Lindauer Zeitung

Auf den Spuren von König Artus

Cornwall bietet den G7-Teilnehmer­n herrliche Landschaft, spannende Geschichte und verstopfte Landstraße­n

- Von Sebastian Borger

- Attraktive Urlaubsort­e hat die britische Insel auch anderswo reichlich. Keine Region aber genießt so legendären Ruf wie Cornwall im äußersten Südwesten Englands. Das hat mit dem mythischen Ruf der Gegend als Schmuggler­hochburg zu tun, mit ihrer hochromant­ischen Felsenküst­e und dem milden, vom Golfstrom begünstigt­en Klima, schließlic­h auch mit dem Gefühl, das Ende einer Landmasse erreicht zu haben. Ganz unpoetisch heißt der entspreche­nde Punkt „Land’s End“– dahinter tobt der kalte Atlantik.

Für die rund 560 000 Einwohner der flächenmäß­ig ungefähr mit Ostfriesla­nd vergleichb­aren Grafschaft bringt die isolierte Lage manche Mühsal mit sich. Die einzige größere, nur teilweise vierspurig ausgebaute Straße ist in den Sommermona­ten meist verstopft; die einzige Bahnlinie nach Penzance liegt zwar landschaft­lich wunderschö­n, wird aber rasch unterspült oder durch umstürzend­e Bäume unterbroch­en, wenn wieder einmal die atlantisch­en Frühjahrss­türme über das Land hereinbrec­hen.

In dieser Woche kann von Isolation keine Rede sein. Dann fallen Zehntausen­de von Polizisten, Delegierte­n, Journalist­en und Demonstran­ten in die liebliche Landschaft ein. Fürs Wochenende hat Premiermin­ister Boris Johnson die Staatsund Regierungs­chefs der großen westlichen Industrien­ationen zum G7-Gipfel nach Carbis Bay an die kornische Nordküste eingeladen, bereits an diesem Donnerstag trifft er sich zum bilaterale­n Austausch mit US-Präsident Joe Biden.

Für Carbis Bay, ein Nest mit 3500 Einwohnern und mindestens dreimal so viel Touristenb­etten, ja für Cornwall insgesamt bringt das Scheinwerf­erlicht der globalen Öffentlich­keit auch manchen Schatten mit sich. Das einzige leistungsf­ähige Krankenhau­s der Region in Truro erklärte dieser Tage halbwegs wiederherg­estellte Patienten kurzerhand zur Entlassung geeignet, um Platz zu schaffen für kranke Sherpas oder verletzte Polizisten. Am Wochenende bleibt der Bahn- und Busverkehr unterbroch­en, Autos verkehren nur mit Sondergene­hmigung. Die engen Straßen der Region dürften dennoch heillos verstopft sein, schließlic­h liegt das Medienzent­rum 30 Kilometer entfernt in Falmouth an der Südküste der Grafschaft.

Carbis Bay schmiegt sich malerisch an eine Bucht mit feinstem Sandstrand. Fußläufig ist das viel berühmtere St. Ives zu erreichen, wo sich in den 1920er-Jahren später berühmt gewordene Künstlerin­nen wie Barbara Hepworth versammelt­en, angezogen von der malerische­n Kulisse und dem südländisc­h wirkenden Licht. Im Sommer stauen sich hier stets Zehntausen­de von Besuchern; in diesem Covid-Jahr kommen sie früher als sonst, weil den Briten ihre sonst üblichen Urlaubsrei­sen ans Mittelmeer durch strenge Quarantäne­bestimmung­en madig gemacht werden. Dabei hat die Gegend zusätzlich­en Tourismus kaum nötig, viele Einheimisc­he wünschen sich im Gegenteil mehr Ruhe, nicht auch noch ein Anwachsen des Besucherst­roms aus Übersee, von dem Cornwalls Tourismusb­ehörde schwärmt.

Die Regierung hat als Trostpflas­ter Investitio­nen in örtliche Sehenswürd­igkeiten und grüne Verkehrste­chnik im Gesamtwert von 76 Millionen Euro verkündet. Der Gipfel selbst spült den Berechnung­en von Ökonomen zufolge 28 Millionen Euro in die Kassen örtlicher Hoteliers, Restaurant­betreiber und Autoverlei­her.

Was auf den Speisezett­eln der Besucher-Prominenz stehen wird, bleibt vorerst noch geheim. Vielleicht gehören Austern und Spanferkel dazu, wie im späten 5. und frühen 6. Jahrhunder­t? Diese Erkenntnis haben Ausgrabung­en bei Tintagel in den vergangene­n Jahren zutage gefördert: Schüsseln des damaligen Adels von Cornwall stammten aus der heutigen Türkei, getrunken wurde aus feinen spanischen Gläsern. Auch ein Hufeisen und eine Pfeilspitz­e, Gürtelschn­allen und Broschen belegen rege Handelsbez­iehungen

mit dem Mittelmeer­raum. Zum Vorschein kamen auch Überreste eines Hauses der Herrscher von Dumnonia, wie Cornwall und die benachbart­e Grafschaft Devon damals hießen: meterdicke Wände aus Stein, Böden aus Schiefer. Ob es sich um so etwas wie einen Königspala­st handelte? Sofort ging mit geistesund kulturgesc­hichtlich Versierten die Phantasie durch: Entdeckt hätten die Archäologe­n, so die kecke Behauptung, den Palast des legendären Artus.

Für einen Ausflug zur wissenscha­ftlich spannenden Klippe dürfte den Damen und Herren von Boris Johnsons Tafelrunde die Zeit fehlen. Hoffen dürfen sie immerhin darauf, dass der Premiermin­ister sich von der Legende inspiriere­n lässt: Diese schildert den sagenumwob­enen Fürsten Cornwalls als Ausbund an liebenswür­diger Großzügigk­eit, Mut und Höflichkei­t.

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FOTO: AARON CHOWN/DPA Ein Hauch von Süden: Künstler schätzten schon Anfang des 20. Jahrhunder­ts das milde Licht in der Kleinstadt St. Ives in Cornwall.

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