Wenn’s still wird am Tümpel
Warum die Zahl der Frösche, Kröten, Molche und Salamander immer kleiner wird
(dpa/lsw) - Eigentlich klingt es recht einfach: Steigen die Temperaturen, erwachen Millionen Frösche, Kröten und Molche aus der Winterstarre. Sie verlassen ihre Winterquartiere und hüpfen zu oft kilometerweit entfernten Tümpeln oder Teichen, in denen sie ihre Eier, den Laich, ablegen können.
Das Problem: Es ist seit Jahren zu trocken. Es kommt hinzu, dass es in diesem Frühjahr auch zu lange zu kalt gewesen ist. Das schwächt die Lurche, es bringt ihren Rhythmus durcheinander und bremst die Eiablage. Deshalb kann von einem vielstimmigen Gequake rund ums Wasser keine Rede sein, im Gegenteil. „Es wird still am Tümpel“, sagt der baden-württembergische Amphibienexperte Hubert Laufer. „Immer mehr Froschkonzerte finden nur noch in einer Notbesetzung statt.“
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) spricht ebenso wie Naturschutzbeauftragte von einer dramatischen Entwicklung. Die Zahl der Frösche, Kröten, Molche, Salamander und auch der Unken ist nach Jahren des Rückgangs und aus Sicht der Tierschützer auch in diesem Jahr deutlich kleiner geworden. „Die ersten Berichte aus den verschiedenen Regionen machen schnell klar: Die Daten für das Jahr 2021 sind verheerend, der Rückgang vieler Bestände hat sich nochmals beschleunigt“, sagt Laufer, der unter anderem auch Vorsitzender des Vereins Amphibien-Reptilien Biotopschutz Baden-Württemberg ist. „Ganze Populationen könnten verschwinden.“
Ehrenamtliche Helfer haben nach eigenen Zählungen bei der Krötenwanderung im März und April an manchen Orten bis zu 90 Prozent weniger Tiere aus den eingegrabenen Eimern am Schutzzaun gegriffen und auf die sichere, andere Straßenseite getragen. In KönigsbronnStein (Kreis Heidenheim) halfen Amphibienfreunde im vergangenen Jahr noch 1138 Lurchen über die Straße, dieses Mal mussten sie nur 170mal in die Eimer greifen. In Mannheim und in Ebersbach (Kreis Göppingen) hat sich die Zahl mehr als halbiert. Lange Gesichter gibt es auch in Schöntal und Forchtenberg (Hohenlohekreis). „Wir sind alle sprachlos“, sagt Uli Oberhauser, der Naturschutzbeauftragte der Region. „So etwas hatten wir hier noch nie.“
Auffällig ist vor allem der starke Einbruch bei den Erdkröten und Grasfröschen, beides bislang eigentlich fast allgegenwärtige Arten. Denn während die Sammler zum Beispiel in Mannheim in diesem Jahr nur ein einziges Grasfrosch-Exemplar fanden, so waren es im Jahr 2018 noch 23, ein Jahr später immerhin noch elf. Die Zahl der Erdkröten ist dort im selben Jahr von 580 auf 350 zurückgegangen, die der Knoblauchkröte von 340 auf lediglich 15. Wurde zudem in Mannheim 2018 noch 980 Teichmolchen geholfen, plumpsten in den vergangenen Wochen nur noch 20 in die Eimer.
Von den 18 in Baden-Württemberg heimischen Amphibienarten und dem Ochsenfrosch stehen 60 Prozent auf der Roten Liste. Der Moorfrosch ist vom Aussterben bedroht, Kammmolch, Geburtshelferkröte,
Gelbbauchunke, Knoblauchkröte, Kreuzkröte, Wechselkröte und Laubfrosch sind stark gefährdet, Feuersalamander, Springfrosch und Seefrosch gefährdet. „Wirklich ungefährdet ist eigentlich nur ein halbes Dutzend Arten“, sagt BUND-Naturschutzreferent Dominic Hahn.
Über die Ursachen für den starken Rückgang 2019 können Laufer, Hahn und andere Experten nur spekulieren. Die Amphibien litten vor allem, weil ihre Lebensräume kleiner würden, sagte Hahn. Industrie und die intensive Landwirtschaft, aber auch Siedlungen und der Straßenbau nähmen Flächen ein oder zerschnitten ihre Reviere. Für den Einbruch bei den Zahlen macht er natürlich auch den Klimawandel verantwortlich. „Ausschlaggebend ist natürlich die starke Trockenheit der vergangenen Jahre“, sagt Hahn. Denn Amphibien sind beim Fortpflanzungsgeschäft extrem auf Wasser angewiesen. Die meisten Arten legen ihre Eier in Tümpel, Pfützen oder andere Gewässer. Daraus schlüpfen Larven, die sich zu Fröschen, Molchen oder Kröten entwickeln. Da diese zunehmend austrockneten, fehlten den Tieren die Brutplätze, sagte Hahn.
„Die Amphibien sind große Verlierer des Klimawandels, sie kämpfen mit den steigenden Temperaturen, mit Pilz- und Hautkrankheiten und mit dem Insektensterben“, sagt auch Laufer. Wegen der Trockenheit könnten Lurche nicht oder zu selten auf Nahrungssuche gehen. „Ohne Nahrung fehlen ihnen Fettreserven und sie verhungern im Winter. Außerdem brauchen insbesondere die Weibchen diese Nahrung, um Eier zu produzieren. Auch der Einsatz von Düngemitteln in der Landwirtschaft und die Belastung des Grundwassers und anderer Gewässer sind wichtige Faktoren.
Wenig Hoffnung macht auch Vogelkundler Peter Berthold vom MaxPlanck-Institut in Radolfzell. Die Zukunft für Amphibien sei keineswegs rosig, sagt er. „Wir haben flächendeckend Riesenprobleme mit den Amphibien“, sagt Berthold. Die Tier hätten eine feuchte Haut und benötigten entsprechende Bedingungen, die ihnen zunehmend fehlten. „Das sind die ersten, die regelrecht austrocknen“, sagt Berthold. Es sei zu befürchten, dass sie in nicht allzu langer Zeit komplett aussterben könnten.