Expertin der Lichtmalerei
Die vergessene Schweizer Impressionistin Martha Stettler ist in Achberg zu entdecken
- Wenigen Frauen war es zu Beginn des letzten Jahrhunderts vergönnt, als Künstlerin professionell tätig zu sein. Die aus dem Berner Bürgertum stammende Martha Stettler (1870-1945) hatte das Glück, dass ihr Vater selber künstlerisch tätig war und die Begabung seiner Tochter förderte. Es gab keine Diskussionen um die Ausbildung der Tochter zur Malerin, als diese 1893 mit einer Freundin nach Paris zog. Im Zentrum der künstlerischen Moderne schuf die Bernerin ein eigenständiges Werk, nahm rege am Kunstbetrieb teil und wurde mehrfach ausgezeichnet.
Dennoch ist sie heute fast vollständig vergessen. In Paris, dem wichtigsten Ort ihres Wirkens, war Martha Stettlers Werk seit ihrem Tod nicht mehr präsent. Einzig das Kunstmuseum Bern hat ihr im Jahr 2018 eine große Retrospektive gewidmet, in der deutlich wurde, dass sie eine brillante Impressionistin und eine engagierte Vorreiterin für die künstlerische Ausbildung der Frauen war. Jetzt ist diese Schau in aktualisierter Form mit rund 150 Exponaten in Schloss Achberg zu sehen. Kuratiert wurde sie von Corinne Linda Sotzek aus der Schweiz, die auch für die Präsentation im Berner Kunstmuseum verantwortlich war.
Martha Stettler hat zeitlebens zwischen ihrer Wahlheimat Paris und den Schweizer Orten ihrer Familie gewechselt und dort auch immer gemalt. Betrachtet man die Bilder der Ausstellung, wird allerdings schnell klar, dass sie ihr Hauptwerk in Paris geschaffen hat. Hier fand sie ihre Vorbilder. Hier hat sie die Meister des Impressionismus und der frühen Avantgarde studiert und schon bald zu ihrem eigenen, qualitativ hochwertigen Stil gefunden.
Spielende Kinder im Park, der Garten vor dem Atelier, Interieurs und Pariser Architektur – das sind die wichtigsten Motive von Martha Stettler. Vor deren Präsenz treten die Bilder der Schweizer Alpen, die sie bei ihren Familienbesuchen malte, in den Hintergrund. Immer wieder variiert sie Blickpunkte in den Tuilerien oder im Jardin du Luxembourg und komponiert mit kühnen Perspektiven.
Mal wählt sie einen erhöhten Standpunkt, von dem aus sie das Geschehen überblickt, mal betrachtet sie das Ganze aus der Perspektive der Kinder. Den Spiegelungen des Wassers widmet die Künstlerin große Aufmerksamkeit. Mit einem nuancenreichen Kolorit bricht sich das Licht auf der Oberfläche – aus der Nähe betrachtet, ist das fast schon abstrakte Malerei. Besondere Beachtung schenkt sie auch den Sonnenflecken in ihren Bildern. Sie ist wahrlich eine Meisterin der Lichtmalerei.
Und sie hat eine Vorliebe für die Architektur der städtischen Parkanlagen beziehungsweise der Salons. So verschachtelt sie etwa die Innenräume gern mittels Vorhängen, Möbeln und Spiegeln und dehnt die Räumlichkeiten auf diese Weise raffiniert aus. Martha Stettler brachte die Beziehung zur Architektur von zu Hause mit. Ihr Vater war von Beruf Architekt.
Auffällig ist ebenfalls, mit welcher Hingabe die Künstlerin die Kleider ihrer Figuren im Bild festhält. Die Stofflichkeit eines Kleides, auf dem sich Licht und Schatten spiegeln oder in dem der Wind spielt, wird zum beherrschenden Sujet. Besonders schöne Beispiele in Achberg sind „Les petites mamans“oder „Les petits bateaux“, beide entstanden im Jahr 1908.
In einer Zeit, in der Abstraktion und Kubismus für Furore sorgen, bleibt Martha Stettler dem Impressionismus
und ihren Motiven treu. Vielleicht war das einer der Gründe, weshalb sie sich in den 1920er-Jahren aus dem Ausstellungsbetrieb zurückzog und dann ihrer zweiten Profession widmete: der Leitung der Académie de la Grande Chaumière.
Martha Stettler war Mitbegründerin der berühmten Privatschule, die bis heute existiert und aus der einige der Großen der Moderne, wie Alberto Giacometti, Alexander Calder und Louise Bourgeois, hervorgegangen sind.
Ihr Engagement galt besonders der Ausbildung der Frauen. Sie, die selbst gefördert worden war, setzte sich zeitlebens für die Rechte der Künstlerinnen ein und das zu einem Zeitpunkt, als Ferdinand Hodler nach wie vor den Frauen den Zugang zum Schweizer Berufsverband der Maler und Bildhauer verhinderte.
Martha Stettler – Eine Schweizer Impressionistin in Paris.
Dauer der Ausstellung: bis Sonntag, 18. Juli, Öffnungszeiten:
Fr. 14-18 Uhr, Sa., So. und Fei.
11-18 Uhr. Weitere Infos unter www.schloss-achberg.de