„Einfache Lösungen gibt es leider nicht“
Oberbürgermeisterin Claudia Alfons zieht nach einem Jahr Bilanz und spricht über die großen Themen der Stadt
(jule/roi) - Etwas mehr als ein Jahr ist Lindaus Oberbürgermeisterin Claudia Alfons nun schon im Amt. Ein Jahr, das sicher eine außergewöhnliche Herausforderung war – nicht nur wegen der CoronaPandemie. Im Interview mit Yvonne Roither und Julia Baumann spricht sie über abgeschlossene Projekte, unerwartete Baustellen – und darüber, wie es nach der Gartenschau in Sachen Hintere Insel weitergehen kann.
Frau Alfons, wie ist Ihre Bilanz nach einem Jahr – haben Sie sich denn die Arbeit als Oberbürgermeisterin so vorgestellt?
Im Wesentlichen schon, ja. Aber natürlich ploppen auch immer wieder Themen auf, bei denen ich vorher nicht wusste, dass wir das auch machen. Und natürlich ist meine Arbeit noch immer nicht repräsentativ, ich kenne ja alles nur unter Coronabedingungen. Und das, was mir im Wahlkampf so viel Spaß gemacht hat, der Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern, das fehlt mir schon. Ich hoffe, dass wir da bald wieder zu einer Normalität zurückkehren.
Es gibt ja auch einige Lindauerinnen und Lindauer, die Sie nicht gewählt haben. Fühlen Sie sich denn jetzt überhaupt schon als Oberbürgermeisterin von allen Bürgern?
Verantwortung empfinde ich natürlich für alle Lindauerinnen und Lindauer. Und ich fühle mich auch denjenigen verpflichtet, die mich nicht gewählt haben – oder es vielleicht nicht so super finden, dass ich dieses Amt ausübe. Da mache ich keinen Unterschied. Aber ich hoffe natürlich, dass es mir bald gelingt, auch mit diesen Menschen in Kontakt zu kommen. Bisher fehlt mir der unmittelbare Kontakt – und die unmittelbare Rückmeldung.
Claudia Alfons zur Hinteren Insel
Ein paar größere Projekte konnten Sie während Ihrer Amtszeit schon beenden. Die Unterführung Bregenzer Straße zum Beispiel und den Bahnhof Reutin. Da haben Sie etwas geschafft, was vor Ihnen fast unmöglich schien. Wie haben Sie die Bahn denn dazu gebracht, das Bahnhofsgebäude zu verkaufen und weitere Flächen an die Stadt zu vermieten?
Ich hatte in meiner ersten Woche als Oberbürgermeisterin schon den ersten Termin mit der Bahn. Ich freue mich, dass die Bahn bereit war, da einen Neuanfang zu machen, nach vorne zu sehen und nach einer Lösung zu suchen. Und das hat dann ja zügig geklappt. Aber es war natürlich eine gemeinsame Kraftanstrengung der Verwaltung.
Das alte Bahnhofsgebäude fällt zurzeit besonders auf, weil es für die Gartenschau bemalt ist, es soll aber mittelfristig abgerissen werden. Wie und wann geht es da weiter?
Wir brauchten das Gebäude und das Gelände drum herum unbedingt, um die Funktionsfähigkeit des Bahnhofs zu gewährleisten. Dazu gehören auch die Parkplätze. Jetzt wollen wir das städtebaulich weiterentwickeln und dort eine Nutzung unterbringen, wie man sie in einem Bahnhof erwartet. Dazu gehören Kiosk, Kaffee und Bäckerei, aber auch Gewerbeflächen. Das Bauamt arbeitet daran, einen städtebaulichen Wettbewerb vorzubereiten und in die Wege zu leiten. Der ist natürlich entscheidend für die Frage, was dort langfristig entsteht. Man muss auch überlegen, ob es mehr Sinn macht, das Gebäude in der Zwischenzeit, noch drei bis fünf Jahre, zu erhalten, oder es abzureißen und die Fläche in der Zwischenzeit anders zu nutzen.
Auch die Gartenschau ist mittlerweile eröffnet. Die Resonanz darauf ist sehr unterschiedlich. Die einen sind total begeistert, die anderen vermissen Blumen. Verstehen Sie diese Kritik?
