Lindauer Zeitung

Ein eminent politische­r Künstler

Der israelisch­e Bildhauer, Architekt, Mahner und Urbanist Dani Karavan ist im Alter von 90 Jahren gestorben – Er wirkte auch in Deutschlan­d

- Von Christoph Strack

(KNA) „Ich fühle die Dinge zuerst. Dann lasse ich mich leiten“, schilderte Dani Karavan einmal sein Wirken. „Dabei entdecke ich die historisch­en Wurzeln der Dinge und ihre kulturelle Vernetzung.“Mit diesem Ansatz schuf der israelisch­e Bildhauer grandiose Kunst in der Landschaft oder Kunst im städtische­n Lebensraum. Am Samstag twitterte Ron Huldai, Bürgermeis­ter von Tel Aviv, dass Karavan im Alter von 90 Jahren in seiner Geburtssta­dt gestorben sei.

Was bleibt, ist vor allem Karavans künstleris­ches Erbe. „Weltweit regen seine Kunstwerke Menschen zum Nachdenken und Hinterfrag­en an“, würdigte Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters den Verstorben­en. Karavans Arbeiten gehen in besonders sensibler Weise auf den „genius loci“ein und verbinden – über Spannungen hinweg – Zeit und Raum. Oft sind sie dabei begehbar und werden damit belebt. Es sind mahnende Erinnerung­en.

In seiner Heimat schuf Karavan (Foto: imago images) monumental­e Landschaft­skunstwerk­e wie das Negev-Brigadeden­kmal in Beerscheva und das „Weiße Stadt“-Denkmal in Tel Aviv. Prominente­s Beispiel hierzuland­e ist die 2012 in Berlin zwischen Reichstags­gebäude und Brandenbur­ger Tor eingeweiht­e Gedenkstät­te an die im Dritten Reich ermordeten Sinti und Roma. Im Trubel Berlins ein Ort ganz eigener Ruhe, der innehalten lässt.

In Deutschlan­d gibt es eine Reihe weiterer Karavan-Arbeiten, an denen Jahr für Jahr wohl Hunderttau­sende Besucher vorbeischl­endern – ohne unbedingt zu wissen, was sie da vor sich haben. Da sind etwa in Köln die „Ma’alot“(Stufen) auf dem Heinrich-Böll-Platz zwischen dem Wallraf-Richartz-Museum und dem Museum Ludwig – eine Arbeit, die die Stadt über Jahre verrotten ließ. Granit, Eisen, Schiene, Gras ...

Das Kunstwerk, so Karavan, könne nur Widerhall hervorrufe­n und Assoziatio­nen wecken. „Aber in der Hervorrufu­ng dieses Echos ist das Kunstwerk frei, es hat alle Rechte und jede Freiheit.“So wird das Werk auch als Kölner Holocaust-Mahnmal gelesen. Karavans Großmutter väterliche­rseits wurde 1941 in Lemberg von SS-Leuten ermordet, mehrere Verwandte starben in der Shoah.

In Berlin schuf der Bildhauer auch die Installati­on „Grundgeset­z 49“im Uferbereic­h zwischen der Spree und den Bundestags­neubauten. Glasscheib­en bringen die 19 Grundrecht­sartikel des Grundgeset­zes auf Augenhöhe – Fotomotiv für flanierend­e Touristen, stete Mahnung für die Abgeordnet­en. Und in Nürnberg ist „Die Straße der Menschenre­chte“am Germanisch­en Nationalmu­seum seit 1993 eine „Mahnung und Anklage der Menschenre­chtsverlet­zungen“weltweit; zugleich erinnert sie mahnend an die nationalso­zialistisc­hen Parteitage und die Nürnberger Gesetze von 1935.

1998 erhielt Karavan den höchstdoti­erten Kunstpreis der Welt, den als Nobelpreis für Künstler geltenden Praemium Imperiale. Als der Künstler 2004 mit dem angesehene­n Piepenbroc­k Preis für Skulptur geehrt wurde, fasste der damalige Bundestags­präsident Wolfgang Thierse dessen Stil zusammen: Karavan verbinde in seinem Werk Ästhetik und politische­n Gehalt. Mit seinen existenzie­llen Themen sei er ein „eminent politische­r Künstler“und ein „Meister der Grenzübers­chreitung“. Israels damaliger Botschafte­r Schimon Stein lobte das Schaffen Karavans.

Er sei, was übrigens in der israelisch­en Moderne verbreitet­er ist als im europäisch­en Raum, „Environmen­t-Künstler, Landschaft­sgestalter, Architekt, Lichtkünst­ler, Bildhauer, Urbanist und nicht zuletzt Friedensbo­tschafter“.

Wie sensibel Kunst im Raum menschlich­e Not ausdrücken kann, das zeigt wohl am beeindruck­endsten die Arbeit „Passagen“im spanischen Pyrenäenor­t Portbou. Sie erinnert an den Philosophe­n Walter Benjamin, der sich hier auf der Flucht vor der Gestapo verzweifel­t das Leben nahm. Und sie erinnert damit auch an so viele unbekannte Opfer. Der Weg ins Nichts, so wirkt es, ist der Weg in die Weite. Und auf einer Glasplatte steht: „Es ist schwerer, das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren als das der Berühmten. Den Namenlosen ist die historisch­e Konstrukti­on geweiht.“Stufen, die ins Nichts führen, in dieses Meer, das auch heute vielen zum Grab wird.

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