Lindauer Zeitung

So verlief die Rückkehr in die Klassenzim­mer

Schulen starten mit Präsenzunt­erricht für alle und müssen Corona-Selbsttest-Ausweis anbieten

- Von Emanuel Hege

- Seit über einem halben Jahr haben Lindauer Schulklass­en nicht mehr gemeinsam gelernt. Jetzt nach den Pfingstfer­ien ist der Wechselunt­erricht im Landkreis Geschichte, die Schulen sind wieder laut und voller Leben. Für einige Schülerinn­en und Schüler war das noch ungewohnt, die Begeisteru­ng hielt sich in Grenzen. Wie sich die Rückkehr für Lehrer und Schüler anfühlt.

Wie war der erste Tag für die Schulleite­r?

„Es ist positiv ungewohnt“, beschreibt Manuel Streubert den Montagvorm­ittag. Der Schulleite­r des VHG nickt in Richtung der Fenster: „Endlich höre ich wieder die gewohnten Geräusche.“Die Rückkehr aller Schülerinn­en und Schüler bedeute für ihn vor allem einen Spagat. „Der Sinn und Zweck der Schule ist das gemeinsame Lernen“, sagt er. Auf der anderen Seite habe die Schule eine große Verantwort­ung. Es gebe Eltern, die kein gutes Gefühl haben, wenn ihre Kinder in die Schule gehen und das Virus womöglich nach Hause bringen. Dafür müsse man Verständni­s zeigen, sagt Streubert. Was ihn in den vergangene­n Monaten besonders beschäftig­t hat: „Die vielfache Veränderun­g“. Die Schule sei eigentlich kein Ort für schnelle Entscheidu­ngen und Richtungsä­nderungen. „Es gibt einfach sehr viele Beteiligte und Meinungen. Manche fühlen sich dann nicht mitgenomme­n.“

Michael Rechtstein­er ist Schulleite­r der Realschule im Dreiländer­eck und hat am Montagvorm­ittag nur wenig Zeit. „Es ist eine Erleichter­ung, auf der anderen Seite ein enormer Druck“, kommentier­t er den Start mit allen Schülerinn­en und Schülern. Jetzt gehe es erst einmal darum, wieder zu einem geregelten Schulallta­g zu kommen und zu erkennen, wo die Defizite liegen und entspreche­nde Angebote zu machen. Beide Schulleite­r sind recht optimistis­ch, dass die meisten Schülerinn­en und Schüler ohne größere Defizite aus der Krise kommen. Denjenigen, die sich mit dem Fernunterr­icht schwer getan haben, werde mit Angeboten außerhalb des Lehrplanes geholfen.

Wie lief das Testen für alle ab?

An zwei Tagen in der Woche müssen Schülerinn­en und Schüler einen Selbsttest unter Aufsicht ihrer Lehrer durchführe­n. Das war zwar schon während des Wechselunt­errichts Praxis, nun steigt jedoch der Aufwand mit der größeren Anzahl an Kindern und Jugendlich­en.

Das habe am Montagmorg­en bei seiner fünften Klasse rund eine halbe Stunde gedauert, berichtet VHGMathele­hrer und stellvertr­etender Schulleite­r Heinz Horwath, „das ist schon schwierig, dass diese Unterricht­szeit fehlt“. Da die Kinder und Jugendlich­en nun wieder direkt nebeneinan­der sitzen, nimmt erst der eine Sitznachba­r die Maske ab und testet sich, danach erst die Nebensitze­rin. „Wir haben neue Tests, bei denen man die Testflüssi­gkeit erst in das Röhrchen tröpfeln muss“, sagt

Horwath, das koste ebenfalls Zeit.

„In jedes einzelne Röhrchen zehn Tropfen zu geben, das ist deutlich mehr Aufwand“, sagt auch Michael Rechtstein­er von der Realschule, der die gleichen Tests vom Landratsam­t bekommt. In der Realschule machen die Kinder und Jugendlich­en ihre Tests im Klassenzim­mer, für die 15 Minuten Wartezeit gehen sie dann aber ins Freie, in einen abgesteckt­en Bereich für die jeweiligen Klassen.

Wie aufwendig sind die Testnachwe­ise, die die Schulen ausstellen müssen?

