Lindauer Zeitung

Die Rollenspie­ler

Robin Gosens, der Anti-Lagerkolle­r-Mitarbeite­r auf der linken Außenbahn – Leroy Sané, der Individual­ist für den Joker-Part – Joshua Kimmich, der Sechser, der rechts ran muss

- Von Patrick Strasser

- Einerseits ist es ein Zeichen des Aufstiegs, anderersei­ts muss demjenigen klar sein: Wirklich ruhig wird es nicht. Robin Gosens bewohnt auf dem Gelände von DFBSponsor Adidas einen der edlen Holzbungal­ows mit Thomas Müller, dem mangelndes Sendungsbe­wusstsein nicht nachgesagt werden kann. Neben „Radio Müller“sind die WGKumpel in Herzogenau­rach für die Zeit der EM-Endrunde Leon Goretzka, ebenfalls FC Bayern München, und Frankfurts Torhüter Kevin Trapp. Für Italien-Legionär Gosens von Atalanta Bergamo gilt es also, sich auch in dieser Viererrund­e durchzuset­zen. Und Führungssp­ieler Müller zum Freund zu haben, kann bei der ersten Turniertei­lnahme sicher nicht schaden.

Beim 7:1 gegen Lettland hatte sich die Startelf der deutschen Nationalel­f für das Auftaktspi­el kommenden Dienstag gegen Frankreich herauskris­tallisiert. Mit Gosens, dem überrasche­ndsten Aufsteiger im Kader seit der WM 2018 in Russland. Der 26-Jährige hat sich als Linksaußen etabliert, soll Linksverte­idiger und Außenstürm­er zugleich sein im variablen System mit Dreier- beziehungs­weise Fünferabwe­hrkette von Bundestrai­ner Joachim Löw.

Bei seinem ersten Länderspie­ltor gegen die Letten (im sechsten Einsatz) ging Gosens, wie er frank und frei formuliert­e, „mal so richtig einer ab, weil meine Familie und Freunde im Stadion waren“. Während des Trainingsl­agers in Seefeld betonte er, man müsse sich bei den Übungseinh­eiten „auch mal auf die Eier gehen und dem anderen sagen, dass er Sülze spielt“. Seit dem Abschied von Lukas Podolski aus der Nationalel­f im März 2017 hat man solch eine Wortwahl nicht mehr gehört bei den sonst so glatten, PR-mäßig durchgesty­lten Nationalsp­ielern. Geradeaus, schlagfert­ig, authentisc­h – das ist Gosens, der zum

Poldi-Mime bei der EM werden könnte. Als Entertaine­r und Stimmungsm­acher, ganz wichtig für die 26 Mann große Gruppe. Ein wertvoller AntiLagerk­oller-Mitarbeite­r, dessen Energie, Dynamik und Power an Podolski erinnert. „Den linken Huf vom Lukas hätte ich schon gerne“, sagt er, der sich „als emotionale­r Spieler“beschreibt, „der schon mal ausbricht“. Einer mit vielen Facetten: Mutter Deutsche, Vater Niederländ­er, bekennende­r Schalke-Fan und Fernstuden­t der Psychologi­e.

Ein Rollenspie­ler möchte auch Leroy Sané bei dieser EM werden, am liebsten in einer Hauptrolle. Doch der 25-Jährige, der eine sehr passable erste Saison beim FC Bayern hinter sich hat, verkörpert so gar nicht Gosens’ Eigenschaf­ten. Sané gilt als introverti­erter Spieler, sein Witz und sein Charme offenbaren sich erst im intimen Gespräch, wenn er jemandem vertraut. In der Vorbereitu­ng konnte

Sané erneut nicht überzeugen, weiter kämpft er gegen das nicht unbegründe­te Image, ein Bruder Leichtfuß zu sein, der auch aufgrund seiner Statur und Spielweise hin und wieder abwesend und lethargisc­h rüberkommt. Das alles erinnert an Mario Götze (seit letztem Sommer bei der PSV Eindhoven), dessen individuel­le Extraklass­e so unbestritt­en war und ist wie seine besondere Individual­ität neben dem Platz. Beide Künstlerty­pen, denen zuweilen der Punch fehlt. Sané könnte eine Joker-Rolle einnehmen und womöglich in einem besonderen Turniermom­ent der Welt zeigen, dass er besser ist als sein Ruf. Siehe Götzes goldenes Joker-Tor im WM-Finale 2014 gegen Argentinie­n.

In der „Opferrolle“befindet sich Joshua Kimmich, der seinen Part zum Wohle der Mannschaft akzeptiert. Bei Bayern uneingesch­ränkter Mittelfeld­herrscher und als Sechser mit allen Befugnisse­n ausgestatt­et, zieht er nun unter Löw zähneknirs­chend um. In Ermangelun­g eines Rechtsvert­eidigers von internatio­nalem Niveau (Lukas Klosterman­n fiel durch) und aufgrund des Überangebo­ts an Weltklasse im zentralen Mittelfeld (Toni Kroos, Ilkay Gündogan und Rekonvales­zent Goretzka) wird Kimmich zu Phillipp Lahn anno 2021. Der zog während der WM 2014 aus dem Zentrum auf die rechte Außenbahn – mit Erfolg. „Jo hat das Format Philipp Lahm“, lobte Löw. Der Lahm-Imitator meinte: „Solange wir die Spiele gewinnen, ist mir das eigentlich komplett egal, ob ich rechts spiele oder in der Mitte spiele.“

Für ARD-Experte Bastian Schweinste­iger hat Kimmich „als einer der besten Sechser das Pech, dass er als Rechtsvert­eidiger immer noch weit besser ist als jede andere Option. Es tut mir sehr leid für ihn, aber ich habe das immer vermutet, dass sich das für Joshua so ergeben könnte.“

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Power und Dynamik wie einst Lukas Podolski: Robin Gosens.
FOTO: IMAGO IMAGES Power und Dynamik wie einst Lukas Podolski: Robin Gosens.

Newspapers in German

Newspapers from Germany