Grundsätzlich kann ich alle Resonanzen nachvollziehen. Erst einmal freue ich mich aber, dass die Hintere Insel wieder öffentlich zugänglich ist. Da gibt es ganz viele Dauerkartenbesitzer, die sich freuen, dass sie dort abends wieder baden gehen oder zum Sonnenuntergang sitzen können. Was das Gelände der Gartenschau anbelangt, da gibt es natürlich unterschiedliche Vorstellungen und Erwartungen. Aber zumindest diejenigen, die dachten, das wird eine Blümchenschau, sind jetzt widerlegt (lacht). Wobei die Gestalter ja auch darauf hinweisen, dass vieles noch nicht ausgetrieben hat und sich das mit dem Sommerflor noch ändern wird. Ich finde, man sieht vor allem, welche Entwicklung auf der Hinteren Insel stattfinden kann. Ich finde diese großen neuen Flächen, die wir dort haben, toll. Und vieles, wie der Kiosk, wird uns lange erhalten bleiben.
Einige ärgern sich auch darüber, dass die Gartenschau stattfindet, während fast alles andere abgesagt ist.
Es ist ja nicht so, dass wir die Gartenschau einfach so aufmachen durften. Wir als Stadt Lindau machen zwar die Gartenschau, genehmigen muss sie aber das Landratsamt. Und das setzt die Maßnahmen des Infektionsschutzgesetzes um. Wer unseren Landrat kennt, weiß, dass er die Gartenschau nie einfach nach Gutdünken aufgemacht hätte.
Nach der Gartenschau ist auf der Hinteren Insel Wohnbebauung geplant, dafür gibt es auch einen vom Stadtrat beschlossenen Rahmenplan. Nun formiert sich Widerstand gegen diesen Plan, es hat sich eine Bürgerinitiative gegründet, die die Wohnbebauung dort komplett verhindern möchte. Wie stehen Sie zu dieser Initiative?
Meine persönliche Haltung ist bekannt, ich hätte lieber, dass wir dort keine Wohnungen bauen. Ich möchte dort öffentlichen Raum schaffen in Form von Grünflächen, Parks und Freiflächen. Auch kulturelle Nutzung, Gastronomie oder das geplante Bildungshaus halte ich für sehr gute Ideen. Es heißt immer, ich fände den ganzen Rahmenplan schlecht, das stimmt aber gar nicht – diese Teile gefallen mit gut. Als Oberbürgermeisterin geht es aber gar nicht darum, meine persönliche Meinung durchzusetzen, sondern Lösungen zu finden, die im Interesse der Lindauerinnen und Lindauer sind.
Nun ist es ja nicht nur ihre persönliche Meinung, dass Sie gegen eine Wohnbebauung auf der Hinteren Insel sind. Sie haben damit im Wahlkampf geworben und es gibt sicher viele Lindauer, die Sie deswegen gewählt haben.
Mit persönlich meine ich auch nicht, dass das nur meine private Meinung ist. Ich stehe nach wie vor dazu, aber als Oberbürgermeisterin bewege ich mich ja nicht im rechtsfreien Raum. Ich bin an den Beschluss des Stadtrats gebunden.
Wie soll eine Lösung im Interesse der Lindauerinnen und Lindauer aussehen? Schließlich ist der Rahmenplan ja das Ergebnis einer Bürgerbeteiligung.
Man hat sich mit dem Prozess damals viel Mühe gegeben, aber seitdem ist eben auch viel passiert. Die Corona-Pandemie war eine echte Zäsur, auch was die Wertschätzung von Freiflächen anbelangt. Wie wir zu einer Lösung kommen, kann ich im Moment noch nicht sagen. Aber ich will das ohne Bürgerentscheid schaffen.
Setzen Sie sich für eine erneute Bürgerbeteiligung ein?
