„Wir haben Qualität, nicht nur Glück“
Wie DEB-Vizepräsident Marc Hindelang die Zukunft des deutschen Eishockeys einschätzt
- Platz vier bei der Weltmeisterschaft, Silber bei Olympia vor drei Jahren: Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft ist auf dem Weg in die Weltspitze. Das freut auch den Vizepräsidenten des DeutschenEishockey-Bundes, Marc Hindelang (Foto: imago images). Im Interview mit Martin Deck spricht der gebürtige Lindauer und Präsident des dortigen Oberligisten Lindau Islanders über das neue Selbstbewusstsein der deutschen Eishockey-Cracks, erfolgreiche Umstellungen in der Nachwuchsarbeit und seine Ambitionen auf das höchste Amt im deutschen Eishockey.
Herr Hindelang, mit drei Tagen Abstand: Was überwiegt nach der WM, die Freude über das Erreichen des Halbfinales oder die Enttäuschung über das Verpassen der ersten WMMedaille seit 68 Jahren?
Ganz klar die Freude und der Stolz auf die Mannschaft. Die Enttäuschung war am Sonntag nach der klaren Niederlage im Spiel um Bronze natürlich da, aber das kann den positiven Gesamteindruck nicht trüben. Was wir alle noch nicht ganz realisiert haben, ist, dass wir in der Weltrangliste jetzt auf Platz 5 stehen, noch vor Schweden und Tschechien. Das ist sensationell.
Das weckt aber auch ganz neue Erwartungen, Deutschland ist jetzt nicht mehr der Underdog. Ist bei den kommenden Turnieren das Halbfinale Pflicht?
Wir selbst haben die Erwartung, dass wir immer ins Viertelfinale wollen – so selbstbewusst sind wir mittlerweile. Man darf aber nicht vergessen, wo wir herkommen und welche Voraussetzungen die anderen Topnationen haben. Trotzdem haben wir über die letzten Turniere hinweg einen Spirit entwickelt, dass wir wissen, wir können gegen jeden Gegner gewinnen – und zwar weil wir die Qualität haben und nicht nur, weil wir Glück haben.
Was fehlt noch zum großen Wurf?
Man hat es in den Spielen gegen Finnland und USA eindeutig gesehen. Wenn wir auf diesem internationalen Niveau einen Fehler machen, wird der direkt bestraft. Auf der anderen Seite sind wir noch nicht diejenigen, die jeden Fehler des Gegners bestrafen. Diese Kaltschnäuzigkeit fehlt uns noch. Aber das sind Kleinigkeiten.
Außerdem fehlt es wohl noch an Erfahrung. In der DEB-Auswahl stehen schließlich viele junge Spieler.
Ich finde, dass wir einen guten Mix haben, aber natürlich kann die Erfahrung noch nicht da sein. 2019 hat Moritz Seiein der seine erste WM gespielt, in diesem Jahr waren Lukas Reichel und John-Jason Peterka zum ersten Mal dabei. Die Grundlage stimmt also, und der Rest wird sich noch entwickeln.
Es kommen ständig gute junge Spieler nach. Was hat sich in der Nachwuchsarbeit in den vergangenen Jahren verändert?
Wir haben bessere Vereinsstrukturen und gute Trainer, die die Jungs fordern und fördern. Viele junge Spieler bekommen heute früher die Möglichkeit, in den Profiligen – von der Oberliga bis zur NHL – eine gute Rolle zu spielen. Ich habe erst am Montag mit Kapitän Moritz Müller (seit 2007, d. Red.) gesprochen. Er meinte, in seiner Anfangszeit bei der Nationalmannschaft habe man keine zehn Spieler zusammenbekommen, die in ihren Vereinen Powerplay spielen. Heute ist das ganz normal. Auch die Einstellung der jungen Spielergeneration hat sich verändert. Sie haben verstanden, dass sie auch im Sommer hart an sich arbeiten müssen und nicht nur von ihrem Talent leben können. Auch das ist eine Folge einer guten Ausbildung.
