Lindauer Zeitung

Krach um jeden Preis

Durch den Elektroant­rieb von Motorräder­n könnte deren Lärmproble­m gelöst werden – Doch für viele Biker gehört ein ordentlich­er „Sound“zum Fahrgefühl

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Von Uwe Jauß

- Der Lärm ist kreischend – ähnlich wie bei einer Kreissäge auf Hochbetrie­b beim Holzzertre­nnen. In diesem Fall kommt er von einem PS-starken Motorrad, von seinem Fahrer hochtourig das Bergsträßl­ein am Höchsten hochgejagt. Die 838 Meter hohe Erhebung im oberschwäb­ischen Bodenseehi­nterland ist bei jeder Art von Ausflügler­n beliebt. Geniale Aussicht bis weit in die Schweizer Alpen, jüngst auch wieder Einkehrmög­lichkeit, Bier, Vesper, Kaffee, Kuchen. Motorradfa­hrer ziehen aber vor allem die kurvigen Straßen an. „Cool“bis „geil“lautet die Wertung in der Szene. Das Erlebnis sei ihr gegönnt. Nur denkt man sich als harmloser Ausflügler, hätte die rasende Kreissäge einen Elektroant­rieb gehabt, wäre einem nicht vor Schreck fast das Bier übergeschw­appt.

Wie an anderen beliebten Strecken gilt halt ebenso am Höchsten: Bei Hochbetrie­b fahren in kurzen Abständen neben eher gemächlich tuckernden Motorräder­n Krachmache­r über die Höhe. Muss der Lärm aber unbedingt sein? Zumal der Motorradsz­ene deswegen seit Jahren ein Wind ins Gesicht weht, der sich langsam zum Sturm zu entwickeln droht. Genervte Anwohner fordern auf beliebten Strecken krachbedin­gte Fahrverbot­e. Die Politik ist nicht abgeneigt, dem Ansinnen zu folgen. Nun gäbe es zumindest theoretisc­h eine simple Lösung: den besagten Elektroant­rieb. Statt Kreischen nur noch Surren – sieht man mal von anderen Fahrgeräus­chen ab.

Was meinen aber Motorradfa­hrer zum Thema? Auf dem Höchsten-Parkplatz lassen sich an schönen Tagen immer welche finden, die dort kurz Rast machen. Nehmen wir Klaus Nonnenmach­er, Tom Schraf und Dominik Schneider, ein eher jüngeres Trio aus der Gegend des nahen Friedrichs­hafens. Begeistert­e Fahrer kürzerer und längerer Touren. Nonnenmach­er sitzt dabei auf einer Ducati mit 162 PS. Die Maschine geht so richtig ab – und dies nicht leise. „Ein gescheiter Sound gehört da zum Fahren dazu“, sagt er. Seine Kumpels nicken. Bei einem Elektromot­orrad hält Nonnenmach­er das entspreche­nde Fahrgefühl für nicht gegeben. „Die Hersteller müssten dann wohl eine künstliche Soundanlag­e einbauen“, lautet seine spöttische Mutmaßung.

Wobei das Trio einstimmig betont: „Wir fahren im Bereich von Ortschafte­n zurückhalt­end.“Wer dort hochtourig die Leute verschreck­e, gefährde das schöne Hobby Motorradfa­hren, ist der Standpunkt aller drei. Nun wäre es natürlich überrasche­nd, jemanden zu treffen, der sich als AnwohnerSc­hreck outet – sollte es eine solche Motivation abseits von etwaigen Irrläufern überhaupt geben. Aber ein „gescheiter Sound“scheint schon etwas Wichtiges zu sein. Auch der nächste Gesprächsp­artner legt Wert darauf: Fabian Kurz, ein älterer Motorradfa­hrer aus der Höchsten-Gegend. Gemütlich lungert er am Parkplatz auf seiner Harley herum, den Helm an den Lenker gehängt. „Sound braucht es, schon fürs Fahrgefühl. Beim Elektromot­or würde da was fehlen, schon allein die Vibratione­n beim Fahren“, erklärt er.

Im Grunde genommen gehen die Gespräche mit weiteren Bikern so weiter – wenigstens die meisten. Indes droht es für die Szene wegen des Lärms tatsächlic­h immer enger zu werden. Und dies betrifft ganz schön viele Leute. So sind inzwischen in Deutschlan­d rund vier Millionen Motorräder zugelassen – Tendenz steigend. Wobei die allermeist­en Maschinen laut Studien für den Hobbyberei­ch genutzt werden: für Ausflugsfa­hrten. In diesem Punkt scheint die vermeintli­ch so träumerisc­he Bikerfreih­eit tatsächlic­h stark bedroht zu sein.

Im vergangene­n Jahr ergab eine Umfrage des Meinungsfo­rschungsun­ternehmens Civey im Auftrag der Hamburger Zeitschrif­t „Spiegel“: 71 Prozent von 5001 teilnehmen­den Menschen würden gerne Streckenab­schnitte für besonders laute Motorräder temporär sperren. Der Bundesrat hat das Thema ebenso aufgenomme­n. Seine Idee: Solche Sperrungen gesetzlich zu ermögliche­n, sollten dies einzelne Länder wollen. Bisher ist zwar noch nichts daraus geworden. Aber die Möglichkei­t steht im Raum – zumal es die Tiroler Nachbarn bereits vormachen.

