Länger arbeiten bis zur Rente
Wissenschaftler warnen vor Finanznot der Rentenkassen – Was das für Arbeitnehmer bedeuten könnte
- Zwei Gutachten haben sich mit der Rente beschäftigt. Eines bringt gute Nachrichten, doch das andere fällt alarmierend aus.
Trotz eines Wirtschaftseinbruchs zu Beginn der Corona-Krise, Millionen Kurzarbeitern und mehr Arbeitslosen bleiben die Auswirkungen auf die späteren Rentenansprüche der Arbeitnehmer nur gering. Das ergab eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Die Forscher haben sich angeschaut, wie sich der Konjunktureinbruch auf die Rentenansprüche von Beschäftigten im Alter zwischen 50 und 64 Jahren auswirkt. Es gebe für diese Altersgruppe nur einen „leichten Rückgang von etwa einem Prozent bei den Rentenanwartschaften“, erklärt das DIW.
Die Entwicklung verläuft vergleichsweise günstig, weil der Bund bei Kurzarbeitern und Beziehern des Arbeitslosengeldes I für 80 Prozent der Rentenbeiträge aufkommt. Diese beiden Gruppen machen den Großteil der von der Krise betroffenen Beschäftigten aus. Härter sind die Einbußen in Deutschland bei Selbständigen und Langzeitarbeitslosen. Ihre Altersvorsorge gerate bei einer länger anhaltenden Krise in Gefahr, warnen die Forscher.
An einer anderen Stelle sind Experten indes alarmiert. Der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministerium sieht ab 2025 einen durch die Pandemie noch verstärkten „Finanzierungsschock“auf die Rentenversicherung zukommen. Danach steigen die Beiträge nach heute geltendem Recht dann schnell stark an, während das Rentenniveau deutlich fallen würde, heißt es im Gutachten von Klaus Schmidt von der Uni München und Axel BörschSupan vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik.
Sollte diese Kostenexplosion weiterhin durch Haltelinien gebremst werden, müsste der Steuerzahler die entstehenden Löcher in der Rentenkasse ausgleichen – der Zuschuss des Bundes müsste nämlich steigen. Die von der Bundesregierung eingezogenen Haltelinien legen fest, dass das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinkt und die Beiträge nicht über 20 Prozent steigen. Derzeit wird etwa ein Viertel des Bundeshaushalts für die Renten aufgewendet, rund 100 Milliarden Euro im Jahr. Der Anteil wird laut Gutachten bis 2040 auf 44 Prozent der Ausgaben steigen und 2060 sogar mehr als die Hälfte des Bundesetats ausmachen. „Eine Rentenreform ist wieder einmal fällig“, schließt Börsch-Supan. Dafür hat der Beirat auch Vorschläge erarbeitet.
Börsch-Supan schlägt zunächst vor, den Nachholfaktor wieder einzusetzen. Dieser greift, wenn die Löhne sinken, die Renten aber nicht gekürzt werden. Dann sollten die Renten weniger stark steigen als die Löhne – bis die ausgelassene Kürzung wieder aufgeholt ist. Die Bundesregierung hat diese Regelung ausgesetzt. Das hat den Forschern zufolge die Wirkung, dass die Rentner in der Corona-Krise besser gestellt werden als die Arbeitnehmer.
Der wichtigste Bestandteil der Reformvorschläge ist jedoch die Anhebung des Renteneintrittsalters. Die Gutachter wollen es an die Lebenserwartung anpassen. Steigt die Lebenserwartung um ein Jahr, sollen die Arbeitnehmer acht Monate länger arbeiten. Auch will Börsch-Supan ein „Rentenfenster“einrichten. Es sieht ein Mindestalter von 63 Jahren für den Rentenbezug und ein Höchstalter von 68 Jahren vor. Zwischen 20 und 25 Prozent der Beschäftigten würden gerne über die gesetzliche Altersgrenze hinaus arbeiten, dürften dies aufgrund tariflicher Regelungen jedoch nicht. Dies müsse sich ändern.
Darüber hinaus sehen die Gutachter zwei Wege zur Stabilisierung der Rentenfinanzen, bei einer Beibehaltung der Haltelinien bei Beiträgen und Rentenniveau. So könnten die Bestandsrenten nur noch so angehoben werden, dass ihre Kaufkraft erhalten bleibt. Frankreich und Österreich gehen so vor. Der Nachteil ist, dass die Rentner mit zunehmendem Alter immer mehr von der Lohnentwicklung abgekoppelt werden. Eine andere Möglichkeit wäre, die Entgeltpunkte für die Rentenansprüche unterschiedlich zu bewerten. So könnten die ersten erworbenen Entgeltpunkt vergleichsweise viel wert sein, weitere Entgeltpunkte nach und nach immer weniger. Der Vorteil liegt darin, dass Geringverdiener vergleichsweise hohe Ansprüche erwerben, Spitzenverdiener weniger Rentenansprüche erwerben.