Zu wenig Allgäu beim Bayerischen Rundfunk?
Sprachwissenschaftler behaupten, dass das Programm des Senders zu oberbayernlastig ist
- Das Fernseh- und Radioprogramm des Bayerischen Rundfunks (BR) sei zu oberbayernlastig, andere Regionen wie das Allgäu und Franken kämen zu kurz: Das behaupten der Füssener Sprachwissenschaftler Manfred Renn und Medienprofessor Kilian Moritz von der Hochschule Würzburg. Letzterer wandte sich mit seiner Kritik auch an den Rundfunkrat des BR.
Moritz hielt seine Beobachtungen in einer über 300-seitigen Arbeit fest. Er hörte dafür unter anderem einen Tag von 6 bis 24 Uhr Radio und entdeckte unter 224 Musiktiteln nur 29 aus Franken. Das wäre bei anderen Sendern unmöglich, da es meist eine Rotationsregel gebe, sagt er. Dazu komme beim BR, dass jeder Dialektbegriff, der überregional verwendet wird, oberbayerisch sei. Renn verweist aufs Fernsehen: „Fast alle Krimis im BR spielen in Altbayern. Serien, tägliche Produktionen und Comedy sind fast alle auf altbayerisch.“Der Dialekt sei auch bei Darstellern dominant. „Es gibt ein ganzes Heer bayerischer Schauspieler, die aber können nur altbayerisch.“
Erscheine das Allgäu doch im Programm, wird es „nicht als etwas Eigenständiges dargestellt, sondern als westliche Verlängerung Oberbayerns“, sagt Renn und kritisiert: „So präsentieren sich die Allgäuer aber zum Teil auch selbst, wenn sie zum Beispiel von Kaiserschmarrn statt Eierhaber reden“(siehe Infokasten) . Insgesamt spiele der Dialekt für die Menschen heutzutage aber schon noch eine Rolle – etwa, um sich mit einem Gebiet zu identifizieren. Scheu vor der Mundart gebe es wenig, aber ein Unvermögen, sie richtig zu beherrschen.
Das Ziel des BR sei es, „die kulturelle Vielfalt Bayerns möglichst breit abzubilden“, heißt es von der Pressestelle. Jede Redaktion, jeder Programmbereich wäge hier nach redaktionellen und journalistischen Kriterien ab. Im Fernsehen und Hörfunk würden alle Regionen Bayerns sichtbar.
Mit Beispielen zeigt Sprachwissenschaftler Renn, wo der Allgäuer Dialekt in den Hintergrund gerät.
Alpe: Dem Allgäuer Wort wird besonders im östlichen Allgäu schon oft das bayerische Alm vorgezogen.
Häß: Bayerisch heißt es Gwand . Die Sprachgrenze verlief bei diesem Wort ziemlich exakt am Lech entlang.
B’schittê beziehungsweise Lachê
(hochsprachlich Jauche oder Gülle) wird oft durchs bayerische Odl ersetzt.
Auch grammatische Elemente
werden ersetzt. Dazu gehören erstens Endungen von Verben in der Mehrzahl. Fragte der Allgäuer ursprünglich hand’r, kommêt’r und Daneben stellten Unterhaltungsendungen ganz bewusst alle Regionen gleichmäßig dar.
Die bayerische Vielfalt abzudecken, gelingt dem BR nach eigener Einschätzung „in weiten Teilen sehr wend’r, bevorzugen heute viele Formen wie habts ihr, kommts ihr und wollts ihr. „Vermutlich ist sich kaum einem bewusst, dass dieses sinnloserweise eingefügte -s auf das bayerische Fürwort es für ihr zurück geht“, sagt Renn.
Zweitens werden Endungen von Verkleinerungs- und Verniedlichungsformen aus dem Bayerischen übernommen. Sagte der Allgäuer einst Ripplê, Päcklê, Schätzlê und Stängêlê, heißt es nun oft Ripperl, Packerl, Schatzl und Stangerl. Die Gastronomie zeigt sich laut Renn besonders aufnahmebereit für bayerische Verniedlichungsformen wie Haferl, Stamperl, Stüberl, Würstl und Fleischpflanzerl. (dec) gut, in anderen nicht im gewünschten Umfang. Nehmen Sie etwa das Fastnachtsprogramm im Fernsehen. Hier werden Sie nur wenig bis keinen oberbayerischen Dialekt finden. Eines unserer Flaggschiffe kommt mit ,Schwaben weissblau, hurra und helau’ aus dem Allgäu.“
In der Volksmusik dagegen sei der Oberbayern-Anteil viel höher – auch aus historischen Gründen. Im Alpenraum gab es früh bekannte Volksmusiker, die das Format für Radio und TV erst interessant machten. Deshalb finden sich im BR-Archiv überdurchschnittlich viele Titel aus Altbayern. Was Moderatoren, Protagonisten und Studiogäste angeht, seien alle Regionen vertreten. Um alle Regionen ins Programm zu bringen, startete der BR eine Regionalisierungs-Offensive. Seit 2017 habe man gezielt Ressourcen in die Regionen verlagert. Aktuell berichten bayernweit 54 Korrespondent von 28 Standorten.
Auch abseits journalistischer Berichterstattung habe sich viel getan. Etwa beim Film. Lange habe es außerhalb Münchens nur wenig starke Filmstandorte gegeben. Hier zeichne sich eine Veränderung ab. Produktionsfirmen drehen inzwischen verstärkt an anderen Orten.
Der BR-Rundfunkrat hat die Anfrage von Moritz noch nicht abschließend beraten. Das Thema sei zu komplex, um es etwa mit Quotenregeln zu lösen. „Zum einen ist die Programmautonomie der Rundfunkanstalten ein hohes Gut. Es gilt außerdem die Struktur der Produktionslandschaft zu berücksichtigen, ebenso die gesellschaftliche Heterogenität und die finanziellen Spielräume“, sagt Rundfunkratsvorsitzender Dr. Lorenz Wolf. Man werde sich mit dem Thema befassen, sobald die für eine seriöse Beratung relevanten Fakten vorbereitet seien.