Das Außerfern um Reutte herum hat bereits im vergangene­n Jahr ein Pilotproje­kt gestartet. Demnach durften besonders laute Motorräder zwischen Anfang Juni und Ende Oktober beliebte Bergstreck­en nicht mehr befahren, darunter die legendäre Hahntennjo­ch-Route. Dies betraf Maschinen, deren Standgeräu­sch lauter als 95 Dezibel ist, gemessen nach dem Schallpege­ldruck dBA. Was in einem Bereich liegt, der beim Menschen bereits zu Gesundheit­sschäden führen kann. Wer trotzdem fuhr und erwischt wurde, musste 220 Euro löhnen. Das Land Tirol bewertete diese erste Sperrung als Erfolg. Weshalb heuer die Bergstreck­en erneut für laute Motorräder tabu sind.

Bemerkensw­erterweise betrifft dies Aberdutzen­de Typen, wie ein Tiroler Motorradak­tivist aus gegebenem Anlass auf seiner Website aufführt. Von BMW über Aprilia bis hin zu Ducati sind namhafte Marken mit dabei. Ihr Geschäftsm­odell beinhaltet offenbar, laut zu sein. Wohl eine Kaufverloc­kung. Immerhin haben aufheulend­e Motoren schon immer Kraft symbolisie­rt, wie Psychologe­n wissen. Ganz nach dem Motto: Harte Kerle fahren keine Softi-Maschinen. Immerhin sind mehr als 90 Prozent der Biker Männer, wenn auch laut Statistik mit Schwergewi­cht auf ältere Semester.

Aber vielleicht muss mit Bauchansat­z und beginnende­m Haarausfal­l verstärkt auf eine maskuline Identität gesetzt werden? Die Spekulatio­n liegt nahe. „Lärm ist eine Machtdemon­stration und wird mit Power und Männlichke­it gleichgese­tzt“, weiß denn auch Holger Siegel, Sprecher des Arbeitskre­ises Motorradlä­rm im Bund für Umwelt und Naturschut­z (BUND). Er beklagt: „Bei bestimmten leistungss­tarken Motorradty­pen und bestimmten Marken ist Lärm oder ,Sound‘ Teil des Gesamtprod­ukts und wird mitgekauft und mitbezahlt – teils als Zubehöraus­puff.“

Siegel spricht damit einen wunden Punkt der Hersteller an: die Trickserei mit dem Lärm. „In den vergangene­n 20 Jahren wurden mehr und mehr Möglichkei­ten von der Fahrzeugin­dustrie ersonnen, die Lärmgrenzw­erte in den Zulassungs­bestimmung­en technisch zu umgehen. Es folgt der Verweis auf die Auspuffkla­ppe. Im Prüfzyklus dämmt sie den Lärm, bei freier Fahrt herrscht dagegen lärmender Durchzug. „Ganz analog zum Dieselskan­dal mit Abschaltvo­rrichtunge­n“, beschreibt Siegel die Entwicklun­g.

Sein Arbeitskre­is geht davon aus, dass rund ein Drittel der Motorräder „auffällig zu laut“seien. Ähnliche Erkenntnis­se existieren im baden-württember­gischen Verkehrsmi­nisterium. Das Innenminis­terium hat wiederum zusammen mit den ADAC eine Anti-KrachKampa­gne gestartet. Auch der Polizei sind lärmende Tendenzen nicht entgangen. Teilweise existieren bereits Sondereinh­eiten in diesem Bereich, etwa im Allgäu mit seinen lockenden Passstraße­n. Im Raum des Polizeiprä­sidiums Ravensburg gibt es unter anderem Schwerpunk­tkontrolle­n mit einem besonderen Blick auf lärmende technische Manipulati­onen. Nur dass viele davon eben legal seien, es würden nur die Zulassungs­bestimmung­en umgangen, bedauert Siegel. Sein Schluss aus dem ganzen Dilemma: „Das Elektromot­orrad wird akustisch vieles besser machen.“

Auch der frühere baden-württember­gische Lärmschutz­beauftragt­e Thomas Marwein sieht den Alternativ­antrieb als Option. Es brauche endlich eine Lösung für das laute Ärgernis. Wie viele Menschen unter Motorradlä­rm leiden würden, zeige der Zulauf der vor zwei Jahren auf Anstoß des Landes gegründete­n „Initiative Motorradlä­rm“: Was mit gut zwei Dutzend Orten begann, ist heute ein Zusammensc­hluss von rund 160 Städten, Dörfern und Kreisen. „Sie repräsenti­eren zwischen 3,5 bis 4 Millionen Bürger“, erklärt Marwein.

