Lindauer Zeitung

Mehr Diversität im Darmmilieu

Wer gesund altern will, sollte seine Darmflora sorgfältig pflegen – Ein gutes Mikrobiom ist flexibel und schützt so vor allerlei Beschwerde­n

- Von Jörg Zittlau

Eigentlich sind wir in der Unterzahl: Jeder Mensch – egal, ob groß oder klein, jung oder alt – besteht größtentei­ls aus nicht-menschlich­en Elementen. Rund 40 Billionen Bakterien bevölkern seinen Darm, das sind etwa 10 Billionen mehr als seine eigenen Körperzell­en. Dass dieses Heer der Fremden einen positiven Einfluss auf die Gesundheit seines Wirts haben kann, liegt nahe. Studien zeigen aber auch, dass es dazu flexibel sein muss.

Ein internatio­nales Team aus Systemund Mikrobiolo­gen hat das Darmmikrob­iom von über 9000 Erwachsene­n im Alter von 18 bis 101 Jahren analysiert und dessen Zusammense­tzung mit dem Gesundheit­szustand und der Sterbequot­e der Probanden verglichen. Im Ergebnis dieses Vergleichs zeigte sich: Es waren exakt diejenigen Männer und Frauen am gesündeste­n, deren Darmflora sich am meisten verändert und eine einzigarti­ge, für den Besitzer typische Zusammense­tzung bekommen hatte. In ihrem Blut kursierte

Die Darmflora erfüllt vielfältig­e Aufgaben im Körper des Menschen:

Sie verbessert die Nährstoffa­ufnahme, etwa 30 Prozent der Stoffwechs­elprodukte im Blut sind bakteriell­en Ursprungs.

Sie hilft bei der Entwicklun­g des Immunsyste­ms.

Sie zieht Gifte und Krankheits­erreger aus dem Verkehr.

Sie ist beteiligt an der Herstellun­g von Hirnbotens­toffen. Patienten mit Depression­en und Schizophre­nie zeigen ein anderes Darmmikrob­iom als psychisch gesunde Menschen. weniger LDL-Cholesteri­n, dafür waren ihre Vitamin-D-Werte höher, weil die Aufnahme dieses aktuellen Stars unter den Vitaminen ganz wesentlich mit der Darmflora zusammenhä­ngt.

Ein weiteres Merkmal der mikrobioti­sch besonders individuel­len Probanden: Sie waren körperlich fitter, bewegten sich mehr und legten beim alltäglich­en Gehen ein deutlich höheres Tempo an den Tag. Bei den Probanden hingegen, deren Darmflora sich am wenigsten individual­isiert hatte, war es umgekehrt – und das zeigte sich auch an ihrer Lebenserwa­rtung. Die über 85-Jährigen unter ihnen hatten ein doppelt so hohes Risiko, in den nächsten vier Jahren zu versterben.

„Die Anti-Aging-Forschung geht meistens in die Richtung, dass man die Menschen in einen jüngeren Zustand bringen, also ihre biologisch­e Altersuhr zurückstel­len sollte“, resümiert Studienlei­ter Sean Gibbons vom Institut für Systembiol­ogie in Seattle. „Aber unsere Studie zeigt, dass es beim Mikrobiom besser wäre, dass es sich im Laufe des Alterns ändert.“Da gelte also nicht das Prinzip

„Forever young“, sondern „Flexibilit­ät ist Trumpf“.

Diese Ansicht teilt prinzipiel­l auch Christoph Kaleta, der an der Universitä­t Kiel die Arbeitsgru­ppe für medizinisc­he Systembiol­ogie leitet und ebenfalls zur Darmflora forscht. Er betont allerdings auch, dass es bei deren Flexibilit­ät vor allem um Individual­ität ginge. „Lange Zeit dachte man, dass es mit der Diversität der Darmflora im Laufe der Jahre stetig bergab geht“, so Kaleta. Nach dem Muster: Im Alter wird alles gleich, nämlich gleich schlecht. Doch jüngere Studien zeigen, dass die Diversität im Mikrobiom durchaus zunehmen und Indikator für eine höhere Lebenserwa­rtung sein kann.

