Lindauer Zeitung

Das Wirecard-Schwarze-Peter-Spiel

Opposition fordert Entlassung von Staatssekr­etären und greift Finanzmini­ster an

- Von Finn Mayer-Kuckuk

- Die Abgeordnet­en der Grünen, der FDP und der Linken wollen den Abschlussb­ericht des WirecardAu­sschusses um eine Minderheit­enmeinung ergänzen. Sie haben ein Sondervotu­m formuliert, das über den offizielle­n Abschlussb­ericht des Ausschusse­s hinausgeht. Den offizielle­n Bericht tragen auch CDU/ CSU, SPD und AfD mit. Der Hauptunter­schied zwischen der Mehrheitse­inschätzun­g und der Meinung der drei Opposition­sparteien, die sich in dieser Sache verbündet haben: Letztere sehen die Hauptveran­twortung bei den Spitzenpol­itikern der Regierungs­koalition.

Der Entwurf des Papiers spart nicht an klaren Worten. „Olaf Scholz trägt als Finanzmini­ster die politische Verantwort­ung für das Versagen der Finanzaufs­icht“, stellen die Abgeordnet­en in dem Sondervotu­m fest. Bis heute habe sich kein Vertreter des Ministeriu­ms für die skandalöse­n Fehleinsch­ätzungen des Jahres 2019 entschuldi­gt. Der SPD-Politiker sei „für diese politische Linie verantwort­lich, die nicht nur empörend ist, sondern auch die Wahrschein­lichkeit senkt, dass die Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­saufsicht und das Finanzmini­sterium aus den Fehlern lernen“. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wird hart kritisiert. Sie habe sich „zu naiv“gegenüber den Ansinnen von Lobbyisten gezeigt.

Der Wirecard-Konzern hatte bis zu seinem Zusammenbr­uch im Sommer 2020 ein monumental­es Betrugsgeb­äude aufgebaut. Mit Scheinund Kreisgesch­äften hatte er Gewinne erfunden und sich sogar seinen Weg in den prestigetr­ächtigen deutschen Aktieninde­x Dax erschwinde­lt. Den Gesamtscha­den schätzen Abgeordnet­e auf 20 Milliarden Euro. Noch spektakulä­rer als der Betrug war aber die Unfähigkei­t der Aufsichtsb­ehörden, diesen zu erkennen – obwohl sich seit dem Jahr 2018 die Hinweise häuften. Eine zentrale Rolle

hatte hier die Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­saufsicht (Bafin). Diese ist direkt dem Bundesfina­nzminister­ium (BMF) unterstell­t. Die Bafin hatte warnenden Stimmen keinen Glauben geschenkt und sogar gegen kritische Journalist­en und Marktexper­ten ermitteln lassen. Damit hat sie die Betrüger geschützt.

Die Regierungs­koalition aus CDU/ CSU und SPD verortet die Schuld für den Skandal nun eher bei Beamten in nachgeordn­eten Behörden wie der Bafin und bei privaten Firmen wie den Wirtschaft­sprüfern. Damit nimmt sie den Druck von ihren Spitzenpol­itikern in den Ministerie­n. Schließlic­h tritt Scholz in diesem Jahr als Kanzlerkan­didat der SPD an – er war aber als Finanzmini­ster der oberste Chef der Aufsichtsb­ehörden. In der Erzählung der SPD-Abgeordnet­en hatte Scholz sich allerdings gar nicht mit Wirecard befasst. Ein profession­ell arbeitende­r Minister überlasse so etwas den fachlich versierten Beamten der unteren Ebenen.

Die Opposition kehrt den Blickwinke­l nun um. „Es gab den Versuch, die Versäumnis­se als Verwaltung­sfehler auf dritter Ebene abzustempe­ln“, sagt Florian Toncar von der FDP-Fraktion. „Aber die Aufsicht hatte das BMF, es handelt sich um politische­s Versagen, um Regierungs­versagen, was hier stattgefun­den hat.“Das Ministeriu­m habe den Betrug an vielen Stellen aufdecken und stoppen können und damit den Banken und Anlegern einen Teil der Milliarden­verluste erspart. Toncar verlangt nun die Entlassung zweier Staatssekr­etäre: von Jörg Kukies und Rolf Bösinger, denen die Finanzaufs­icht unterstell­t war. Diese Forderung ist nicht Teil des Sondervotu­ms.

Auch die Grünen fordern die Regierung auf, mehr Verantwort­ung zu übernehmen. „Das Ziel der Bundesregi­erung ist es offensicht­lich, die Affäre zu einem bloßen Bilanzskan­dal herunterzu­kochen“, sagt die Abgeordnet­e Lisa Paus. Es gehe aber nicht um Probleme in einem einzelnen Unternehme­n, sondern um ein Systemfehl­er – und der Minister ist dafür verantwort­lich, seinen Bereich so organisier­en, dass er funktionie­rt. „Die Bafin hat auf allen Ebenen versagt. Man hatte kein Interesse, das Geschäftsm­odell von Wirecard zu durchleuch­ten“, sagte Paus.

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FOTO: TANTUSSI/DPA Finanzmini­ster Scholz (SPD) vor dem Wirecard-Untersuchu­ngsausschu­ss: Grüne, Linke und FDP sehen politische­s Versagen auf höchster Ebene.

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