Auf den Spuren von König Artus
Cornwall bietet den G7-Teilnehmern herrliche Landschaft, spannende Geschichte und verstopfte Landstraßen
- Attraktive Urlaubsorte hat die britische Insel auch anderswo reichlich. Keine Region aber genießt so legendären Ruf wie Cornwall im äußersten Südwesten Englands. Das hat mit dem mythischen Ruf der Gegend als Schmugglerhochburg zu tun, mit ihrer hochromantischen Felsenküste und dem milden, vom Golfstrom begünstigten Klima, schließlich auch mit dem Gefühl, das Ende einer Landmasse erreicht zu haben. Ganz unpoetisch heißt der entsprechende Punkt „Land’s End“– dahinter tobt der kalte Atlantik.
Für die rund 560 000 Einwohner der flächenmäßig ungefähr mit Ostfriesland vergleichbaren Grafschaft bringt die isolierte Lage manche Mühsal mit sich. Die einzige größere, nur teilweise vierspurig ausgebaute Straße ist in den Sommermonaten meist verstopft; die einzige Bahnlinie nach Penzance liegt zwar landschaftlich wunderschön, wird aber rasch unterspült oder durch umstürzende Bäume unterbrochen, wenn wieder einmal die atlantischen Frühjahrsstürme über das Land hereinbrechen.
In dieser Woche kann von Isolation keine Rede sein. Dann fallen Zehntausende von Polizisten, Delegierten, Journalisten und Demonstranten in die liebliche Landschaft ein. Fürs Wochenende hat Premierminister Boris Johnson die Staatsund Regierungschefs der großen westlichen Industrienationen zum G7-Gipfel nach Carbis Bay an die kornische Nordküste eingeladen, bereits an diesem Donnerstag trifft er sich zum bilateralen Austausch mit US-Präsident Joe Biden.
Für Carbis Bay, ein Nest mit 3500 Einwohnern und mindestens dreimal so viel Touristenbetten, ja für Cornwall insgesamt bringt das Scheinwerferlicht der globalen Öffentlichkeit auch manchen Schatten mit sich. Das einzige leistungsfähige Krankenhaus der Region in Truro erklärte dieser Tage halbwegs wiederhergestellte Patienten kurzerhand zur Entlassung geeignet, um Platz zu schaffen für kranke Sherpas oder verletzte Polizisten. Am Wochenende bleibt der Bahn- und Busverkehr unterbrochen, Autos verkehren nur mit Sondergenehmigung. Die engen Straßen der Region dürften dennoch heillos verstopft sein, schließlich liegt das Medienzentrum 30 Kilometer entfernt in Falmouth an der Südküste der Grafschaft.
Carbis Bay schmiegt sich malerisch an eine Bucht mit feinstem Sandstrand. Fußläufig ist das viel berühmtere St. Ives zu erreichen, wo sich in den 1920er-Jahren später berühmt gewordene Künstlerinnen wie Barbara Hepworth versammelten, angezogen von der malerischen Kulisse und dem südländisch wirkenden Licht. Im Sommer stauen sich hier stets Zehntausende von Besuchern; in diesem Covid-Jahr kommen sie früher als sonst, weil den Briten ihre sonst üblichen Urlaubsreisen ans Mittelmeer durch strenge Quarantänebestimmungen madig gemacht werden. Dabei hat die Gegend zusätzlichen Tourismus kaum nötig, viele Einheimische wünschen sich im Gegenteil mehr Ruhe, nicht auch noch ein Anwachsen des Besucherstroms aus Übersee, von dem Cornwalls Tourismusbehörde schwärmt.
Die Regierung hat als Trostpflaster Investitionen in örtliche Sehenswürdigkeiten und grüne Verkehrstechnik im Gesamtwert von 76 Millionen Euro verkündet. Der Gipfel selbst spült den Berechnungen von Ökonomen zufolge 28 Millionen Euro in die Kassen örtlicher Hoteliers, Restaurantbetreiber und Autoverleiher.
Was auf den Speisezetteln der Besucher-Prominenz stehen wird, bleibt vorerst noch geheim. Vielleicht gehören Austern und Spanferkel dazu, wie im späten 5. und frühen 6. Jahrhundert? Diese Erkenntnis haben Ausgrabungen bei Tintagel in den vergangenen Jahren zutage gefördert: Schüsseln des damaligen Adels von Cornwall stammten aus der heutigen Türkei, getrunken wurde aus feinen spanischen Gläsern. Auch ein Hufeisen und eine Pfeilspitze, Gürtelschnallen und Broschen belegen rege Handelsbeziehungen
mit dem Mittelmeerraum. Zum Vorschein kamen auch Überreste eines Hauses der Herrscher von Dumnonia, wie Cornwall und die benachbarte Grafschaft Devon damals hießen: meterdicke Wände aus Stein, Böden aus Schiefer. Ob es sich um so etwas wie einen Königspalast handelte? Sofort ging mit geistesund kulturgeschichtlich Versierten die Phantasie durch: Entdeckt hätten die Archäologen, so die kecke Behauptung, den Palast des legendären Artus.
Für einen Ausflug zur wissenschaftlich spannenden Klippe dürfte den Damen und Herren von Boris Johnsons Tafelrunde die Zeit fehlen. Hoffen dürfen sie immerhin darauf, dass der Premierminister sich von der Legende inspirieren lässt: Diese schildert den sagenumwobenen Fürsten Cornwalls als Ausbund an liebenswürdiger Großzügigkeit, Mut und Höflichkeit.