Was die Frage aufwirft, worin konkret der Vorteil dieser zunehmende­n Diversität liegt. Darauf gibt es in erster Linie zwei Antworten. Die eine: Individual­isierte Mikrobiome produziere­n mehr Substanzen wie etwa Phenylacet­ylglutamin und Indole, denen gleich eine ganze Palette von Effekten zur Krankheits­prävention zugeschrie­ben werden. Die andere: Bestimmte Mitglieder der Darmflora, die im jüngeren Alter noch harmlos oder sogar nützlich für uns sind, können später schädlich für uns werden. „Das Mikrobiom verliert zunehmend seine Bereitscha­ft zur Kooperatio­n“, erläutert Kaleta. So werde am Ende aus den ursprüngli­chen Freunden im Darm ein Heer von Egoisten, das eher eigene Ziele als die des Gesamtorga­nismus verfolgt.

Zu diesen möglicherw­eise spätberufe­nen Egoisten zählt etwa die Bakterieng­attung der Bacteroide­s. „Sie gelten eigentlich als gesundheit­sfördernd, weil sie Ballaststo­ffe zu entzündung­shemmenden kurzkettig­en Fettsäuren abbauen“, so Kaleta. Doch was tun sie, wenn der Speiseplan – so wie es in den Wohlstands­ländern mit ihrer stark verarbeite­ten Kost üblich ist – nicht genug Ballaststo­ffe für sie bereithält? Dann neigen sie laut Gibbons dazu, sich an den schützende­n Schleimhäu­ten des Darms zu bedienen.

Beim jüngeren Menschen sind diese mikrobiell­en Nagereien meistens noch kein Problem, weil der genug Schleimhau­t nachbilden kann. „Aber je älter wir werden, umso dünner werden diese Schichten“, warnt Sean Gibbons. „Und dann ist es günstiger, weniger Bacteroide­s im Darm zu haben.“Andernfall­s könnten sie und andere Darmmikrob­en den Schutzwall im Darm durchbrech­en und eine Immunantwo­rt hervorrufe­n, die bis hin zu einer chronische­n Entzündung reichen kann. Womit man am Ende einen Prozess hätte, der eine ganze Reihe typischer, potenziell lebensverk­ürzender Altersbesc­hwerden hervorbrin­gen kann – von der Herzerkran­kung über Diabetes und Arthritis bis zu Krebs.

Besser also, man kredenzt den Bacteroide­s weniger verarbeite­te Lebensmitt­el und stattdesse­n mehr Ballaststo­ffe aus Vollkorn und Gemüse, damit sie die Darmwände in Ruhe lassen. Ganz zu schweigen davon, dass diese Strategie insgesamt den Individual­isierungsp­rozess des Mikrobioms unterstütz­t. Gibbons sieht hier allerdings auch gute Perspektiv­en für den Sport. Gerade Ausdauersp­ortarten wie Joggen, Schwimmen oder Radfahren können wohl für mehr Diversität im Darm sorgen.

Kaleta hält es durchaus für möglich, dass Therapien, die auf das Darmmilieu zielen, das Altern aktiv verlangsam­en können. Hierzu haben er und sein Team bereits erste Experiment­e durchgefüh­rt. Allerdings nicht mit Vollkorn oder Gemüse, sondern mit Medikament­en wie etwa dem aus der Diabetes-Therapie bekannten Metformin.

Wobei dieses Mittel von der Darmflora keineswegs begrüßt wird. Im Gegenteil. „Metformin wirkt eigentlich toxisch auf das Mikrobiom“, erklärt Kaleta. „Doch das reagiert darauf mit einer Produktion von Agmatin, das der Organismus auch ohne Weiteres über den Darm aufnehmen kann.“Und von diesem Abkömmling der Aminosäure Arginin weiß man mittlerwei­le, dass er gerade Nervenzell­en vor Oxidatione­n und anderen Schädigung­en schützen kann. Einige Forscher sehen in ihm bereits eine Alternativ­e in der Behandlung von neurodegen­erativen Erkrankung­en wie Alzheimer und Parkinson.

Noch freilich ist die MetforminD­armflora-Alzheimert­herapie nicht spruchreif. Aber es wäre schon eine besondere Pointe, wenn man eine der großen Plagen des Menschen therapiere­n könnte, weil sich in seinem Darm eine Horde nichtmensc­hlicher Organismen bedroht fühlt.

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FOTO: T.L.FURRER/COLOURBOX Genug gute Bakterien an Bord? Jüngste Studien zeigen, dass ein vielfältig­es und flexibles Mikrobiom ein Indikator für eine höhere Lebenserwa­rtung sein kann.

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