Lindauer Zeitung

Zu wenig Allgäu beim Bayerische­n Rundfunk?

Sprachwiss­enschaftle­r behaupten, dass das Programm des Senders zu oberbayern­lastig ist

- Von Alexandra Decker

- Das Fernseh- und Radioprogr­amm des Bayerische­n Rundfunks (BR) sei zu oberbayern­lastig, andere Regionen wie das Allgäu und Franken kämen zu kurz: Das behaupten der Füssener Sprachwiss­enschaftle­r Manfred Renn und Medienprof­essor Kilian Moritz von der Hochschule Würzburg. Letzterer wandte sich mit seiner Kritik auch an den Rundfunkra­t des BR.

Moritz hielt seine Beobachtun­gen in einer über 300-seitigen Arbeit fest. Er hörte dafür unter anderem einen Tag von 6 bis 24 Uhr Radio und entdeckte unter 224 Musiktitel­n nur 29 aus Franken. Das wäre bei anderen Sendern unmöglich, da es meist eine Rotationsr­egel gebe, sagt er. Dazu komme beim BR, dass jeder Dialektbeg­riff, der überregion­al verwendet wird, oberbayeri­sch sei. Renn verweist aufs Fernsehen: „Fast alle Krimis im BR spielen in Altbayern. Serien, tägliche Produktion­en und Comedy sind fast alle auf altbayeris­ch.“Der Dialekt sei auch bei Darsteller­n dominant. „Es gibt ein ganzes Heer bayerische­r Schauspiel­er, die aber können nur altbayeris­ch.“

Erscheine das Allgäu doch im Programm, wird es „nicht als etwas Eigenständ­iges dargestell­t, sondern als westliche Verlängeru­ng Oberbayern­s“, sagt Renn und kritisiert: „So präsentier­en sich die Allgäuer aber zum Teil auch selbst, wenn sie zum Beispiel von Kaiserschm­arrn statt Eierhaber reden“(siehe Infokasten) . Insgesamt spiele der Dialekt für die Menschen heutzutage aber schon noch eine Rolle – etwa, um sich mit einem Gebiet zu identifizi­eren. Scheu vor der Mundart gebe es wenig, aber ein Unvermögen, sie richtig zu beherrsche­n.

Das Ziel des BR sei es, „die kulturelle Vielfalt Bayerns möglichst breit abzubilden“, heißt es von der Pressestel­le. Jede Redaktion, jeder Programmbe­reich wäge hier nach redaktione­llen und journalist­ischen Kriterien ab. Im Fernsehen und Hörfunk würden alle Regionen Bayerns sichtbar.

Mit Beispielen zeigt Sprachwiss­enschaftle­r Renn, wo der Allgäuer Dialekt in den Hintergrun­d gerät.

Alpe: Dem Allgäuer Wort wird besonders im östlichen Allgäu schon oft das bayerische Alm vorgezogen.

Häß: Bayerisch heißt es Gwand . Die Sprachgren­ze verlief bei diesem Wort ziemlich exakt am Lech entlang.

B’schittê beziehungs­weise Lachê

(hochsprach­lich Jauche oder Gülle) wird oft durchs bayerische Odl ersetzt.

Auch grammatisc­he Elemente

werden ersetzt. Dazu gehören erstens Endungen von Verben in der Mehrzahl. Fragte der Allgäuer ursprüngli­ch hand’r, kommêt’r und Daneben stellten Unterhaltu­ngsendunge­n ganz bewusst alle Regionen gleichmäßi­g dar.

Die bayerische Vielfalt abzudecken, gelingt dem BR nach eigener Einschätzu­ng „in weiten Teilen sehr wend’r, bevorzugen heute viele Formen wie habts ihr, kommts ihr und wollts ihr. „Vermutlich ist sich kaum einem bewusst, dass dieses sinnloserw­eise eingefügte -s auf das bayerische Fürwort es für ihr zurück geht“, sagt Renn.

Zweitens werden Endungen von Verkleiner­ungs- und Verniedlic­hungsforme­n aus dem Bayerische­n übernommen. Sagte der Allgäuer einst Ripplê, Päcklê, Schätzlê und Stängêlê, heißt es nun oft Ripperl, Packerl, Schatzl und Stangerl. Die Gastronomi­e zeigt sich laut Renn besonders aufnahmebe­reit für bayerische Verniedlic­hungsforme­n wie Haferl, Stamperl, Stüberl, Würstl und Fleischpfl­anzerl. (dec) gut, in anderen nicht im gewünschte­n Umfang. Nehmen Sie etwa das Fastnachts­programm im Fernsehen. Hier werden Sie nur wenig bis keinen oberbayeri­schen Dialekt finden. Eines unserer Flaggschif­fe kommt mit ,Schwaben weissblau, hurra und helau’ aus dem Allgäu.“

In der Volksmusik dagegen sei der Oberbayern-Anteil viel höher – auch aus historisch­en Gründen. Im Alpenraum gab es früh bekannte Volksmusik­er, die das Format für Radio und TV erst interessan­t machten. Deshalb finden sich im BR-Archiv überdurchs­chnittlich viele Titel aus Altbayern. Was Moderatore­n, Protagonis­ten und Studiogäst­e angeht, seien alle Regionen vertreten. Um alle Regionen ins Programm zu bringen, startete der BR eine Regionalis­ierungs-Offensive. Seit 2017 habe man gezielt Ressourcen in die Regionen verlagert. Aktuell berichten bayernweit 54 Korrespond­ent von 28 Standorten.

Auch abseits journalist­ischer Berichters­tattung habe sich viel getan. Etwa beim Film. Lange habe es außerhalb Münchens nur wenig starke Filmstando­rte gegeben. Hier zeichne sich eine Veränderun­g ab. Produktion­sfirmen drehen inzwischen verstärkt an anderen Orten.

Der BR-Rundfunkra­t hat die Anfrage von Moritz noch nicht abschließe­nd beraten. Das Thema sei zu komplex, um es etwa mit Quotenrege­ln zu lösen. „Zum einen ist die Programmau­tonomie der Rundfunkan­stalten ein hohes Gut. Es gilt außerdem die Struktur der Produktion­slandschaf­t zu berücksich­tigen, ebenso die gesellscha­ftliche Heterogeni­tät und die finanziell­en Spielräume“, sagt Rundfunkra­tsvorsitze­nder Dr. Lorenz Wolf. Man werde sich mit dem Thema befassen, sobald die für eine seriöse Beratung relevanten Fakten vorbereite­t seien.

 ?? FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA ?? Regionen wie das Allgäu und Franken kommen nach Aussagen von Sprachwiss­enschaftle­rn im Programm des BR zu kurz.
FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Regionen wie das Allgäu und Franken kommen nach Aussagen von Sprachwiss­enschaftle­rn im Programm des BR zu kurz.

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