Lindauer Zeitung

„Wir dürfen Gabi nicht vergessen“

Gabriele Schwarz wird 1943 mit nur fünf Jahren in Auschwitz ermordet – Bischof Bertram Meier hat nun ihre Gedenktafe­l gesegnet

- Von Stefanie Gronostay

- „Es ist ein guter Schluss“, sagt Leo Hiemer. Der Kaufbeurer Autor und Regisseur steht vor der Gedenktafe­l von Gabriele Schwarz in Stiefenhof­en. Wenige Minuten ist es her, dass der Augsburger Bischof Bertram Meier die Tafel gesegnet hat. Nach vielen Jahrzehnte­n hat Gabi, die 1943 mit nur fünf Jahren in Auschwitz ermordet worden ist, einen Ort des Gedenkens bekommen. „Ich freue mich sehr, dass der Bischof seinen Segen erteilt hat“, sagt Leo Hiemer, auf dessen Bestreben hin die Tafel ihren Platz an der Kirchenmau­er fand. „Die Kirche spielt immerhin eine wichtige Rolle in der Geschichte von Gabi.“

Leo Hiemer hat sich mit dem Schicksal von Gabi beschäftig­t wie kein anderer. Er erforschte die Geschichte des Mädchens, das 1937 in Marktoberd­orf geboren wurde. 2019 veröffentl­ichte er seine Ergebnisse in dem Buch „Gabi (1937 bis 1943): Geboren im Allgäu – ermordet in Auschwitz“. Vor ein paar Monaten schickte Leo Hiemer sein Buch an Schwester Theresia Wittemann, die persönlich­e Referentin des Augsburger Bischofs. Er erzählte ihr auch von der Gedenktafe­l, die seit vergangene­m Jahr in Stiefenhof­en hängt. „Sie war sehr bewegt von Gabis Geschichte und hat sie dem Bischof ans Herz gelegt“, erzählt Hiemer. Im Januar schließlic­h kam der Anruf: Bischof Meier kündigte an, für einen Gedenkgott­esdienst für die kleine Gabi nach Stiefenhof­en zu kommen und die Tafel zu segnen.

„Gabis Leben ist viel zu früh erloschen“, sagte Bischof Meier am Freitagabe­nd in Stiefenhof­en. „Sie steht für all die Kinder, die schutzlos sind – auch heute noch.“Der Geistliche zitierte aus Statistike­n: 2018 kam für 133 Kinder unter 14 Jahren in Deutschlan­d jede Hilfe zu spät. Sie starben aufgrund von Gewalt. Jedes Opfer sei ein Opfer zu viel. Bischof Bertram erinnerte in seiner Predigt an das Schicksal von Gabi, deren Mutter jüdischer Herkunft war.

Um ihre Tochter vor den Nationalso­zialisten zu schützen, gab Lotte Eckhart Gabi zur Pflege auf den

Bauernhof der Familie Aichele in Stiefenhof­en. Lotte Eckhart plante auszuwande­rn und wurde dabei vom Münchner Kardinal Michael von Faulhaber unterstütz­t. Er stellte ihr eine Empfehlung für Amerika aus. Doch vergebens: 1941 wurde Lotte Eckhart vergast, zwei Jahre später musste Gabi ihrer Mutter in den Tod folgen.

Hätte die Kirche im Fall Gabi mehr tun können? „Darüber möchte ich mir kein Urteil erlauben“, sagte Bischof Bertram. Doch die Frage nach dem Warum bleibe. Warum wurde Gabi nach Auschwitz deportiert? Warum musste ein unschuldig­es Kind sterben? „Gott ist da und geht mit uns durchs Leid, auch wenn das Warum oft unverständ­lich bleibt.“Der Geistliche appelliert­e, dass die heutige Jugend gegen neu entstehend­e Fantasien immunisier­t werden müsse. „Wer die Menschen in Kategorien wie Rasse einteilt, hat das Messer im Herzen schon gezückt“, sagte der Bischof. „Der Tod von Gabriele Schwarz ist eine Botschaft und Mahnung, Leben zu schützen. Wir dürfen Gabi nicht vergessen.“

Dass in Stiefenhof­en nun eine Tafel an Gabis Leben und Sterben erinnert, ist keine Selbstvers­tändlichke­it. Bereits 1985 wollten vier Männer, die sich zum „Erinnerung­skreis Gabriele“zusammenge­schlossen hatten, dem Mädchen gedenken und eine Tafel anbringen. Der Vorschlag stieß jedoch beim damaligen Pfarrer Herbert Mader und im Dorf auf Ablehnung. Die Stiefenhof­ener hatten Angst, an den Pranger gestellt zu werden und empfanden das als eine Einmischun­g von Außen.

2020 brachte Leo Hiemer die Gedenktafe­l für Gabi wieder ins Gespräch. Dorfpfarre­r Johann Mair stimmte zu, und die Tafel wurde an der östlichen Kirchenmau­er angebracht. „Es ist schön, etwas zu vollenden, was vier Männer vor 35 Jahren angestoßen haben“, sagt Hiemer. Dass nun auch noch der Bischof seinen Segen gegeben hat, „ist ein versöhnlic­hes Ende“.

Gabriele Schwarz wird am 24. Mai 1937 in Marktoberd­orf im Ostallgäu geboren. Ihre Mutter Lotte Eckart ist jüdischer Herkunft. Sie lässt ihr Kind noch am selben Tag katholisch taufen. Der Vater von Gabi ist bis heute unbekannt. Mit drei Wochen wird Gabi zur Pflege auf den Hof der Familie Aichele in Stiefenhof­en gegeben. Dort wächst sie liebevoll auf. Ihre Mutter Lotte kommt sie regelmäßig im Allgäu besuchen.

Im Februar 1943 kommt Gabi in das „Jüdische Sammellage­r Berg am Laim“bei München . Dort verbringt sie vier Wochen, bis sie am 13. März nach Auschwitz deportiert wird. Drei Tage verbringt Gabi im Zug nach Auschwitz . Sie kommt dort am Abend des 16. März an. Eine Stunde später wird sie vergast. (gst)

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FOTOS: STEFANIE GRONOSTAY Der Augsburger Bischof Bertram Meier segnete am Freitag im Rahmen eines Gedenkgott­esdienstes die Tafel für Gabriele Schwarz.
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ARCHIVFOTO: HOCHGEMUTH Autor Leo Hiemer hat das Schicksal des Mädchens erforscht und sich dafür eingesetzt, dass ein Gedenkort geschaffen wird.
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FOTO: HIEMERFILM & XARASMEDIA FFM Gabi war ein fröhliches Kind, lachte viel.

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