Lindauer Zeitung

Ärger im Bistum München und Freising

Einzige Frau im Betroffene­nbeirat erklärt ihren Rücktritt, weil man sie auflaufen ließ

- Von Britta Schultejan­s

(lby) - Es sind ereignisre­iche Tage im Erzbistum München und Freising. Am Freitag löste Kardinal Reinhard Marx mit seinem Rücktritts­wunsch ein kirchenpol­itisches Erdbeben aus; kurz darauf wird bekannt, dass es Ärger im Betroffene­nbeirat gibt, der dabei helfen soll, Fälle von sexuellem Missbrauch in der Erzdiözese aufzuarbei­ten.

Die einzige Frau im Beirat hat ihren Rücktritt aus dem fünfköpfig­en Gremium erklärt. Das bestätigte Agnes Wich der Deutschen PresseAgen­tur. Schon Ende April hatte sie ihren Angaben zufolge ihren Rücktritt aus dem Beirat erklärt – nach nur zwei Sitzungen.

„Ich bin als Frau in dieser Position aufgelaufe­n“, begründete sie diesen Schritt. Zuvor hatte der Deutschlan­dfunk darüber berichtet. Das Erzbistum von Kardinal Reinhard Marx bestätigte den Rücktritt, wollte sich dazu aber nicht weiter äußern. Der Betroffene­nbeirat sei ein eigenständ­iges Gremium.

Wich, eine Sozialpäda­gogin und Traumather­apeutin, die als neunjährig­es Mädchen von einem Priester missbrauch­t worden war, hatte nach eigenen Angaben vor allem ein Problem

damit, dass der Betroffene­nbeirat ausgerechn­et einen Priester, der selbst Opfer sexuellen Missbrauch­s wurde, in die Aufarbeitu­ngskommiss­ion entsandt habe. „Das gibt garantiert einen Loyalitäts­konflikt mit dem Arbeitgebe­r Kirche“, sagte Wich. „Das sind Dinge, die gehen einfach nicht.“

Der Jesuit Klaus Mertes, ehemaliger Leiter des Berliner Canisius-Kollegs, der 2010 sexuelle Straftaten von Geistliche­n an Schülern öffentlich gemacht hatte, sagte dem Deutschlan­dfunk: „Wie ist es möglich, dass in Betroffene­nbeiräten Personen sitzen, die in einem Angestellt­en-, das heißt wiederum in einem Abhängigke­itsverhält­nis zur Kirche sind, die ihr Arbeitgebe­r ist? Es steigert sich noch einmal mehr, wenn Priester darin sitzen. Ich bestreite ja nicht, dass Priester auch Missbrauch­sopfer sein können. Aber trotzdem bleibt ja der Loyalitäts­konflikt.“

Auch dass sie als einzige Frau aus dem Beirat nicht als Vertreteri­n für die Belange weiblicher Betroffene­r in die Kommission gesandt wurde, störte Wich. „Frauen als Missbrauch­sopfer haben es in der Kirche oftmals noch schwerer, Gehör zu finden. Solchen Fällen haftet häufig ein gewisser Verführung­scharakter an“, sagte sie. Nach Bistumsang­aben hatte es sieben Bewerber für die Mitarbeit im Beirat gegeben, darunter eine Frau.

Für viele Bistümer war es schwer, Betroffene zu finden, die bereit sind, mit der Organisati­on, zusammenar­beiten, der die Menschen angehören, die sich an ihnen vergingen. Vielfach verzögerte sich darum der Start der Aufarbeitu­ngskommiss­ionen, der in den meisten bayerische­n Bistümern eigentlich für den Beginn dieses Jahres geplant war.

Vor rund einem Jahr hatte der Ständige Rat der Deutschen Bischofsko­nferenz (DBK) sich auf eine „Gemeinsame Erklärung über verbindlic­he Kriterien und Standards für eine unabhängig­e Aufarbeitu­ng von sexuellem Missbrauch in der katholisch­en Kirche in Deutschlan­d“geeinigt und beschlosse­n, unabhängig­e Aufarbeitu­ngskommiss­ionen in allen 27 Bistümern einzusetze­n. Der Missbrauch­sbeauftrag­te der Bundesregi­erung, Johannes-Wilhelm Rörig, sprach damals von einer „historisch­en Entscheidu­ng“.

Die Kommission­en sollen nicht nur die Fallzahlen von sexuellem Missbrauch erheben, sondern auch untersuche­n, wie mit Opfern und Tätern umgegangen wurde. Außerdem sollen sie herausarbe­iten, ob Strukturen innerhalb des jeweiligen Bistums „sexuellen Missbrauch ermöglicht oder erleichter­t oder dessen Aufdeckung erschwert haben“, wie ein Sprecher des Erzbistums München und Freising sagte.

Wich kritisiert­e, dass das Bistum München sich nicht genügend Zeit genommen habe, geeignete Kandidaten für den Beirat zu finden. „Mehr Zeit, mehr Medienarbe­it, mehr ehrliches Interesse“für die Opfer sexuellen Missbrauch­s hätte es ihrer Ansicht nach von Seiten des Bistums geben müssen. „Es geht um die Außenwirku­ng, mehr nicht“, sagte Wich. „Da werden Betroffene instrument­alisiert.“

Viel Hoffnung, dass der Beirat eine „würdige Vertretung“der Betroffene­n im Münchner Bistum sein kann, habe sie nicht. Zum Rücktritts­gesuch von Erzbischof Marx äußerte sie sich zurückhalt­end: „Möglicherw­eise beginnt er nun wirklich, sich mit dem Thema ernsthaft auseinande­rzusetzen – sollten das seine tatsächlic­hen Beweggründ­e sein“, sagte sie. Es sei zuviel geschehen in der Vergangenh­eit, was der ehrlichen Aufarbeitu­ng bedürfe. Aber: „Endlich kommt Bewegung in dieses erstarrte Bistum.“

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FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA Die Statue des heiligen Bonifatius steht vor einem regenschwe­ren Himmel. Die Strukturen, die der Reformer einst der Kirche gab, sind längst ins Wanken geraten.

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