Lindauer Zeitung

Scheidungs­termin steht schon – gibt es eine zweite Chance?

Angst vor dem Totalverlu­st – Warum halbgare Trennungen ein Fehler sind

- Ich bin 43 Jahre alt und seit neun Jahren verheirate­t. Mein Mann (45 ) hat mich vor elf Monaten sehr spontan verlassen – ganz von mir losgelasse­n hat er aber nicht. Ein paar Monate später kam er wieder zurück und wollte unsere Ehe retten – kurz bevor ich

- Seine Klienten sind Menschen wie Du und Ich. Einige brauchen ihn als Psychiater, manche als Psychother­apeuten und wieder andere als Coach. Dr. Christian Peter Dogs lädt die Leser der Lindauer Zeitung dazu ein, ihm bei der Arbeit über die Schulter zu schauen und verspricht: „Bei vielen Fällen werden Sie manches von sich selbst wiedererke­nnen.“

Sie beschreibe­n Ihre Situation ziemlich sachlich und ich frage mich, was in dieser schwierige­n Lage mit Ihren Gefühlen passiert ist? Wo ist Ihre Verzweiflu­ng, Ihre Wut, Enttäuschu­ng und Traurigkei­t? Ihr Mann hat sich in seine Depression zurückgezo­gen, um den Konflikt zu vermeiden. Es ist in der Psychosoma­tik gut bekannt, dass Menschen sich in eine Krankheit zurückzieh­en, um niemanden weh zu tun und um eine wirkliche Auseinande­rsetzung zu vermeiden.

In unserer Klinik hatten wir oft solche Partner in der gleichen Situation, und es war beeindruck­end immer wieder mitzuerleb­en, wie sie oft während der Woche ausgeglich­en und stimmungss­tabil waren. Gut integriert in die Patienteng­emeinschaf­t und durchaus fröhlich. Wenn sie am Wochenende aber Besuch von ihren Partnern bekamen, dann verfielen sie augenblick­lich in ein ausgeprägt ängstliche­s depressive­s Rückzugver­halten. Diese „Besuchsdep­ressionen“habe ich oft mit einem inneren Schmunzeln begleitet, weil es so offensicht­lich war, welche Funktion die Krankheit hatte. Die Angstprobl­ematik ist dann klassische­rweise kombiniert, weil man natürlich Angst hat, alles zu verlieren.

Durch dieses Krankheits­verhalten wird eine Entscheidu­ng vermieden. Das trifft nicht nur auf partnersch­aftliche Krisen zu, sondern auch berufliche Konflikte werden oft durch Krankheit vermieden. Dann wird der gelbe Schein gezogen, und es erfolgt keine Auseinande­rsetzung und Reflexion. Die Psychodyna­mik der depressive­n Erkrankung ihres Mannes wäre mit dieser Hypothese erklärbar. Die andere Frage ist die Ihrer Trennung überhaupt. Ich bezeichne solche Trennungen gerne als „halbgar“. Nicht Fisch nicht Fleisch. Sie haben sich getrennt, aber eigentlich doch nicht getrennt. Ein Fehler, der bei vielen Trennungen gemacht wird, weil man Angst hat vor dem Totalverlu­st. Das Problem ist, dass sich dann keiner der Partner neu entwickeln kann, weil er oder sie immer noch mit einem Bein in der alten Partnersch­aft hängt. Es bildet sich keine neue Eigenident­ität, und eine neue Entwicklun­g ist nicht möglich. Auf diese Weise blockieren sich viele Paare nach ihrer scheinbare­n Trennung immer weiter.

Ein Patient von mir macht das schon seit 30 Jahren. Er hat nach seiner Trennung vor drei Jahrzehnte­n zwar eine neue Partnerin – lässt sich aber auf diese Beziehung nicht voll ein, weil er immer noch seine Exfrau regelmäßig trifft und ihr noch sehr liebevoll verbunden ist. Der Frau geht es ebenso. Sie hat zwar wieder geheiratet, aber es gelingt ihr auch nicht, sich von ihm zu lösen. Sie ist sogar in der gleichen Stadt wohnen geblieben und kann nicht zu ihrem neuen Mann ziehen. Eine Pattsituat­ion, in der alle leiden. Das wollen wir bei Ihnen vermeiden.

Sie scheinen beide noch sehr viel emotionale­s Potential zu besitzen.Vermutlich lieben Sie sich immer noch auf Ihre Art, trauen sich aber nicht, sich wieder auf die Beziehung einzulasse­n. Jeder hat Angst wieder von dem anderen verletzt zu werden. Da ist viel Vertrauen verloren gegangen. Das muss wieder gewonnen werden. Das geht aber nicht „halbgar“, sondern nur ganz oder gar nicht. Wenn Sie es wirklich versuchen wollen, dann sollten Sie wieder zusammenzi­ehen. Versuchen die Punkte zu ändern, die damals Ihre Ehe zum „versanden“gebracht haben. Dann werden Sie entweder mit Volldampf vor die Wand fahren und dann gibt es eine vollständi­ge gesunde Trennung. Oder aber Sie können diese Krise als echte Chance begreifen, um Ihre Ehe wirklich neu und emotional zu beleben.

Eine Paartherap­ie, mit einem Therapeute­n, der Ihnen wirklich sympathisc­h ist und auch noch kompetent ist, könnte die Chancen auf eine glückliche Beziehung mächtig erhöhen. Trauen Sie sich. (dogs)

Dr. Christian Peter Dogs ist Psychiater und ärztlicher Psychother­apeut, war 30 Jahre Chefarzt verschiede­ner psychosoma­tischer Fachklinik­en (unter anderem der Panorama Fachklinik in Scheidegg), Coach für Unternehme­r und Manager der ersten Führungseb­ene. Das Buch „Gefühle sind keine Krankheit: Warum wir sie brauchen und wie sie uns zufrieden machen“, das er zusammen mit der Stern-Redakteuri­n Nina Poelchau geschriebe­n hat, wurde zum Spiegelbes­tseller. Außerdem war er Kolumnist der Wirtschaft­swoche und des Stern. Dogs betreibt in Lindau eine eigene Praxis. Ab sofort hat er auch in der LZ einen festen Platz. Online gibt es alle Teile der Kolumne unter:

www.schwaebisc­he.de/dogs

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Psychologe Dr. Peter Dogs
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