Ein Stück mehr Normalität und doch „brisante Mixtur“
Einige Pflegeheime lockern Besuchsregeln – Im Hospital bleibt jedoch die Testpflicht für Besucher
- Für Allgäustift-Leiterin Martina Piosik ist es „ein Stück zurück zur Normalität“. Im Seniorenheim Hege dürfen sich Angehörige wieder mit Heimwohnern auf die Caféteria-Terrasse setzen. Auch der Besuch im Lindauer Altersheim Reutin ist seit Dienstag einfacher: Bayern erlaubt jetzt Pflegeheimen, bei einer Inzidenz unter 50 auf die Vorlage eines Negativtests bei Besuchern zu verzichten. Im Hospital allerdings pocht Klaus Höhne aufs Hausrecht: Er hält die aktuellen Lockerungen für übereilt, bezeichnet sie als „brisante Mixtur“.
Jeden einzelnen Besuch vorab anmelden, sich rechtzeitig um einen tagesaktuellen Corona-Test kümmern, ja nicht zu spät kommen, um das eingeräumte Zeitfenster zu kippen. Wer in den vergangenen Monaten einen Verwandten im Pflegeheim besuchen wollte, musste gut organisiert sein. Mal kurz spontan für eine halbe Stunde Hallo sagen, war meist nicht möglich.
Viele Angehörige haben sich deshalb gefreut, als die bayerische Staatsregierung mit den aktuellen Corona-Lockerungen auch Erleichterungen für Heimbesuche beschlossen hat. Denn solange der Landkreis oder die Stadt den Inzidenzwert von 50 nicht überschreitet, dürfen die Heimleitungen auf die Vorlage von negativen Coronatests der Besucher verzichten.
Martina Piosik vom Allgäustift am Holdereggenpark freut sich sehr für ihre Heimbewohner: Dass München die Testpflicht aufhebt, ist für die Heimleiterin ein wichtiger Schritt, „ein Stück zurück zur Normalität“. Zwar müssen sich Angehörige und Freunde weiterhin anmelden, wenn sie jemanden im Allgäustift besuchen wollen. Und es gebe auch weiterhin ein Besuchsfenster von 14 bis 17 Uhr, im Einzelfall auch mit „einer gewissen Flexibilität“, wie Piosik im Gespräch mit der LZ sagt. Aber der Verzicht auf vorherige Tests erlaube Bewohnern und Besuchern etwas mehr Freiheit. „Sie können die Bewohner in deren Zimmer besuchen oder auch nebenan im Park spazierengehen“, schildert sie. Auch Kaffeetrinken bei Verwandten, etwa bei einem Geburtstag in kleiner Runde, sei jetzt wieder möglich.
„Wir legen die Bestimmungen weitestgehend aus“, heißt es im Wasserburger Seniorenheim Hege. Dort setzen die Verantwortlichen schon etwas länger auf Vernunft und Kooperation der Angehörigen und Freunde: Kontaktformular ausfüllen, Hygieneregeln einhalten und Temperatur mit moderner Technik messen – dann dürfen Besucher seit Mai ohne Anmeldung ins Haus. Wobei bisher galt: Nur auf kürzestem Weg direkt ins Zimmer des Heimbewohners gehen.
Nun geht Hege einen Schritt weiter: Seit Dienstag ist auch die Caféteria des Hauses wieder geöffnet. Sie ist bis zu Beginn der Corona-Pandemie ein beliebter Treffpunkt gewesen, von Familien beispielsweise für Geburtstage der Heimbewohner genutzt. Jetzt freuen sich die Senioren, dass sie mit ihren Besuchern, wenn auch mit Maske und Abstand, endlich wieder gemeinsam auf der Terrasse Kaffee trinken dürfen.
Leichter haben es auch Besucher des städtischen Altersheim Reutin: Da dort über 90 Prozent der Bewohner und Beschäftigten gegen das Coronavirus geimpft sind, dürfen Besucher nun die ganze Woche über ohne vorherigen Test im Zeitkorridor zwischen 13.30 und 15.30 Uhr bei den Bewohnern vorbeischauen. Heimleiter Klaus Höhne bevorzugt weiterhin eine telefonische Voranmeldung, damit „nicht 20 Besucher auf einmal ins Haus drängen“. Allerdings reiche es auch aus, einen Kontaktbogen im Eingangsbereich auszufüllen. Dann könnten sie selbständig in die Bewohnerzimmer gehen.
Höhne ist allerdings alles andere als glücklich über die jetzt von München verkündeten Lockerungen
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für den Heimbereich. Denn der Mann, der sowohl für das Altersheim in Reutin als auch das evangelische Hospital auf der Insel verantwortlich ist, hält sie für „eine brisante Mixtur aus Wissenschaft und Wahlkampftaktik“. Seine Kritik: „Alle wollen lockern – aber der Impfstoff kommt nicht.“
Dabei hat Höhne vor allem das Hospital im Blick: Jenes Pflegeheim auf der Insel, in dem vor Weihnachten nicht nur zahlreiche Bewohner und Beschäftigte einschließlich ihm selbst an Covid 19 erkrankt waren, sondern in dem auch 20 Menschen an den Folgen des Virus gestorben sind. Für Höhne eine leidvolle Erfahrung, die ihn im Umgang mit der Pandemie hat sehr vorsichtig werden lassen.
So gelten seither im Hospital sehr strenge Besuchsregeln. Und die will Höhne vorerst nicht lockern: Weil es nach seinen Worten mangels ausreichendem Impfstoff für die ehemals Erkrankten derzeit keine Erstimpfungen gibt, hält er an seinem Hausrecht fest – und verlangt von Besuchern des Hospitals, so sie nicht komplett geimpft sind, weiterhin aktuelle negative CoronaTests. „Den Experten hier in Lindau mache ich keine Vorwürfe“, sagt Höhne, „die können nichts dafür.“Wohl aber die Politiker auf Landesund Bundesebene: „Mir gehen deren Schritte zu schnell – von absoluten Verboten zu jetzt möglichst schnell alles lockern.“
In puncto Hausrecht will Klaus Höhne übrigens durchaus drastisch durchgreifen: Wer als Besucher gegen Regeln und Hygienevorschriften verstößt, etwa im Hospital ohne Maske angetroffen wird, der riskiert den Heimplatz des besuchten Bewohners. „Passiert das zweimal, dann werde ich den Heimvertrag kündigen“, betont Höhne im Gespräch mit der LZ. Da kenne er angesichts der Corona-Pandemie kein Pardon. Denn immer neue Mutationen und die derzeit im Kreis Lindau wieder steigenden Indidenzwerte zeigen in seinen Augen: „Die Gefahr ist noch längst nicht gebannt.“