Mehr Diversität im Darmmilieu
Wer gesund altern will, sollte seine Darmflora sorgfältig pflegen – Ein gutes Mikrobiom ist flexibel und schützt so vor allerlei Beschwerden
Eigentlich sind wir in der Unterzahl: Jeder Mensch – egal, ob groß oder klein, jung oder alt – besteht größtenteils aus nicht-menschlichen Elementen. Rund 40 Billionen Bakterien bevölkern seinen Darm, das sind etwa 10 Billionen mehr als seine eigenen Körperzellen. Dass dieses Heer der Fremden einen positiven Einfluss auf die Gesundheit seines Wirts haben kann, liegt nahe. Studien zeigen aber auch, dass es dazu flexibel sein muss.
Ein internationales Team aus Systemund Mikrobiologen hat das Darmmikrobiom von über 9000 Erwachsenen im Alter von 18 bis 101 Jahren analysiert und dessen Zusammensetzung mit dem Gesundheitszustand und der Sterbequote der Probanden verglichen. Im Ergebnis dieses Vergleichs zeigte sich: Es waren exakt diejenigen Männer und Frauen am gesündesten, deren Darmflora sich am meisten verändert und eine einzigartige, für den Besitzer typische Zusammensetzung bekommen hatte. In ihrem Blut kursierte
Die Darmflora erfüllt vielfältige Aufgaben im Körper des Menschen:
Sie verbessert die Nährstoffaufnahme, etwa 30 Prozent der Stoffwechselprodukte im Blut sind bakteriellen Ursprungs.
Sie hilft bei der Entwicklung des Immunsystems.
Sie zieht Gifte und Krankheitserreger aus dem Verkehr.
Sie ist beteiligt an der Herstellung von Hirnbotenstoffen. Patienten mit Depressionen und Schizophrenie zeigen ein anderes Darmmikrobiom als psychisch gesunde Menschen. weniger LDL-Cholesterin, dafür waren ihre Vitamin-D-Werte höher, weil die Aufnahme dieses aktuellen Stars unter den Vitaminen ganz wesentlich mit der Darmflora zusammenhängt.
Ein weiteres Merkmal der mikrobiotisch besonders individuellen Probanden: Sie waren körperlich fitter, bewegten sich mehr und legten beim alltäglichen Gehen ein deutlich höheres Tempo an den Tag. Bei den Probanden hingegen, deren Darmflora sich am wenigsten individualisiert hatte, war es umgekehrt – und das zeigte sich auch an ihrer Lebenserwartung. Die über 85-Jährigen unter ihnen hatten ein doppelt so hohes Risiko, in den nächsten vier Jahren zu versterben.
„Die Anti-Aging-Forschung geht meistens in die Richtung, dass man die Menschen in einen jüngeren Zustand bringen, also ihre biologische Altersuhr zurückstellen sollte“, resümiert Studienleiter Sean Gibbons vom Institut für Systembiologie in Seattle. „Aber unsere Studie zeigt, dass es beim Mikrobiom besser wäre, dass es sich im Laufe des Alterns ändert.“Da gelte also nicht das Prinzip
„Forever young“, sondern „Flexibilität ist Trumpf“.
Diese Ansicht teilt prinzipiell auch Christoph Kaleta, der an der Universität Kiel die Arbeitsgruppe für medizinische Systembiologie leitet und ebenfalls zur Darmflora forscht. Er betont allerdings auch, dass es bei deren Flexibilität vor allem um Individualität ginge. „Lange Zeit dachte man, dass es mit der Diversität der Darmflora im Laufe der Jahre stetig bergab geht“, so Kaleta. Nach dem Muster: Im Alter wird alles gleich, nämlich gleich schlecht. Doch jüngere Studien zeigen, dass die Diversität im Mikrobiom durchaus zunehmen und Indikator für eine höhere Lebenserwartung sein kann.
