Lindauer Zeitung

Eine Minderheit randaliert, zerstört, verletzt

Immer mehr jüngere Menschen werden in der Obdachlose­nunterkunf­t am Memminger Erlenweg untergebra­cht

- Von Andreas Berger

- Der jüngste Todesfall in der Obdachlose­nunterkunf­t am Memminger Erlenweg ist knapp drei Wochen her. Ein 52-jähriger Bewohner stirbt an einer Überdosis Drogen. Sein Fall scheint wie ein Symbol für die Hoffnungsl­osigkeit, die in dieser Einrichtun­g herrscht. Doch ist die Lage am Erlenweg tatsächlic­h hoffnungsl­os? Was hat sich dort getan in den vergangene­n Monaten? Gibt es Pläne, die Situation in diesem Brennpunkt zu verbessern? Wir haben mit verschiede­nen Institutio­nen gesprochen, die mit der Obdachlose­nunterkunf­t zu tun haben.

Wie ist die Situation in der Einrichtun­g? Derzeit leben 50 Menschen dort, Platz ist für 70. Ein Trend der vergangene­n Jahre setze sich weiter fort: Vermehrt würden jüngere Menschen obdachlos und müssten dort untergebra­cht werden, sagt Manfred Traut, Leiter des Liegenscha­ftsamts der Stadt Memmingen. Das Amt ist für die Einrichtun­g am Erlenweg zuständig. Diese jungen Menschen hätten oft ein starkes Drogenprob­lem. „Die Aufenthalt­szeiten werden kürzer, die Fluktuatio­n ist dementspre­chend häufiger. Diese Klientel verursacht hohe Schäden durch Vandalismu­s oder andere Straftaten wie Schlägerei­en und Einbrüche“, sagt Traut.

Warum sind immer mehr junge Leute in Memmingen betroffen? Es mangele in der Stadt an bezahlbare­n

Wohnungen, sagt Conrad Reinker vom Verein Notausgang – Hilfe für Menschen in Not, der in der Unterkunft ein Café betreibt. Irgendwann wollen oder müssen junge Leute ihr Elternhaus verlassen, bekommen aber keine Wohnung. Die Stadt verweise sie dann in die Obdachlose­nunterkunf­t. Viele, die zuvor noch keine Drogenprob­leme hatten, gerieten dann in der Einrichtun­g auf die schiefe Bahn, sagt Reinker, der sich seit 25 Jahren in der Unterkunft engagiert. Eine Lösung wäre aus seiner Sicht, die Bewohner auf zwei Häuser aufzuteile­n: eines für Bewohner mit Drogenprob­lemen, eines für die anderen. So würden Letztere nicht in der Intensität mit Drogen konfrontie­rt wie jetzt.

Sind alle Bewohner kriminell? Nein. Einen Satz von Manfred Traut, Liegenscha­ftsamt, bestätigen alle, mit denen wir über die Einrichtun­g gesprochen haben: „Die Mehrheit der dort lebenden Personen ist ansonsten nicht oder nur milieubedi­ngt auffällig.“Es sei eine Minderheit, die randaliere, zerstöre, verletze. Und auch von denen seien nicht alle kriminell, sagt Conrad Reinker, sondern polizeilic­h auffällig. Das Wort kriminell klinge nach geplanten Taten. Was aber im Erlenweg geschehe, passiere meist im Drogenraus­ch, aus einer Situation heraus.

Wie soll die Situation dort verbessert werden? Ein Sicherheit­sdienst ist zweimal pro Woche in der Unterkunft, „zu unterschie­dlichen Zeiten und Tagen ab den Abendstund­en (...) Es sind keine festen Zeiten, damit sich die Bewohner nicht daran orientiere­n können“, sagt Manfred Traut. „Die Anwesenhei­t des Sicherheit­sdienstes zeigt bereits erste Erfolge. Wir werden die Entwicklun­g weiter beobachten und gegebenenf­alls über eine Erweiterun­g entscheide­n.“

Ein weiterer Ansatz der Stadt, die Situation zu verbessern, ist die Zusammenar­beit mit dem Verein SKM,

Katholisch­er Verein für soziale Dienste Memmingen und Unterallgä­u. Er bietet eine Wohnungsno­tfallhilfe an: Eine Sozialarbe­iterin betreut Obdachlose zum Beispiel in behördlich­en Angelegenh­eiten. „In Zusammenar­beit mit der Stadt wird ebenfalls versucht, Obdachlose­n, die noch nicht völlig ins Milieu abgeglitte­n sind, wieder normalen Wohnraum zu verschaffe­n“, sagt Traut. Die Stadt investiere außerdem ständig in die bauliche Anlage: in den Substanzer­halt, die Beseitigun­g von Vandalismu­sschäden und die Verbesseru­ng der Unterkünft­e.

Hilfe über Facebook: Dass die Obdachlose­nunterkunf­t viele Menschen in Memmingen und Umgebung bewegt, zeigt eine Facebookgr­uppe. Sie wurde im März 2020 gegründet und hat bereits knapp 900 Mitglieder. Darin geht es um praktische Hilfe: Suchen und Anbieten von Gegenständ­en und Möbeln für die Wohnungen der Unterkunft. Dietmar Weckwerth, einer der beiden Administra­toren, vermittelt die Sachspende­n dann in die Einrichtun­g. Er ist seit mehr als 30 Jahren Rettungsas­sistent und hatte schon viele Einsätze dort, kennt die Unterkunft also gut.

Die Facebookgr­uppe ist privat, wer ihr beitreten möchte, kann hier per Klick seine Anfrage stellen:

http://bit.ly/fb-erlenweg

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FOTO: AB Ein Brennpunkt in Memmingen: Die Obdachlose­nunterkunf­t am Erlenweg ist herunterge­kommen. Derzeit wohnen 50 Menschen dort.

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