Wenn Corona den Bewegungsdrang bremst
„Fitnessbarometer“zeigt auf, dass Kinder ohne Schul- und Vereinssport ihre motorischen Fähigkeiten einbüßen
(dpa) Kinder in Baden-Württemberg haben infolge der coronabedingten Ausfälle von Schul- und Vereinssport an Fitness eingebüßt. Das am Mittwoch veröffentlichte „Fitnessbarometer“2021 der Kinderturnstiftung BadenWürttemberg zeigt einen Negativtrend hinsichtlich der motorischen Fähigkeiten.
So waren Kinder schon nach neun Monaten Pandemie, also Ende vergangenen Jahres, tendenziell langsamer und weniger ausdauernd. Bei Kraft, Beweglichkeit und Koordination sei das „(noch) nicht der Fall“. Zahlreiche Online-Bewegungsprogramme für zu Hause könnten bei diesen Faktoren den Wegfall anderer Sportmöglichkeiten aufgefangen – beziehungsweise die Fertigkeiten sogar teilweise verbessert haben.
Die Ergebnisse knüpfen an andere Studien zu Corona-Folgen an, sind den Angaben zufolge aber die ersten für Baden-Württemberg. Die Stiftung untersucht seit 2012 mit Sportwissenschaftlern des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) die Fitness von Drei- bis Zehnjährigen im Südwesten. Erst in den kommenden Jahren seien Aussagen über die nachhaltigen Auswirkungen der Pandemie auf die Fitness der Kinder möglich, sagte Professor Klaus Bös vom KIT. Aber schon jetzt müssten wieder angeleitete Bewegungsangebote im Turn- und Sportverein sowie in der Schule im Sportunterricht möglich werden. „Sonst werden die Ergebnisse im nächsten Jahr verheerend sein.“
Im ungewöhnlich warmen Corona-Frühjahr 2020 hätten Kinder zwar ihren natürlichen Bewegungsdrang ungehindert ausleben können, etwabei Fahrradtouren mit der Familie und Waldspaziergängen, sagte Klaus Bös’ Kollegin Claudia Niessner. Doch die Schließung der Turn- und Sportvereine im Lockdown habe im Schnitt 28,5 Minuten weniger organisierten Sport pro Tag bedeutet. „Gleichzeitig nahm die Bildschirmmedienzeit um zirka eine Stunde pro Tag zu.“Damit Kinder auch zu Hause aktiv bleiben, haben die Kinderturnstiftung, der Badische Turner-Bund und der Schwäbische
Turnerbund mehrere Angebote erarbeitet.
Wegen einer höheren Intensität und der Anleitung ausgebildeter Sportfachkräfte sei die Qualität von Vereinssport besser, erläuterte Susanne Weimann, geschäftsführender Vorstand der Kinderturnstiftung. „Sie spielt damit eine wichtige Rolle für die Förderung der motorischen Fähigkeiten und somit für den Aufbau und den Erhalt der Fitness.“Zudem fördere Bewegung die psychische, soziale und kognitive Entwicklung der Kinder. Laut Robert-Koch-Institut kann körperliche Aktivität auch der
Entwicklung von Adipositas im Kindesund Jugendalter vorbeugen.
Für Grundschulkinder (sechs bis elf Jahre) werden den Angaben nach mindestens 90 Minuten körperliche Aktivität pro Tag empfohlen. 60 Minuten davon könnten aus Alltagsaktivitäten wie dem Weg zur Schule bestehen. Die restlichen 30 Minuten sollten hingegen eine hohe Intensität haben und die Kinder ins Schwitzen bringen. „Das wird vor allem im Sportunterricht oder Vereinssport erreicht.“
Doch die Pandemie hat auch einen Mitgliederrückgang ausgelöst. Der
Schwäbische Turnerbund berichtete jüngst von einem Minus von rund 4,5 Prozent oder rund 32 000 Mitgliedern. Besonders stark sei – mit 15 Prozent – der Verlust in der Altersgruppe von null bis sechs Jahren gewesen.
Nach der seit Montag gültigen Corona-Verordnung ist Schulsport bei einer Inzidenz unter 35 sowohl im Freien als auch in der Sporthalle möglich. Bei einer Inzidenz zwischen 35 und 50 darf in Sporthallen nur kontaktarmer Sport unterrichtet werden. Liegt die Inzidenz zwischen 50 und 100, ist nach Angaben des Kultusministeriums mit wenigen Ausnahmen Sportunterricht nur noch im Freien erlaubt.
Organisierter Vereinssport darf auch außerhalb von Sportanlagen und Sportstätten im Freien mit Gruppen von bis zu 20 Personen stattfinden. Bei sinkender Inzidenz unter 100 in einem Stadt- oder Landkreis ist nach zwei Wochen auch kontaktarmer Freizeit- und Amateursport in Innenräumen möglich – allerdings mit einer Begrenzung auf eine Person je 20 Quadratmeter. Außerdem gilt die Testpflicht oder die Pflicht zur Vorlage eines Impf- oder Genesungsnachweises.
Unter anderem der Landessportverband hatte kritisiert, dass auch Kinder zwischen sechs und 14 Jahren für Sport im Freien einen tagesaktuellen Corona-Test benötigten. Dies sei „nicht praxistauglich und damit für den Sport nicht akzeptabel“. Nach der aktuellen Verordnung reicht nun für Schüler ein von ihrer Schule bescheinigter negativer Test aus, der maximal 60 Stunden zurückliegt.