Bidens Marathon durch Europa
- Joe Bidens erste Europareise als Präsident, zunächst einmal steht sie im Zeichen dringend notwendiger Reparaturarbeiten. In den vier Jahren, in denen Donald Trump regierte, haben die Verbündeten gelernt, dass sie sich nicht auf Dauer auf Amerika verlassen können. Es genügte ein einziger Machtwechsel im Weißen Haus, um das Netz internationaler Allianzen, das die USA nach 1945 knüpften, einer extremen Belastungsprobe auszusetzen. Indem Trump die Existenzberechtigung der Nato infrage stellte, machte er deutlich, dass das Bekenntnis zur transatlantischen Brücke in einem politisch so gespaltenen Land wie den Vereinigten Staaten nicht bis in alle Ewigkeit garantiert ist.
Biden ist angetreten, die Scherben zusammenzukehren und den Europäern neues Vertrauen in die Verlässlichkeit ihres amerikanischen Bündnispartners einzuflößen. Das ändert nichts an Zweifeln, die er nicht auszuräumen vermag. Steht der 78-Jährige nur für eine Art Intermezzo? Wählen die Amerikaner 2024 einen zweiten Trump, einen nationalistischen Populisten, der Allianzen eher als Bürde empfindet und über die damit verbundenen Kosten klagt? Tritt Trump selbst noch einmal an? Es sind Fragen wie diese, die wie ein Schatten über der sorgfältig vorbereiteten Gipfel-Choreografie liegen. Biden und seine europäischen Partner werden viel zu besprechen haben.
China:
In der Volksrepublik sehen die Amerikaner den großen Rivalen des 21. Jahrhunderts, so wie die Sowjetunion der große Kontrahent des Kalten Krieges war. Das ist nicht neu, aber Bidens Regierung macht es noch unmissverständlicher klar als ihre Vorgänger. Sowohl der Präsident als auch sein Außenminister Antony Blinken sprechen von einem Wettbewerb der Gesellschaftsmodelle zwischen Demokratie und Techno-Autokratie. Auch in Bezug auf die Verbündeten wird vieles durch die Brille des Wettlaufs mit Peking gesehen. Noch vor seinem Amtsantritt hatte Biden einen Gipfel der Demokratien angepeilt, um China in die Schranken zu weisen. Er sollte in diesem Frühjahr über die Bühne gehen, ist aber verschoben worden, wobei im Moment niemand weiß, wann er stattfindet – und ob überhaupt. Die Zerschlagung der Demokratiebewegung in Hongkong, die Unterdrückung der Uiguren, drakonische Härte gegenüber Dissidenten, das alles prangert Biden an, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, während Trump offen mit Diktatoren sympathisierte.
Bidens Strategen wissen aber auch um die Differenzen mit den Europäern, in deren Exportbilanz der chinesische Markt stärker ins Gewicht fällt und die oft leisere Töne anschlagen. Man werde die Alliierten nicht zwingen, sich nach dem Motto „Wir oder
US-Präsident Joe Biden erwartet in Europa ein vollgepackter Terminkalender. Ein Überblick.
Donnerstag, 10. Juni: Biden trifft in Großbritannien Premierminister Boris Johnson, den Gastgeber des am Freitag beginnenden G7-Gipfels.
Freitag, 11. Juni: In Carbis Bay in Cornwall nimmt Biden am G7-Gipfel teil. Die Staats- und Regierungssie“zwischen Washington und Peking zu entscheiden, sagte Blinken im April bei einem Besuch im NatoHauptquartier in Brüssel.
Russland:
Einen demonstrativen Neustart hin zu besseren Beziehungen, wie ihn Barack Obama 2009 anstrebte, symbolisiert durch einen roten Reset-Knopf, dürfte es kaum geben. Biden übt scharfe Kritik an Wladimir Putins Umgang mit chefs der sieben führenden Industrienationen beraten im Südwesten Englands drei Tage lang über eine Reihe von Themen, darunter die Folgen der Corona-Pandemie.
Samstag, 12. Juni: Zweiter Tag des G7-Gipfels. Biden wird zudem bilaterale Gespräche führen. Ob auch ein Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorgesehen ist, ist noch offen.
