So verlief die Rückkehr in die Klassenzimmer
Schulen starten mit Präsenzunterricht für alle und müssen Corona-Selbsttest-Ausweis anbieten
- Seit über einem halben Jahr haben Lindauer Schulklassen nicht mehr gemeinsam gelernt. Jetzt nach den Pfingstferien ist der Wechselunterricht im Landkreis Geschichte, die Schulen sind wieder laut und voller Leben. Für einige Schülerinnen und Schüler war das noch ungewohnt, die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Wie sich die Rückkehr für Lehrer und Schüler anfühlt.
Wie war der erste Tag für die Schulleiter?
„Es ist positiv ungewohnt“, beschreibt Manuel Streubert den Montagvormittag. Der Schulleiter des VHG nickt in Richtung der Fenster: „Endlich höre ich wieder die gewohnten Geräusche.“Die Rückkehr aller Schülerinnen und Schüler bedeute für ihn vor allem einen Spagat. „Der Sinn und Zweck der Schule ist das gemeinsame Lernen“, sagt er. Auf der anderen Seite habe die Schule eine große Verantwortung. Es gebe Eltern, die kein gutes Gefühl haben, wenn ihre Kinder in die Schule gehen und das Virus womöglich nach Hause bringen. Dafür müsse man Verständnis zeigen, sagt Streubert. Was ihn in den vergangenen Monaten besonders beschäftigt hat: „Die vielfache Veränderung“. Die Schule sei eigentlich kein Ort für schnelle Entscheidungen und Richtungsänderungen. „Es gibt einfach sehr viele Beteiligte und Meinungen. Manche fühlen sich dann nicht mitgenommen.“
Michael Rechtsteiner ist Schulleiter der Realschule im Dreiländereck und hat am Montagvormittag nur wenig Zeit. „Es ist eine Erleichterung, auf der anderen Seite ein enormer Druck“, kommentiert er den Start mit allen Schülerinnen und Schülern. Jetzt gehe es erst einmal darum, wieder zu einem geregelten Schulalltag zu kommen und zu erkennen, wo die Defizite liegen und entsprechende Angebote zu machen. Beide Schulleiter sind recht optimistisch, dass die meisten Schülerinnen und Schüler ohne größere Defizite aus der Krise kommen. Denjenigen, die sich mit dem Fernunterricht schwer getan haben, werde mit Angeboten außerhalb des Lehrplanes geholfen.
Wie lief das Testen für alle ab?
An zwei Tagen in der Woche müssen Schülerinnen und Schüler einen Selbsttest unter Aufsicht ihrer Lehrer durchführen. Das war zwar schon während des Wechselunterrichts Praxis, nun steigt jedoch der Aufwand mit der größeren Anzahl an Kindern und Jugendlichen.
Das habe am Montagmorgen bei seiner fünften Klasse rund eine halbe Stunde gedauert, berichtet VHGMathelehrer und stellvertretender Schulleiter Heinz Horwath, „das ist schon schwierig, dass diese Unterrichtszeit fehlt“. Da die Kinder und Jugendlichen nun wieder direkt nebeneinander sitzen, nimmt erst der eine Sitznachbar die Maske ab und testet sich, danach erst die Nebensitzerin. „Wir haben neue Tests, bei denen man die Testflüssigkeit erst in das Röhrchen tröpfeln muss“, sagt
Horwath, das koste ebenfalls Zeit.
„In jedes einzelne Röhrchen zehn Tropfen zu geben, das ist deutlich mehr Aufwand“, sagt auch Michael Rechtsteiner von der Realschule, der die gleichen Tests vom Landratsamt bekommt. In der Realschule machen die Kinder und Jugendlichen ihre Tests im Klassenzimmer, für die 15 Minuten Wartezeit gehen sie dann aber ins Freie, in einen abgesteckten Bereich für die jeweiligen Klassen.
Wie aufwendig sind die Testnachweise, die die Schulen ausstellen müssen?
Am Freitag entschied das Kultusministerium, dass Schülerinnen und Schüler nach ihren Tests ein Recht auf einen Corona-Selbsttest-Ausweis haben. Dieser kann, ähnlich wie Ergebnisse von Schnellteststationen, für Freizeitaktivitäten genutzt werden. Man sei hier der Forderung vieler Eltern nachgekommen, so der bayerische Kultusminister Michael Piazolo vergangene Woche. Um den Schulen den Aufwand zu erleichtern, stellt das Ministerium ein Musterformular zur Verfügung, auf dem nur noch die Daten des Schülers, der Schulstempel und die Unterschrift des Lehrers fehlen. Die SelbsttestNachweise an Schulen gibt es auch in anderen Bundesländern und wurden bereits vom Philologenverband kritisiert. Das Ausstellen der Nachweise sei ein unzumutbarer Aufwand und schlicht nicht Aufgabe der Lehrerinnen
und Lehrer. „Aufwand macht vor allem das Kopieren“, sagt Manuel Streubert. Die Schulen hätten erst am Freitag diese neue Anweisung des Kultusministeriums erhalten, das VHG wird erst kommende Woche die Corona-Selbsttest-Ausweise ausstellen. Streubert sieht jedoch vor allem die Vorteile der Testnachweise. Der Aufwand lohne sich für das, was die Schule damit ermöglicht – damit könnten die Kinder zum Musikunterricht oder ins Judo-Training.
Das Kollegium der Realschule im Dreiländereck hat die Vorlagen der Testnachweise schon für diese Woche ausgedruckt und bereitgelegt. „Es war aber schon sportlich, das alles am ersten Tag parat zu haben“, sagt Michael Rechtsteiner.
Wie haben Schülerinnen und Schüler den ersten Tag erlebt?
Eine Gruppe von Neuntklässlerinnen des VHG sitzt am Montagvormittag vor dem Direktorat und erarbeitet etwas für den Unterricht. Zwar hätten sie keine Sorge vor einer Infektion, wirklich froh, wieder in der Schule zu sein, scheinen die sechs Mädchen jedoch auch nicht. Eine beklagt sich darüber, dass der Schlafrhythmus, den sie in den vergangenen Monaten hatte, nun wieder verloren gehe. Die anderen lachen. Teresa Hellmuth findet den Unterricht mit der gesamten Klasse bisher irgendwie komisch und anstrengend: „Es sind so viele Leute, und der Lärmpegel ist ungewohnt.“Ihre Klassenkameradin Minette Mattern ärgert sich ein wenig, dass schon am ersten Tag ein Kurztest angekündigt wurde, „wir sind doch gar nicht alle auf dem gleichen Stand“.
Damian Steckel ist Schülersprecher der Realschule, das Lernen zu Hause ist ihm schwergefallen. „Mein Vater hat auch von zu Hause gearbeitet, dann war meine kleine Schwester noch da. Ich musste mich um viel nebenher kümmern.“Nun könne er zwar wieder besser lernen, wirkliche Freude komme jedoch nicht auf. Der Neuntklässler wisse zwar, Schule muss nicht unbedingt Spaß machen, es fehle ihm aber gerade einfach die Motivation. Große Schularbeiten muss er in diesem Schuljahr zwar nicht mehr schreiben, auch ihn stressen jedoch die kleinen Leistungsnachweise, die nun anstehen. „Ich hätte fast lieber richtige Schulaufgaben, da kann man sich wenigstens richtig drauf vorbereiten.“