Was die Frage aufwirft, worin konkret der Vorteil dieser zunehmenden Diversität liegt. Darauf gibt es in erster Linie zwei Antworten. Die eine: Individualisierte Mikrobiome produzieren mehr Substanzen wie etwa Phenylacetylglutamin und Indole, denen gleich eine ganze Palette von Effekten zur Krankheitsprävention zugeschrieben werden. Die andere: Bestimmte Mitglieder der Darmflora, die im jüngeren Alter noch harmlos oder sogar nützlich für uns sind, können später schädlich für uns werden. „Das Mikrobiom verliert zunehmend seine Bereitschaft zur Kooperation“, erläutert Kaleta. So werde am Ende aus den ursprünglichen Freunden im Darm ein Heer von Egoisten, das eher eigene Ziele als die des Gesamtorganismus verfolgt.
Zu diesen möglicherweise spätberufenen Egoisten zählt etwa die Bakteriengattung der Bacteroides. „Sie gelten eigentlich als gesundheitsfördernd, weil sie Ballaststoffe zu entzündungshemmenden kurzkettigen Fettsäuren abbauen“, so Kaleta. Doch was tun sie, wenn der Speiseplan – so wie es in den Wohlstandsländern mit ihrer stark verarbeiteten Kost üblich ist – nicht genug Ballaststoffe für sie bereithält? Dann neigen sie laut Gibbons dazu, sich an den schützenden Schleimhäuten des Darms zu bedienen.
Beim jüngeren Menschen sind diese mikrobiellen Nagereien meistens noch kein Problem, weil der genug Schleimhaut nachbilden kann. „Aber je älter wir werden, umso dünner werden diese Schichten“, warnt Sean Gibbons. „Und dann ist es günstiger, weniger Bacteroides im Darm zu haben.“Andernfalls könnten sie und andere Darmmikroben den Schutzwall im Darm durchbrechen und eine Immunantwort hervorrufen, die bis hin zu einer chronischen Entzündung reichen kann. Womit man am Ende einen Prozess hätte, der eine ganze Reihe typischer, potenziell lebensverkürzender Altersbeschwerden hervorbringen kann – von der Herzerkrankung über Diabetes und Arthritis bis zu Krebs.
Besser also, man kredenzt den Bacteroides weniger verarbeitete Lebensmittel und stattdessen mehr Ballaststoffe aus Vollkorn und Gemüse, damit sie die Darmwände in Ruhe lassen. Ganz zu schweigen davon, dass diese Strategie insgesamt den Individualisierungsprozess des Mikrobioms unterstützt. Gibbons sieht hier allerdings auch gute Perspektiven für den Sport. Gerade Ausdauersportarten wie Joggen, Schwimmen oder Radfahren können wohl für mehr Diversität im Darm sorgen.
Kaleta hält es durchaus für möglich, dass Therapien, die auf das Darmmilieu zielen, das Altern aktiv verlangsamen können. Hierzu haben er und sein Team bereits erste Experimente durchgeführt. Allerdings nicht mit Vollkorn oder Gemüse, sondern mit Medikamenten wie etwa dem aus der Diabetes-Therapie bekannten Metformin.
Wobei dieses Mittel von der Darmflora keineswegs begrüßt wird. Im Gegenteil. „Metformin wirkt eigentlich toxisch auf das Mikrobiom“, erklärt Kaleta. „Doch das reagiert darauf mit einer Produktion von Agmatin, das der Organismus auch ohne Weiteres über den Darm aufnehmen kann.“Und von diesem Abkömmling der Aminosäure Arginin weiß man mittlerweile, dass er gerade Nervenzellen vor Oxidationen und anderen Schädigungen schützen kann. Einige Forscher sehen in ihm bereits eine Alternative in der Behandlung von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson.
Noch freilich ist die MetforminDarmflora-Alzheimertherapie nicht spruchreif. Aber es wäre schon eine besondere Pointe, wenn man eine der großen Plagen des Menschen therapieren könnte, weil sich in seinem Darm eine Horde nichtmenschlicher Organismen bedroht fühlt.