Erst der Mensch, dann der Fußballer
Dritte EM, drittes Finale – Warum Stefan Kuntz mit seiner Art perfekt zur U21 passt
(SID) Stefan Kuntz ließ das viele Lob regungslos an sich abprallen. TV-Experte Rene Adler verglich den DFB-Trainer nach dem erneuten Einzug ins Finale der U21-EM gar mit Jupp Heynckes, doch Kuntz blieb ungerührt. „Anscheinend bin ich im richtigen Moment am richtigen Platz. Der Job passt einfach“, sagte der 58-Jährige und referierte dann wieder minutenlang über die Mitglieder seines Trainerteams. Eigenlob? Bloß nicht!
Diese Bescheidenheit ist es, die Kuntz schon jetzt zum großen Gewinner des EM-Sommers macht. Bundestrainer wird der Saarländer zwar nicht, auch wenn er zwischenzeitlich als Topkandidat auf die Nachfolge von Joachim Löw galt. Doch das Kunststück, auch mit der dritten, wieder komplett neu aufgebauten U21 das EM-Finale zu erreichen, kann gar nicht hoch genug bewertet werden.
Kuntz’ Stärke ist dabei seine Nahbarkeit. Der Europameister von 1996 nimmt sich selbst nicht zu ernst und findet gegenüber den Spielern, die seine Enkel sein könnten, die richtige Mischung aus Spaß und Ernst. „Stefan kennt seine Spieler, und das sind vor allem Menschen. Er berührt die Menschen einfach. Wenn mir spontan ein Trainer einfallen müsste, der seine Jungs so erreicht, dann vielleicht Jupp Heynckes“, sagte Ex-Nationaltorhüter Adler nach dem 2:1Halbfinalsieg am Donnerstagabend gegen die Niederlande bei „ProSieben“.
Die Folge ist ein enormer Teamgeist, seine Spieler folgen Kuntz nahezu blind. Als „Menschenfänger“wird der DFB-Coach gerne bezeichnet, und das ist rundum positiv gemeint. „Ich sehe zuerst den Menschen und dann den Sportler. Wenn ich jemanden kritisiere, dann kritisiere ich nur den Fußballer und nie den Menschen. Und wenn es zwischen den beiden einen Zwiespalt gibt, hat immer der Mensch den Vorrang“, sagte Kuntz unlängst im Team-Deutschland-Podcast.
Dabei war seine Trainerkarriere vor vielen Jahren schon ins Stocken geraten. Gemeinsam mit Löw, Jürgen Klinsmann und Matthias Sammer hatte Kuntz im Jahr 2000 den verkürzten Trainerlehrgang für verdiente Nationalspieler absolviert. Doch bei seinen ersten Stationen bei Waldhof Mannheim oder LR Ahlen blieb der Erfolg aus. „Im Rückblick war ich da noch kein Trainer, sondern wollte die Spielerkarriere fortsetzen“, sagt Kuntz heute.
Daraus hat der Europameister von 1996 seine Lehren gezogen. „Ich versuche jede Fortbildung mitzunehmen, weil man sich jeden Tag weiterentwickeln sollte“, sagt Kuntz inzwischen. Das gilt auch für den Job beim DFB, der den gelernten Polizisten Kuntz 2016 überraschend aus dem Hut gezaubert hatte. Eigentlich war Marcus Sorg als Nachfolger von Horst Hrubesch vorgesehen, Sorg stieg jedoch ins Löw-Team auf. Also fragte der damalige DFB-Sportdirektor Hansi Flick bei Kuntz an, obwohl dieser zwölf Jahre lang nicht mehr als Trainer gearbeitet hatte. Es funktionierte.
Fünf Jahre später ist Kuntz der erfolgreichste U21-Trainer der DFBGeschichte, noch vor Horst Hrubesch oder Berti Vogts. Auch international kann nur Cesare Maldini drei Endspiele bei einer U21-EM (1992, 1994, 1996) vorweisen. Maldini holte mit Italien sogar dreimal den Titel. Das kann Stefan Kuntz nach der 1:2-Finalniederlage 2019 gegen Spanien nicht schaffen. Zumindest noch nicht in diesem Jahr.
Im Überschwang der Gefühle war Florian Wirtz kurzzeitig sogar sein Abitur egal. „Ich würde lieber das Turnier gewinnen als ein gutes Abi zu haben“, sagte der 18-Jährige nach seinem Doppelpack im EM-Halbfinale, der die deutsche U21 völlig unerwartet vom Titel träumen lässt. Noch wartet der Jungstar von Bayer Leverkusen auf seine Klausurergebnisse, doch schon jetzt lautet sein Motto: „Hauptsache bestehen.“
Auf dem Rasen hat Wirtz seine Reifeprüfung bereits mit Bravour bestanden. Der jüngste Spieler im DFB-Aufgebot erzielte beim 2:1 gegen die Niederlande nach 29 Sekunden nicht nur das schnellste
Tor der U21-EM-Geschichte, sondern legte schon in der achten Minute den zweiten Treffer nach. Der Teenager konnte sein Glück kaum fassen. „Ich musste nach ein paar Minuten gucken, ob das überhaupt stimmt – und wie es eigentlich steht“, sagte Wirtz, der nie zuvor im DFB-Trikot getroffen hatte.
Das Toptalent ist wohl das beste Beispiel für die rasante Entwicklung der Mannschaft in den vergangenen Monaten. Als die Qualifikation für die EM im Herbst 2019 begann, spielte der Teenager noch in der U19 des 1. FC Köln. Im März
2021 weilte er schon bei der ANationalmannschaft, blieb aber ohne Einsatz. Für seine Vorstellung gegen die Niederlande heimste er ein dickes Lob von Ex-Teamkollege Kai Havertz ein. „Er ist ein super Spieler“, sagte der Champions-LeagueHeld des FC Chelsea im Trainingslager des deutschen A-Teams: „Er hätte es auch verdient, hier dabei zu sein. Die U21-EM tut ihm aber gut, um sich weiterzuentwickeln.“(SID)