Pech fürs Glücksspiel
Hunderte Spielhallen in Baden-Württemberg müssen schließen – Protestaktion in Stuttgart
- Sechs von 13 Arbeitsplätzen könnten übrig bleiben. „Wenn es gut läuft“, sagt Lisa Kroll. Seit zwei Jahren leitet die junge Frau vier Spielhallen in Überlingen am Bodensee. Davor war sie selbst als Servicekraft dort angestellt. Jetzt fürchtet sie, einen Großteil ihrer Mitarbeiter zu verlieren. „Das schlimmste ist die Unsicherheit“, sagt sie. „Keiner weiß, wie es weitergeht.“
Kroll und ihr Chef Dirk Fischer, der in Baden-Württemberg an 17 Standorten Spielhallen betreibt, stehen am Mittwoch auf dem Stuttgarter Schillerplatz. Die Deutsche Automatenwirtschaft und der badenwürttembergische Automatenverband wollen dort mit einer stillen Demonstration auf die Situation der Spielhallenbetreiber aufmerksam machen. 80 Prozent der 1800 Spielhallen im Land müssen nach Berechnungen der Lobbyverbände Ende Juni schließen. 8000 Arbeitsplätze seien dadurch unmittelbar bedroht.
Hintergrund ist der Glücksspielstaatsvertrag, auf den sich die Bundesländer 2012 einigten. Er bildet die Grundlage, auf der die Länder die Konzessionen für Spielhallen erteilen. In Baden-Württemberg etwa müssen Spielhallen 500 Meter Abstand zueinander haben – und ebenfalls 500 Meter zu Einrichtungen für Kinder oder Jugendliche. Durchgesetzt wurden diese Regeln bisher nicht, die Übergangsfrist läuft jedoch zum 1. Juli aus.
Die Spielhallenbetreiber schlagen deshalb Alarm. „Die Landesregierung hält stoisch und ideologisch an einer Gesetzgebung fest, die zehn Jahre alt ist“, sagt Fischer, der auch stellvertretender Vorsitzender des Automatenverbands ist. „Am 30. Juni fällt die Guillotine für uns und es werden einfach so 8000 Arbeitsplätze geopfert.“
In der grünen Landtagsfraktion stößt der Protest auf wenig Verständnis. „Seit dem Jahr 2012 ist den Spielhallenbetreibern bekannt, dass einschneidende Veränderungen auf die Branche zukommen werden“, sagt der Suchtexperte der Grünen-Fraktion, Josha Frey. „Es ist nur schwer zu verstehen, dass die Betreiber angeblich keine Zeit hatten, um sich seither auf die neuen Gegebenheiten einzustellen. Aus meiner Sicht ist die Umsetzung längst überfällig.“Auch im neuen Koalitionsvertrag haben sich die Regierungsparteien noch einmal ausdrücklich für die Mindestabstände ausgesprochen.
Das Problem: Wenn eine Schließung verfügt werden muss, weil etwa zwei Spielhallen zu nahe beieinanderstehen – welche von beiden trifft es dann? „Das Land hätte hierfür schon längst Kriterien bereitstellen müssen, anhand derer die zuständigen Städte entscheiden können“, sagt Georg Stecker, Vorstandssprecher bei der Deutschen Automatenwirtschaft. „Aber man kann doch nicht erwarten, dass eine Spielhalle von sich aus schließt, wenn es genauso gut die benachbarte Halle treffen kann.“
Der baden-württembergische Städtetag schlägt vor, dass Kommunen
Ausnahmen machen und städtebauliche Aspekte in die Entscheidung einfließen lassen dürfen. „Wenn zum Beispiel eine Autobahn zwischen zwei Spielhallen verläuft, ist der Weg von der einen Halle zur anderen viel weiter als wenn da keine Autobahn ist“, erklärt Ordnungsdezernent Sebastian Ritter. „In solchen Fällen sollen die Städte die Möglichkeit haben, von der Regel abzuweichen.“
Noch weiter geht die CDU-Landtagsabgeordnete Sabine HartmannMüller. Sie fordert in einem Brief an Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) ein weiteres Moratorium. In Rheinland-Pfalz ist eine solche Übergangsphase bereits beschlossen. Auch Bayern will die Frist um zehn Jahre verlängern.
Die baden-württembergische Wirtschaftsministerin bleibt jedoch bei ihrer Linie. „Diese Anforderungen verfolgen insbesondere das Ziel, die Spielsucht effektiver zu bekämpfen und der zunehmenden Anzahl und Dichte von Spielhallen in den Städten wirksamer entgegenzuwirken“, sagt eine Sprecherin.
Doch wie wirksam ist eine Reduzierung der Zahl der Spielhallen bei der Bekämpfung der Spielsucht überhaupt? Der Psychologe Günther Zeltner arbeitet seit mehr als 40 Jahren in der Suchtarbeit in Stuttgart. Er hat Spielsüchtige beraten und behandelt und ist Mitglied der Forschungsstelle Glücksspiel der Uni Hohenheim. Inzwischen berät er Unternehmen im Bereich Spielerschutz. „Baden-Württemberg
setzt die Abstandsregelung ein, um die Anzahl der Spielhallen zu verringern“, sagt er. „Man will die Spielhallen aus dem Stadtbild haben. Das kann ich verstehen.“Für den Spielerschutz bringen die Abstandsregelungen seiner Meinung nach aber nichts.
„Wer krankhaft spielt, findet seine Möglichkeiten – online, in Spielbanken oder in benachbarten Bundesländern, in denen die Einschränkungen nicht so groß sind“, sagt er und plädiert für mehr präventive Maßnahmen. „Man müsste stärker überprüfen, dass die Spielhallen die Präventionsmaßnahmen umsetzen, dass sie auffällige Spieler ansprechen und ihnen Hilfe anbieten. Es bräuchte eine Qualitätskontrolle, die sicherstellt, dass die Vorgaben in den Spielhallen eingehalten werden. Andere Bundesländer machen das.“
Man wehre sich ausdrücklich nicht gegen eine Regulierung und einen strengen Spielerschutz, heißt es auch von der Spielhallenlobby. Aber Mindestabstände bei Spielhallen seien im digitalen Zeitalter absurd, zumal das Online-Glücksspiel gerade liberalisiert werde.
Tatsächlich war das Glücksspiel im Internet bislang nur in SchleswigHolstein erlaubt. Um den zunehmenden Schwarzmarkt zu bekämpfen, wollen die Länder zum 1. Juli das Online-Spiel nach bundesweit einheitlichen Regeln erlauben. „Und gleichzeitig werden bei uns 80 Prozent der Spielhallen geschlossen. Das geht doch nicht zusammen“, schimpft Spielhallenbetreiber Fischer.
Doch ihm und seinen Kollegen läuft die Zeit davon. „Eigentlich haben wir schon verloren“, sagt er. „Aber wir kämpfen bis zum 30.6. Das sind wir unseren Mitarbeitern schuldig.“