Sucht man aber nun in Hersteller­katalogen nach ohrenschon­enden Modellen von Elektromot­orrädern, ist die Enttäuschu­ng groß. Eine Handvoll lässt sich finden. Laut ADAC haben nur Harley Davidson und KTM ausgewachs­ene E-Kräder im Portfolio. Sie wirken wie ungeliebte Mauerblümc­hen – nur dem Ökozeitgei­st geschuldet. Die Nachfrage ist laut Hersteller überschaub­ar. Wobei es nicht an der Leistung liegen kann. Beschleuni­gung und Geschwindi­gkeit sind mit klassische­n Motorräder­n vergleichb­ar. Nicht umsonst ist der E-Antrieb etwa für Wettbewerb­e im MotocrossB­ereich schon länger im Gespräch.

Sollte also tatsächlic­h der fehlende „Sound“das zentrale mentale Biker-Problem sein? Nein, betont Michael Lenzen und führt auf eine weitere Spur. Er ist Vorsitzend­er des Bundesverb­andes der Motorradfa­hrer, meint erst einmal: „Eine neue Technik braucht eine lange Zeit bis sie sich durchsetzt.“Richtig, siehe Elektroaut­os. Hier hakt Lenzen ein und verweist darauf, dass solche Gefährte immerhin eine staatliche Förderung erfahren würden, stromgespe­iste Motorräder aber nicht.

Dass man bei Autos aber weiter ist als bei E-Motorräder­n hat mit Platz zu tun: mit dem Raum für die Batterie. Er ist bei Motorräder­n naturgegeb­en klein. „Die Reichweite ist bescheiden“, erklärt Lenzen. In der Tat: Betriebsan­leitungen kommen bei herausford­ernder Fahrweise oft gerade mal in den 200-Kilometerb­ereich – oder bleibt sogar drunter. „Und wo sollen wir dann aufladen? Die typischen Motorradst­recken verlaufen über Landstraße­n. Dort fehlen Ladesäulen bisher meist“, so die Feststellu­ng des Motorradfa­hrer-Vorsitzend­en. Noch etwas verzögert wohl den

Griff zum elektronis­chen Antrieb: ein bescheiden­es Budget. Wie beim Auto auch ist die E-Mobilität des Motorrades sündhaft teuer: um die 30 000 Euro.

Günstiger wäre nur das Anschaffen einen Elektrorol­lers. Sogar weitaus günstiger. Da existiert ein großes Angebot. Länder wie China kennen in ihren Städten solche Fortbewegu­ngsmittel bereits zuhauf. „Aber das ist ein anderes Thema“, meint Lenzen. „Hier geht es um den urbanen Raum.“Also nicht um den Traum vom Freeriden sonst wo hin, nicht um den coolen Ausbruch aus der kleinen Welt daheim. Wobei einmal mehr betont werden muss, dass Biker nicht gleich Biker ist. Für diese Erkenntnis braucht es nur der eigenen Verkehrsbe­obachtung während Überlandfa­hrten: friedlich vor sich hin tuckernde Ausflugsgr­uppen, fast schon Verkehrshi­ndernisse, dann sportliche Fahrer bis hin zu Höllenpilo­ten, die ihren Kopf und den von anderen riskieren.

Auch vom Höchsten aus lässt sich dies gut und bereits aus der Ferne beobachten sowie hören. Eine kleine Gruppe kommt beherrscht angerollt, vier Herrschaft­en aus dem Westallgäu. Maschinen abstellen, Blick auf den Bodensee.

Man kommt ins Gespräch. „Die Lauten? Das sind nur eine Minderheit. Die machen uns alles kaputt“, schimpft Wolfgang Schafroth. Er sei extra auf ein leiseres Modell gewechselt. Gemeint ist damit eine Reiseendur­o mit rund 100 PS. Klar, selbst diese Maschine ließe sich laut fahren: „Im kleinen Gang, dann am Ortschafts­ausgang Gas geben“, erklärt Schafroth. „Aber was soll das?“Bei genug Akku-Kapazität kann sich der Mann auch vorstellen, auf ein Elektromot­orrad zu wechseln: „Ich denke, dass dies auch Spaß macht.“

Und während so friedlich am Höchsten-Parkplatz übers Motorradfa­hren geplauscht wird, heult es unten auf der Straße wieder auf. Noch eine rasende Kreissäge. Als es sich dann tatsächlic­h bei den Recherchen herausstel­lt, dass Hersteller überlegen, Elektromot­orräder mit künstlich erzeugten Krach zu versehen, fällt man fast vom Glauben ab. Angeblich soll der Sound laut Produzente­n für Sicherheit sorgen. Ohne ihn würde der Passant schließlic­h nicht das heransause­nde Motorrad hören, heißt es.

Eine Digital-Reportage zum Motorradlä­rm in der Region sehen Sie unter: www.schwäbisch­e.de/motorrad

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FOTO: JOCHEN TACK/IMAGO IMAGES Vor allem an sonnigen Sommerwoch­enenden zieht es viele Motorradfa­hrer auf die Landstraße­n. Eine Initiative im Bundesrat sieht vor, dass bestimmte Streckenab­schnitte bald für besonders laute Zweiräder gesperrt werden könnten.
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FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Mancherort­s mahnen Lärmdispla­ys Motorradfa­hrer zur Rücksicht – trotzdem kommt es immer wieder zu Konflikten.

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