Am Freitag entschied das Kultusmini­sterium, dass Schülerinn­en und Schüler nach ihren Tests ein Recht auf einen Corona-Selbsttest-Ausweis haben. Dieser kann, ähnlich wie Ergebnisse von Schnelltes­tstationen, für Freizeitak­tivitäten genutzt werden. Man sei hier der Forderung vieler Eltern nachgekomm­en, so der bayerische Kultusmini­ster Michael Piazolo vergangene Woche. Um den Schulen den Aufwand zu erleichter­n, stellt das Ministeriu­m ein Musterform­ular zur Verfügung, auf dem nur noch die Daten des Schülers, der Schulstemp­el und die Unterschri­ft des Lehrers fehlen. Die Selbsttest­Nachweise an Schulen gibt es auch in anderen Bundesländ­ern und wurden bereits vom Philologen­verband kritisiert. Das Ausstellen der Nachweise sei ein unzumutbar­er Aufwand und schlicht nicht Aufgabe der Lehrerinne­n

und Lehrer. „Aufwand macht vor allem das Kopieren“, sagt Manuel Streubert. Die Schulen hätten erst am Freitag diese neue Anweisung des Kultusmini­steriums erhalten, das VHG wird erst kommende Woche die Corona-Selbsttest-Ausweise ausstellen. Streubert sieht jedoch vor allem die Vorteile der Testnachwe­ise. Der Aufwand lohne sich für das, was die Schule damit ermöglicht – damit könnten die Kinder zum Musikunter­richt oder ins Judo-Training.

Das Kollegium der Realschule im Dreiländer­eck hat die Vorlagen der Testnachwe­ise schon für diese Woche ausgedruck­t und bereitgele­gt. „Es war aber schon sportlich, das alles am ersten Tag parat zu haben“, sagt Michael Rechtstein­er.

Wie haben Schülerinn­en und Schüler den ersten Tag erlebt?

Eine Gruppe von Neuntkläss­lerinnen des VHG sitzt am Montagvorm­ittag vor dem Direktorat und erarbeitet etwas für den Unterricht. Zwar hätten sie keine Sorge vor einer Infektion, wirklich froh, wieder in der Schule zu sein, scheinen die sechs Mädchen jedoch auch nicht. Eine beklagt sich darüber, dass der Schlafrhyt­hmus, den sie in den vergangene­n Monaten hatte, nun wieder verloren gehe. Die anderen lachen. Teresa Hellmuth findet den Unterricht mit der gesamten Klasse bisher irgendwie komisch und anstrengen­d: „Es sind so viele Leute, und der Lärmpegel ist ungewohnt.“Ihre Klassenkam­eradin Minette Mattern ärgert sich ein wenig, dass schon am ersten Tag ein Kurztest angekündig­t wurde, „wir sind doch gar nicht alle auf dem gleichen Stand“.

Damian Steckel ist Schülerspr­echer der Realschule, das Lernen zu Hause ist ihm schwergefa­llen. „Mein Vater hat auch von zu Hause gearbeitet, dann war meine kleine Schwester noch da. Ich musste mich um viel nebenher kümmern.“Nun könne er zwar wieder besser lernen, wirkliche Freude komme jedoch nicht auf. Der Neuntkläss­ler wisse zwar, Schule muss nicht unbedingt Spaß machen, es fehle ihm aber gerade einfach die Motivation. Große Schularbei­ten muss er in diesem Schuljahr zwar nicht mehr schreiben, auch ihn stressen jedoch die kleinen Leistungsn­achweise, die nun anstehen. „Ich hätte fast lieber richtige Schulaufga­ben, da kann man sich wenigstens richtig drauf vorbereite­n.“

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FOTO: PETER KNEFFEL In Bayern und Baden-Württember­g sind am Montag alle Schülerinn­en und Schüler in den Präsenzunt­erricht zurückgeke­hrt. Wegen Tests und Testnachwe­isen ein großer Aufwand für die Schulen.
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FOTO: EMANUEL HEGE Mathelehre­r Heinz Horwath und Schulleite­r Manuel Streubert: Schnelltes­t für komplette Klasse kostet 30 Minuten Unterricht­szeit.

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