Oppositionellen, den er, unter anderem wegen des Giftanschlags auf Alexej Nawalny, als „Killer“bezeichnete. Es hindert ihn nicht daran, sich in Genf mit Putin zu treffen. Man könne Klartext reden und zugleich den Dialog suchen, begründet er seinen Ansatz. Allein schon die Atommacht Russland ist für das Weiße Haus zu bedeutsam, als dass es eine vernünftige Alternative zum Gespräch mit dem Kreml sähe. In fünf
Sonntag, 13. Juni: Im Anschluss an den G7-Gipfel werden Biden und seine Ehefrau Jill auf Schloss Windsor von der britischen Königin Elizabeth II. empfangen.
Montag, 14. Juni: In der belgischen Hauptstadt Brüssel nimmt Biden am Nato-Gipfel teil. Geplant ist dabei auch ein bilaterales Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.
Jahren läuft der New-START-Vertrag über die Reduzierung strategischer Nuklearwaffen aus. Schon jetzt müsse man anfangen, über eine Nachfolgeregelung zu verhandeln, mahnt Michael McFaul, ein ehemaliger USBotschafter in Moskau. Fast alles andere, von Nawalny über die Ukraine bis hin zu Belarus, stehe im Zeichen konträrer Ansichten.
Mit dem Bau der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 hat sich Bidens Kabinett
Dienstag, 15. Juni: Ebenfalls in Brüssel nimmt Biden an einem EU-USA-Gipfel teil. Er trifft außerdem den belgischen König Philippe.
Mittwoch, 16. Juni: Das vermutlich schwierigste Gespräch steht Biden am Ende seiner Europareise bevor: In Genf in der Schweiz trifft der US-Präsident den russischen Staatschef Wladimir Putin. (AFP)
offenbar widerstrebend abgefunden. Die Pipeline sei eine „schlechte Idee“, aber da sie zu 95 Prozent fertig sei, könne man wenig tun, um sie zu verhindern, erklärte Blinken diese Woche bei einer Anhörung im Kongress, wo Gegner des Projekts eine härtere Gangart fordern.
Nahost:
Eigentlich wollte Biden nach den ernüchternden Erfahrungen der vergangenen zwei Dekaden einen großen Bogen um die Region machen, um sich stärker auf Ostasien konzentrieren zu können. Doch wieder einmal hat sich bewahrheitet, dass eine plötzliche Krise jedes Konzept durchkreuzen kann. Im Konflikt zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas musste sich Washington für eine Waffenruhe einsetzen, was es anfangs eher halbherzig und – angesichts der Bilder zerstörter Hochhäuser in Gaza – nach einigen Tagen entschlossener tat. Ob Biden in einem nächsten Schritt Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern vermittelt, bleibt unklar. Der bislang letzte amerikanische Vermittlungsversuch war 2014 krachend gescheitert, was ihn allein schon zögern lässt, nochmals Anlauf zu nehmen.
Den Hoffnungsschimmer amerikanischer Nahostpolitik bildet die Aussicht, nach dem von Trump verfügten Ausstieg wieder in das Atomabkommen mit Iran einzusteigen. Hinter den Kulissen wird gerade heftig um die Details gerungen.
Globale Themen:
Nach dem Wechsel im Oval Office hat der Klimaschutz wieder höchste Priorität, was ein virtueller Klimagipfel in Washington für jedermann sichtbar untermauerte. Dabei wurden ehrgeizigere Ziele verkündet: 2030 wollen die Vereinigten Staaten 50 Prozent weniger klimaschädliches CO2 ausstoßen, als es 2005 der Fall war.
Im weltweiten Kampf gegen die Corona-Epidemie steht eine Kurskorrektur an. Lange hielt es Biden mit der Devise „America first“, auch wenn er die Parole seines Amtsvorgängers nie benutzte. De facto galt ein Exportverbot für Impfstoffe, sodass Kanada beispielsweise statt aus amerikanischen aus europäischen Fabriken beliefert wurde. Inzwischen liefern die USA Vakzine ins Ausland, wenn auch nicht in den Mengen, wie es Fürsprecher einer globalen Großoffensive verlangen. Beobachter halten es für möglich, dass Biden auf dem G7-Gipfel zusätzliche Verpflichtungen eingeht.