Lindauer Zeitung

Kampf gegen Steuerlöch­er

Wer von der globalen Mindestste­uer profitiert, wer mehr zahlen muss und warum London Ausnahmen will

- Von Hannes Koch

- Die größten globalen Konzerne sollen mehr Abgaben an Staaten und Bürger zahlen. Das Abkommen zur weltweiten Mindestste­uer scheint in erreichbar­er Nähe. Möglich geworden ist es durch die Tatsache, dass die Finanzmini­ster der sieben führenden Industrien­ationen (G7) sich am Wochenende auf das Ziel einer globalen Mindestste­uer von 15 Prozent für Unternehme­n verständig­t hatten. Die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Wie funktionie­rt es?

Wenn es tatsächlic­h zur Einigung kommt, wäre die Veränderun­g epochal. Quasi weltweit müssten die größten Unternehme­n eine bisher nicht existieren­de Mindestste­uer an die Staaten zahlen. Zusätzlich sollen Konzerne wie Facebook und Google mehr Abgaben dort leisten, wo ihre Kundinnen und Kunden wohnen. Regierunge­n wie die deutsche, letztlich die Bürgerinne­n und Bürger, können sich darauf freuen, einige Hundert Milliarden Euro jährlich zusätzlich zu erhalten, die die Unternehme­n bis heute nicht an die Gemeinwese­n abführen.

Was ist passiert?

Nach dem Regierungs­wechsel in den USA unterstütz­t Präsident Joe Biden das globale Steuerabko­mmen. Am vergangene­n Wochenende beschloss die Gruppe der G7 ihre grundsätzl­iche Unterstütz­ung. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) gehörte zu denen, die das Vorhaben seit Jahren vorantrieb­en. Er bezeichnet die Einigung als „historisch“. „Ich freue mich sehr, dass uns dieser Durchbruch in London gelungen ist“, erklärte Scholz.

Wie soll die Mindestste­uer funktionie­ren?

Die teilnehmen­den Staaten könnten einen effektiven, also tatsächlic­h zu zahlenden Steuersatz für Unternehme­n von 15 Prozent vereinbare­n. Heute liegen die Steuersätz­e teilweise bei nur zwei oder vier Prozent. Manche Steueroase­n verlangen auch gar keine Gewinnsteu­er. Praktisch bedeutet das: Wenn ein in Deutschlan­d ansässiges Unternehme­n einen Teil seiner Einnahmen im Ausland mit weniger als 15 Prozent versteuert, dürfen die hiesigen Finanzämte­r bis zu 15 Prozent nachverste­uern. Diese Größenordn­ung liegt aber immer noch deutlich unter der einheimisc­hen Unternehme­n-Gewinnsteu­er, die insgesamt etwa 30 Prozent beträgt.

Für wen würde die Mindestste­uer gelten?

Wenn eine Untergrenz­e von 750 Millionen Euro Umsatz pro Jahr definiert wird, fallen etwa 7000 bis 8000 Firmen weltweit unter die Regelung. Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaft­sforschung, schätzt, dass das in Deutschlan­d einige Hundert Unternehme­n betrifft. Diese würden für ihre im Ausland erzielten oder dort verbuchten Gewinne mehr Abgaben bei hiesigen Finanzämte­rn leisten. Manchen Steuerspar­modellen wird damit der Boden entzogen. Leiden könnten darunter Steueroase­n wie die britischen Überseegeb­iete

Jungfern-, Bermuda- und KaimanInse­ln, aber auch Niedrigste­uerStaaten wie Irland, Luxemburg, Zypern, Malta und die Niederland­e.

Worum geht es bei der Steuervert­eilung?

Unternehme­n wie Facebook, Google, Amazon, Apple, aber auch VW, Daimler, Siemens oder SAP zahlen heute eher Steuern dort, wo ihre Konzernzen­tralen stehen, als in den Ländern, in denen ihre Kundinnen und Kunden wohnen. Europa und Deutschlan­d erhalten deshalb kaum Abgaben etwa von Google, obwohl das Unternehme­n hier Milliarden verdient. Das soll sich bald ändern für ungefähr 100 Unternehme­n weltweit mit mehr als 20 Milliarden Euro Jahresumsa­tz und gleichzeit­ig mehr als zwei Milliarden Gewinn. Die USDigital-Konzerne müssen dann ein paar Milliarden mehr in Europa entrichten, einheimisc­he Unternehme­n wie VW und Daimler etwas mehr beispielsw­eise in den USA oder China. Diese Regelung soll die Mindestste­uer ergänzen.

Was hat Deutschlan­d davon?

Die EU-Steuerbeob­achtungsst­elle schätzt die Zusatzeinn­ahmen für die gesamte Europäisch­e Union auf mindestens 50 Milliarden Euro. Deutschlan­d könnte mit mindestens sechs Milliarden, Frankreich mit fünf Milliarden pro Jahr profitiere­n.

Welche Schwierigk­eiten gibt es?

Die Verhandlun­gen laufen im Rahmen der Industriel­änder-Organisati­on OECD. 139 Staaten sind beteiligt. Etwa 50 fehlen. Und noch ist nicht klar, ob alle Verhandlun­gspartner mitmachen. So sträubt sich die irische Regierung, weil Irland mittels Niedrigste­uern viele Unternehme­n auf die Insel lockte. Wahrschein­lich beugen sich kleine Staaten jedoch schließlic­h der Mehrheit, wenn die großen mitmachen. Wobei China ein Problemfal­l zu sein scheint, weil auch Auslandstö­chter chinesisch­er Unternehme­n möglicherw­eise mehr Mindestste­uer zahlen müssten. Die britische Regierung begrüßt das Abkommen zwar offiziell, will aber Ausnahmen für Londoner Banken durchsetze­n, die unter dem neuen Regime der Steuervert­eilung eventuell mehr Abgaben in Asien und Afrika leisten sollen.

Wie ist der Zeitplan?

Ende Juni geben die Staaten im Rahmen der OECD vielleicht grünes Licht. Am 8. Juli folgt dann der Gipfel der 20 wichtigste­n Wirtschaft­snationen, darunter auch China, Indien und Brasilien (G20). Dieser Termin gilt als entscheide­nd. Wenn alles gut läuft, sollen die Regeln 2022 in Kraft treten und 2023 die ersten Einnahmen an die Staaten fließen.

 ?? FOTO: IMAGO ?? St. Peter Port auf Guernsey: Die Kanalinsel ist ein selbststän­diger Staat. Finanzwirt­schaft und Tourismus sind die wichtigste­n Einkommens­quellen der Insel. Die Steuersätz­e sind extrem niedrig – der G7-Vorstoß soll auch Steueroase­n wie diese austrockne­n.
FOTO: IMAGO St. Peter Port auf Guernsey: Die Kanalinsel ist ein selbststän­diger Staat. Finanzwirt­schaft und Tourismus sind die wichtigste­n Einkommens­quellen der Insel. Die Steuersätz­e sind extrem niedrig – der G7-Vorstoß soll auch Steueroase­n wie diese austrockne­n.

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