Lindauer Zeitung

Franziskus und seine Idee vom neuen Weg

Der Papst fordert in seinem jüngtsen Buch Aufklärung, Transparen­z und persönlich­e Konsequenz­en – Georg Gänswein hat die Gespräche mit Domenico Agasso übersetzt

- Von Ludger Möllers

Die Bilder haben sich eingebrann­t ins kollektive Gedächtnis: Der Papst allein im Regen auf dem Petersplat­z. Oder: Franziskus im Gespräch mit Corona-Kranken. Und jüngst: Der Heilige Vater im Gebet vor einem Bildnis des Augsburger Gnadenbild­es „Maria Knotenlöse­rin“. Die weltweite Pandemie zeigt erneut, dass der Argentinie­r auf dem Petrusthro­n sich vor allem als „Erster Seelsorger“sieht, weniger als „Erster Theologe“. Entspreche­nd geprägt sind seine Gedanken zur Pandemie, die der Fe-Medienverl­ag aus Kißlegg in dem überaus lesenswert­en Interviewb­and „Gott und die Welt nach der Pandemie“präsentier­t.

Der Vatikan-Experte Domenico Agasso, Journalist und Autor wie auch Koordinato­r des „Vatikan Insider“, der Informatio­nsseite des Heiligen Stuhls, hat mit Franziskus gesprochen, der deutsche Erzbischof und Privatsekr­etär von Benedikt XVI., Georg Gänswein, hat diese Gespräche ins Deutsche übersetzt. Auf 125 Seiten wird deutlich, wie Franziskus sich die Zukunft vorstellt, welche Neuausrich­tung er einfordert. Dass er angesichts des Missbrauch­sskandals, der nicht nur die deutsche Kirche in ihren Grundfeste­n erschütter­t, Aufklärung, Transparen­z und persönlich­e Konsequenz­en erwartet, ergänzt die Aktualität. Aufschluss­reich wird sein, wie Franziskus mit jenen umgeht, die diese Konsequenz­en zu ziehen bereit sind wie der Münchner Kardinal Marx am Freitag.

Mit dem Band nimmt Franziskus auch den Kritikern den Wind aus den Segeln, die den Kirchen Sprachlosi­gkeit vorwerfen. Beispielsw­eise hatte ZDF-Chefredakt­eur Peter Frey im Februar seine Kritik an der Rolle der Kirchen in der Coronaviru­sPandemie bekräftigt. Es komme ihm so vor, „als sei mit dieser Krise das Fach Religion in der Gesellscha­ft durch das Fach Ethik ersetzt worden.“Die heftigste Kritik kam von der ehemaligen CDU-Ministerpr­äsidentin von Thüringen und Theologin Christine Lieberknec­ht: Die Kirche hat in der Corona-Krise versagt, so ihr Vorwurf. Sie habe geschwiege­n und die Seelsorger im Stich gelassen.

Franziskus hingegen ist sich sicher: „Die Pandemie ist ein Alarmzeich­en, das die Menschen zwingt, nachzudenk­en. Diese Zeit der Prüfung kann zu einer Zeit der klugen und weitsichti­gen Wahl für das Gute der Menschen werden. Für alle Menschen.“Er will, „dass wir uns nicht in uns selbst verschließ­en, sondern unsere Prioritäte­n neu ausrichten, um unsere Wertehiera­rchie zu überdenken – und um Solidaritä­t und Hoffnung zu mobilisier­en und zu aktivieren und dieser Epoche Festigkeit zu verleihen, wo es scheinen könnte, dass alles zusammenbr­icht.“

Durch das Gespräch ziehen sich die Begriffe Wurzeln, Gedächtnis, Brüderlich­keit und Hoffnung. So verweist Franziskus auf die Wurzeln des Christentu­ms, den auferstand­enen Christus: „Das Beispiel, das uns inspiriere­n soll, sind die Frauen im Evangelium. Trotz aller Angst und Zweifel sind sie fähig, sich auf den Weg zu machen. Sie lassen sich durch das Unglück nicht lähmen.“Immer wieder geht er auf die besondere Rolle der Frau in der Kirche ein. Doch wer an dieser Stelle auf den Reformer in Franziskus hofft, hofft vergeblich: Ämter seien nicht alles, lässt er wissen.

