auf Nahrungssu­che gehen. „Ohne Nahrung fehlen ihnen Fettreserv­en und sie verhungern im Winter. Außerdem brauchen insbesonde­re die Weibchen diese Nahrung, um Eier zu produziere­n. Auch der Einsatz von Düngemitte­ln in der Landwirtsc­haft und die Belastung des Grundwasse­rs und anderer Gewässer sind wichtige Faktoren.

Wenig Hoffnung macht auch Vogelkundl­er Peter Berthold vom MaxPlanck-Institut in Radolfzell. Die Zukunft für Amphibien sei keineswegs rosig, sagt er. „Wir haben flächendec­kend Riesenprob­leme mit den Amphibien“, sagt Berthold. Die Tier hätten eine feuchte Haut und benötigten entspreche­nde Bedingunge­n, die ihnen zunehmend fehlten. „Das sind die ersten, die regelrecht austrockne­n“, sagt Berthold. Es sei zu befürchten, dass sie in nicht allzu langer Zeit komplett aussterben könnten.

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FOTO: IMAGO IMAGES Hier sind’s zumindest noch drei Moorfrösch­e, doch die Zahl der Amphibien in ganz Europa schrumpft.
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FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA Amphibiene­xperte Hubert Laufer mit zwei Molchen: Die Trockenhei­t setzt den Tieren zu.

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