Scheidungstermin steht schon – gibt es eine zweite Chance?
Angst vor dem Totalverlust – Warum halbgare Trennungen ein Fehler sind
- Seine Klienten sind Menschen wie Du und Ich. Einige brauchen ihn als Psychiater, manche als Psychotherapeuten und wieder andere als Coach. Dr. Christian Peter Dogs lädt die Leser der Lindauer Zeitung dazu ein, ihm bei der Arbeit über die Schulter zu schauen und verspricht: „Bei vielen Fällen werden Sie manches von sich selbst wiedererkennen.“
Sie beschreiben Ihre Situation ziemlich sachlich und ich frage mich, was in dieser schwierigen Lage mit Ihren Gefühlen passiert ist? Wo ist Ihre Verzweiflung, Ihre Wut, Enttäuschung und Traurigkeit? Ihr Mann hat sich in seine Depression zurückgezogen, um den Konflikt zu vermeiden. Es ist in der Psychosomatik gut bekannt, dass Menschen sich in eine Krankheit zurückziehen, um niemanden weh zu tun und um eine wirkliche Auseinandersetzung zu vermeiden.
In unserer Klinik hatten wir oft solche Partner in der gleichen Situation, und es war beeindruckend immer wieder mitzuerleben, wie sie oft während der Woche ausgeglichen und stimmungsstabil waren. Gut integriert in die Patientengemeinschaft und durchaus fröhlich. Wenn sie am Wochenende aber Besuch von ihren Partnern bekamen, dann verfielen sie augenblicklich in ein ausgeprägt ängstliches depressives Rückzugverhalten. Diese „Besuchsdepressionen“habe ich oft mit einem inneren Schmunzeln begleitet, weil es so offensichtlich war, welche Funktion die Krankheit hatte. Die Angstproblematik ist dann klassischerweise kombiniert, weil man natürlich Angst hat, alles zu verlieren.
Durch dieses Krankheitsverhalten wird eine Entscheidung vermieden. Das trifft nicht nur auf partnerschaftliche Krisen zu, sondern auch berufliche Konflikte werden oft durch Krankheit vermieden. Dann wird der gelbe Schein gezogen, und es erfolgt keine Auseinandersetzung und Reflexion. Die Psychodynamik der depressiven Erkrankung ihres Mannes wäre mit dieser Hypothese erklärbar. Die andere Frage ist die Ihrer Trennung überhaupt. Ich bezeichne solche Trennungen gerne als „halbgar“. Nicht Fisch nicht Fleisch. Sie haben sich getrennt, aber eigentlich doch nicht getrennt. Ein Fehler, der bei vielen Trennungen gemacht wird, weil man Angst hat vor dem Totalverlust. Das Problem ist, dass sich dann keiner der Partner neu entwickeln kann, weil er oder sie immer noch mit einem Bein in der alten Partnerschaft hängt. Es bildet sich keine neue Eigenidentität, und eine neue Entwicklung ist nicht möglich. Auf diese Weise blockieren sich viele Paare nach ihrer scheinbaren Trennung immer weiter.
Ein Patient von mir macht das schon seit 30 Jahren. Er hat nach seiner Trennung vor drei Jahrzehnten zwar eine neue Partnerin – lässt sich aber auf diese Beziehung nicht voll ein, weil er immer noch seine Exfrau regelmäßig trifft und ihr noch sehr liebevoll verbunden ist. Der Frau geht es ebenso. Sie hat zwar wieder geheiratet, aber es gelingt ihr auch nicht, sich von ihm zu lösen. Sie ist sogar in der gleichen Stadt wohnen geblieben und kann nicht zu ihrem neuen Mann ziehen. Eine Pattsituation, in der alle leiden. Das wollen wir bei Ihnen vermeiden.
Sie scheinen beide noch sehr viel emotionales Potential zu besitzen.Vermutlich lieben Sie sich immer noch auf Ihre Art, trauen sich aber nicht, sich wieder auf die Beziehung einzulassen. Jeder hat Angst wieder von dem anderen verletzt zu werden. Da ist viel Vertrauen verloren gegangen. Das muss wieder gewonnen werden. Das geht aber nicht „halbgar“, sondern nur ganz oder gar nicht. Wenn Sie es wirklich versuchen wollen, dann sollten Sie wieder zusammenziehen. Versuchen die Punkte zu ändern, die damals Ihre Ehe zum „versanden“gebracht haben. Dann werden Sie entweder mit Volldampf vor die Wand fahren und dann gibt es eine vollständige gesunde Trennung. Oder aber Sie können diese Krise als echte Chance begreifen, um Ihre Ehe wirklich neu und emotional zu beleben.
Eine Paartherapie, mit einem Therapeuten, der Ihnen wirklich sympathisch ist und auch noch kompetent ist, könnte die Chancen auf eine glückliche Beziehung mächtig erhöhen. Trauen Sie sich. (dogs)
Dr. Christian Peter Dogs ist Psychiater und ärztlicher Psychotherapeut, war 30 Jahre Chefarzt verschiedener psychosomatischer Fachkliniken (unter anderem der Panorama Fachklinik in Scheidegg), Coach für Unternehmer und Manager der ersten Führungsebene. Das Buch „Gefühle sind keine Krankheit: Warum wir sie brauchen und wie sie uns zufrieden machen“, das er zusammen mit der Stern-Redakteurin Nina Poelchau geschrieben hat, wurde zum Spiegelbestseller. Außerdem war er Kolumnist der Wirtschaftswoche und des Stern. Dogs betreibt in Lindau eine eigene Praxis. Ab sofort hat er auch in der LZ einen festen Platz. Online gibt es alle Teile der Kolumne unter:
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