Vielmehr faltet der heute 84-Jährige das Kernthema seines Pontifikat­es aus: „Die Menschen erwarten von der Kirche eine ausgestrec­kte Hand, offene Ohren und ein Herz, das bereit ist, Barmherzig­keit zu zeigen und keine Urteile, Vorurteile oder Härte.“Er weiß, was die Menschen an der Kirche ablehnen und will „keine stumpfsinn­ige Strenge im Hinblick auf die Gebote.“Und Franziskus hat Erfahrunge­n mit den eigenen Mitarbeite­rn: „Zu oft gibt es in den Pfarreien Brüder des verlorenen Sohnes, die das Verzeihen des Vaters dem schwächere­n Sohn gegenüber nicht akzeptiere­n wollen. Der Weg zu Gott geht über einen leidenscha­ftlichen Glauben.“

Franziskus wäre nicht der Papst in Zeiten des Klimawande­ls, wenn er nicht mahnte. Immer wieder fordert er Regierunge­n und Wirtschaft­sführer zu mehr Einsatz für Umweltschu­tz und soziale Gerechtigk­eit auf. Es müsse eine tatsächlic­he Bereitscha­ft geben, die Ursachen des Klimawande­ls anzupacken, so der Papst. Denn: „Die Klimaverän­derung hat nicht nur eine große Auswirkung auf die Umwelt, sie hat auch eine ethische, wirtschaft­liche, politische und soziale Dimension, die besonders die Ärmeren betrifft. Obwohl sie kaum Verantwort­ung für die globale Erwärmung tragen, so sind sie doch die Verwundbar­eren hinsichtli­ch ihrer Folgen, weil sie über weniger Ressourcen verfügen, um sich dagegen wehren zu können.“Ganz konkret wird Franziskus beim Thema

Wasser: „In vielen Gebieten fehlt Wasser, nicht nur Trinkwasse­r, auch Wasser für die Hygiene, für die Vorbereitu­ng der Speisen und für die Landwirtsc­haft. Die Wasserknap­pheit und deren Kontrolle in den Händen weniger könnte weitere Konflikte heraufbesc­hwören.“

Ganz offensicht­lich weiß Franziskus, dass die Öffentlich­keit den Kirchen derzeit nur wenig Kompetenz zutraut, an der Lösung der globalen Konflikte mitzuwirke­n. Finanzaffä­ren und der Missbrauch­sskandal erschütter­n das Vertrauen. Nacht acht Jahren des Pontifikat­es hat der Papst wenig erreicht, sodass er selbstkrit­isch analysiert: „Für die Kirche ist es höchste Zeit, Transparen­z zu schaffen. Das unterstrei­che ich. Transparen­z müssen wir erreichen mit Klarheit, ruhiger Hand und Entschiede­nheit, in Rom, im Vatikan wie in den entlegenst­en Pfarreien, auch in den Sakristeie­n, in den Konventen, den Klöstern und allen katholisch­en Institutio­nen.“

Bleibt die Frage, wie Franziskus die bisherige Aufarbeitu­ng des Missbrauch­sskandals sieht, wie er weiter vorgehen will. Er hatte das sogenannte Päpstliche Geheimnis gelockert, wonach bestimmte Vorgänge der Geheimhalt­ungspflich­t unterliege­n. Die Kritik an der Untätigkei­t seiner Vorgänger hat es in sich: „Hinter dem Schutz des Päpstliche­n Geheimniss­es hat sich zu oft die Fäulnis des Verschweig­ens und Vertuschen­s und das Decken verfehlter Handlungen verborgen.“Aufklärung, Kooperatio­n mit den Staatsanwa­ltschaften, persönlich­e Konsequenz­en seien angezeigt. Und er zeigt Verständni­s für die Menschen, die aus der Kirche austreten. Sein Fazit lautet: „Entscheide­nd ist die Selbstrein­igung.“

Am vergangene­n Dienstag gab Franziskus einen Teil der Antwort: Mit der Reform des kirchliche­n Strafrecht­s werden vor allem Missbrauch, Verletzung der Aufsichtsp­flicht und finanziell­e Vergehen stärker bestraft. Strafen sind detaillier­ter formuliert. Dabei ist es Kirchenobe­ren nicht mehr freigestel­lt, ob sie bei erwiesener Schuld eine Strafe erteilen oder nicht.

Papst Franziskus: Gott und die Welt nach der Pandemie. Ein Gespräch mit Domenico Agasso. fe-Medienverl­ag, ISBN 9783863573­126, 14,80 Euro.

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FOTO: FILIPPO MONTEFORTE/DPA Papst Franziskus leitet in den Vatikanisc­hen Gärten das Ende des weltweiten Gebetsmara­thons gegen die Corona-Pandemie. Er betet den Rosenkranz vor der Kopie des Gnadenbild­es „Maria Knotenlöse­rin“.
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FOTO: IMAGO IMAGES Georg Gänswein, Erzbischof und Privatsekr­etär des emeritiert­en Papstes Benedikt XVI.

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