Wie bitter ist die Corona-Krise für die Entwicklung, schließlich konnten viele Jugendmannschaften ein Jahr nicht spielen und neue Talente haben gar nicht erst angefangen?
Das wirft uns natürlich zurück, vor allem die Spieler selbst, die ein ganzes Jahr verloren haben. Zum Glück konnten aber wenigstens die Nachwuchskaderathleten weiter trainieren und teilweise in den Profiligen spielen. Trotzdem kann es gut sein, dass wir in
paar Jahren wieder eine Delle haben, weil die Jahrgänge sich wegen Corona nicht so entwickeln konnten wie unter normalen Umständen.
Wie wichtig war angesichts dieser Sorgen die Leistung der Nationalmannschaft bei der WM, um Werbung für den Sport zu machen?
Extrem wichtig. Eine erfolgreiche Nationalmannschaft ist in jedem Sport das wichtigste Aushängeschild. Dabei geht es gar nicht so sehr um das Ergebnis, sondern vor allem um das Auftreten der Mannschaft. Ein junger Spieler, der wegen der langen Pause vielleicht schon daran gezweifelt hat, ob Eishockey noch das richtige für ihn ist, hat gezeigt bekommen, dass es sich lohnt, für etwas zu kämpfen.
Kann die Pandemie vielleicht sogar eine Chance sein, weil viele Clubs mit weniger Geld auskommen müssen und deshalb eher auf talentierte deutsche und weniger auf teure ausländische Spieler setzen?
Da fehlt mir leider der Glaube. Wir haben es ja im vergangenen Jahr gesehen: Sobald die Corona-Hilfen geflossen sind, wurde in allen Ligen fleißig nachverpflichtet. Der Blick geht weiter vor allem zum fertigen Spieler. Leider hat sich bei vielen Clubs noch nicht die Erkenntnis durchgesetzt, dass man froh sein sollte, wenn man gute junge Spieler hat, und dass man diese auch weiter gezielt fördern sollte. Das wäre langfristig gedacht.
Apropos nach vorne denken: DEBPräsident Franz Reindl hat am Wochenende seine Bewerbung als neuer Präsident des Weltverbands IIHF bekannt gegeben. Wie sehen Sie seine Chancen und welche Hoffnungen verbindet der DEB mit einem deutschen Präsidenten?
Im Sport ist es für ein Land nie schlecht, wenn es den Präsidenten eines internationalen Verbands stellt. Das bringt Reputation, öffnet Türen und ist eine Belohnung für die gute Arbeit im nationalen Verband. Natürlich hängen seine Chancen auch von den anderen Bewerbern ab, die noch kommen werden, aber ich glaube, dass Franz mit seinem Know-How und seiner Erfahrung der Topkandidat ist.
Sollte Reindl tatsächlich gewählt werden, braucht es einen neuen DEB-Präsidenten. Könnten Sie sich dieses Amt vorstellen?
Da fehlt mir im Moment noch die Fantasie. Es passiert gerade so Einiges im Eishockey, manches ist sehr anstrengend, manches auch ernüchternd, weshalb ich mir noch keine Gedanken dazu gemacht habe. Aber klar ist: Wenn der Fall eintritt, müssen wir einen geeigneten Nachfolger finden. Andererseits gibt es auch Überlegungen, ob es die Figur eines so operativ tätigen Präsidenten noch braucht, oder ob nicht ein Präsidium im Sinne eines Aufsichtsrats mit mehr Verantwortung für den hauptamtlichen Vorstand, also Generalsekretär und Sportdirektor, die geeignetere Lösung wäre. Ich kann Ihnen sagen: Schon die Ehrenarbeit als Vizepräsident ist sehr anstrengend, das Präsidentenamt quasi nebenbei zu führen, kann ich mir aktuell nur schwer vorstellen, dazu habe ich zu viel Respekt vor der Aufgabe.