In der Welt der Schmetterlinge
Scheidegger Künstler Max Schmelcher hat eine Leidenschaft: bunte Falter und das Moor
- Richtig armselig sieht der Brennnesselstrauß aus: zerrupfte Blätter, großteils abgenagt bis auf die Stängel. „Die fressen wahnsinnig viel“, sagt Max Schmelcher und zupft vorsichtig Blattreste auseinander, um auf ein kleines Knäuel aus graubraunen Raupen zu deuten. Schmelcher hat Schmetterlingsraupen in drei Kästen aus Holz, Drahtgitter und Plexiglas nach Lindau gebracht. Dass der Scheidegger Bildhauer beim Auftritt des Bund Naturschutz (BUND) auf der Gartenschau mitwirkt, hat mit seiner Arbeit zu tun: Die Natur ist wesentliche Impulsgeberin für sein künstlerisches Tun. Zwei Themen haben es ihm besonders angetan: Schmetterlinge und das Moor.
„Das sind genau unsere Themen“, sagt Isolde Miller, Lindauer Gebietsbetreuerin beim BUND, die wie viele andere Naturschützer bei Vorträgen und Exkursionen für den Erhalt der Moore und mehr Blühflächen für Insekten wirbt. Vor einem Jahr haben sich die studierte Landespflegerin Miller und der akademische Künstler Schmelcher zum ersten Mal getroffen, um eine gemeinsame Gartenschauidee zu entwickeln. Und jetzt können Gartenschaubesucher anhand von Kunstwerken und Zuchtkästen mit Schmelcher in die wundersame Welt der Schmetterlinge eintauchen.
Schon als Bub war der heute 66jährige Westallgäuer von den Faltern mit den bunt schimmernden Flügeln fasziniert. Er beobachtete sie, fing sie und spießte schöne Exemplare mit Nadeln auf. „Ich hatte eine ganz normale Schmetterlingssammlung“, erzählt Schmelcher. Heute würde er so etwas nie mehr tun, „aber von daher weiß ich, wo ich sie finde“. Wenn Schmelcher jetzt Exemplare von nicht geschützten Schmetterlingen fängt, sie füttert, pflegt und sich fortpflanzen lässt, dann tut er das, um sie kennenzulernen – und frei zu lassen.
Für die Gartenschau hat er – mit Genehmigung der Naturschutzbehörden – eine Zuchtausstellung mit nicht geschützten, heimischen Arten vorbereitet. Im Frühjahr sammelte er Hunderte Männchen und Weibchen von Tagpfauenauge, Nachtpfauenauge, Fuchs und Nagelfleck. Vor der Paarung locken die Weibchen mit Duftstoffen die Männchen an. „Einen Tag nach der Befruchtung fliegen die Weibchen nachts los und legen Eier an Futterpflanzen ab“, erklärt Schmelcher. Brennnessel und Salweide sind bei vielen Arten besonders begehrt. Drei bis vier Wochen nach der Eiablage schlüpfen Raupen, sie wachsen schnell und häuten sich mehrmals, bevor sie sich verpuppen. Manche, etwa das Nachtpfauenauge, bauen sich einen Kokon, in dem sie überwintern – an einem Ort, wo sie Ruhe haben.
Max Schmelcher hat das genau beobachtet. „Sie weben den Kokon um sich herum, der kleine Körper geht dabei hin und her.“Aus einem einzigen Seidenfaden schaffen die Raupen ihr fein ziseliertes Haus, in dem sie gut geschützt auf den großen Tag der Entfaltung warten. Tief beeindruckt nahm sich der Künstler die Schmetterlingsraupe zum Lehrmeister. „Ich habe angefangen, aus einem einzigen Stück Draht einen Kokon zu weben.“Zwei solcher Gebilde, bis zu drei Meter groß, und ein Schmetterlingsei mit etwa 50 Zentimetern Durchmesser hat Schmelcher zur Gartenschau gebracht. Die Kokons hängen in den Zweigen einer Robinie vor dem BUND-Pavillon. Silbern schimmern sie vor blauem Himmel, während der Wind sie sanft bewegt.
Aus echten Kokons hat Max Schmelcher ein Bild gestaltet, das im Pavillon hängt. Eine andere Arbeit zeigt Spuren der Blutflüssigkeit Mekonium, mit der Schmetterlinge nach dem Schlüpfen ihre fein geäderten Flügel aufpumpen, um sie zu entfalten. „Um fliegen zu können, lassen sie die Flüssigkeit dann wieder ab“, erklärt Schmelcher. Er hat ein Stück Leinwand in Zuchtkästen gelegt, in denen sich Puppen aufgehängt hatten. Jeder geschlüpfte Falter sonderte einen Spritzer Mekonium ab – so entstand das Bild „Abflug“. Isolde Miller ist beeindruckt von Schmelchers Umgang mit der Natur. „Er lässt sich von ihr inspirieren und nutzt das Material – kann es aber auch zulassen, dass er nicht alles steuern kann.“Der Künstler bestätigt : „Ich mache das Werk nicht, ich gebe einen Anstoß.“
Entlang der Bahngleise auf der Lindauer Insel hat Schmelcher inzwischen Brennnesseln gefunden. Er steckt die Stängel in ein Wasserglas, stopft ein Tuch dazu – „damit Raupen, die herunterfallen, nicht ertrinken“– und schiebt das frische Grün auf die helle Seite des Kastens. „Raupen bewegen sich zum Licht hin“, erklärt der fürsorgliche Künstler. Eine kleine Mücke am Holzrahmen zerdrückt er mit dem Finger. „Diese Mücken stechen in die Raupen und fressen sie von innen auf.“
Im Pavillon haben sich ein paar Schmetterlinge niedergelassen. Ihre Flügel tragen bunte Muster und fein gezackte Ränder. Max Schmelcher hat sie aus Moor modelliert. Beim Trocknen schwanden die Körper um die Hälfte und formten so ihre dynamische Flughaltung aus. Schmelcher, der seit Jahren mit Moor experimentiert, Skulpturen baut, Köpfe formt und Bilder gestaltet, lässt das Material in mehr oder weniger gesteuerten Prozessen trocknen – und staunt immer wieder über die Wunder, mit denen ihn die Natur überrascht.