Auch das geht nicht ohne Stadtratsbeschluss. Aber durch die Bürgerinitiative ist das Thema jetzt auf dem Tisch und es wäre fahrlässig, das einfach so laufen zu lassen. Eine Bürgerinitiative oder ein Bürgerbegehren ist ein demokratisches Mittel. Ich verstehe, dass es für diejenigen, die sich beim Rahmenplan eingebracht haben, frustrierend ist, dass sie jetzt die rote Karte gezeigt bekommen. Es gibt aber eben auch Hinweise darauf, dass vielleicht nicht der Großteil der Bürgerinnen und Bürger hinter dem Plan steht. Ich glaube, da müssen wir nochmal genau hinsehen. Mittlerweile gab es Gespräche mit Vertretern der Bürgerinitiative. Auch für sie wäre ein Bürgerentscheid nur das letzte Mittel. Und ich möchte nicht, dass es zum Bürgerentscheid kommt. Ich möchte, dass wir vorher Farbe bekennen und sagen: Wollen wir das oder wollen wir das nicht – oder eben irgendwas dazwischen, das kann ja auch sein.
Ein Argument ist, dass der Wohnraum auf der Hinteren Insel gar nicht benötigt wird. Wie sehen Sie das?
Wohnungen losbekommen würde man in Lindau immer. Aber die Frage ist ja: Was ist der echte Bedarf. Da hat sich seit 2016 einiges getan. Das Bauamt wird jetzt die Wohnraumbedarfsanalyse fortschreiben – aber auch ganz normal am Rahmenplan weiterarbeiten. Ich mische mich in den Prozess nicht ein. Die Sorge, dass ich da im Hintergrund etwas torpediere, ist also unbegründet.
Neben den Gartenschaubesuchern kommen auch längst schon jede Menge anderer Touristen nach Lindau. Und die Blechlawine rollt auf die Insel. Die Stadt hat in der Vergangenheit an mehreren kleinen Stellschrauben gedreht. Wie läuft das denn Ihrer Ansicht nach?
Wir haben an kleinen Stellschrauben gedreht, weil es die großen Stellschrauben eben nicht gibt. Die Verkehrsführung bei uns ist schwierig und äußerst herausfordernd. Wir haben mit unserem Maßnahmenbündel im vergangenen Jahr schon angefangen und im Laufe des letzten Sommers schon Erleichterungen erzielt. Worüber ich persönlich sehr froh bin, ist, dass wir die Zufahrt zum Aeschacher Ufer erleichtert haben, in dem die Schranke am Karl-BeverPlatz jetzt auch aufgeht, wenn der Parkplatz voll ist. Für die Anwohner dort war es wirklich eine Belastung, nicht zu wissen, ob sie überhaupt nach Hause kommen – oder ob das Rettungsfahrzeug durchkommt. Am Montag in der Führungskräfterunde haben wir das Thema Verkehr erst wieder besprochen und reflektiert, wie die Pfingstferien gelaufen sind. Da sind wir auch im ständigem Austausch mit der Polizei.
In den Pfingstferien gab es regelmäßig Stau in Richtung Insel.
Die Leute folgen der Beschilderung nicht und versuchen ihr Glück weiter auf der Insel. Aber wir können die Insel eben nicht einfach absperren. Man kann aber zum Beispiel überlegen, den Inselkern zu sperren und wirklich nur noch für Bewohner zuzulassen. Dann muss man aber wieder aufpassen, ob das nicht zu viel Wendeverkehr in der Zwanziger Straße verursacht. Es bleibt die Quadratur des Kreises. Ich kann nur sagen, dass wir da wirklich verlässlich dran arbeiten. Es gibt super starke Tage, da funktioniert das mit dem Verkehr besser und da merken wir, dass die Auffangparkplätze angenommen werden. Und dann gibt es die Tage, da fährt der Erste Richtung Insel und das löst dann einen Nachahmungseffekt aus. Und da kommt man dann nicht mehr gegen an.
Die Barke vor der Seebrücke scheint da auch nicht zu helfen.
Das ist ein Akt der Verzweiflung! Das ist ja genau das Problem: Einfache Lösungen gibt es leider nicht. Ich kann wirklich nur sagen, dass wir da dran bleiben. Und da tut sich ja auch auf politischer Ebene wahnsinnig viel. Da gibt es viele neue Programme und auch Pilotprojekte. Wir sind ja auch eine der Modellkommunen beim Mobilitätsprojekt der Allgäu GmbH. Darüber freue ich mich, auch wenn das alles Strohhalme sind. Aber wir sind dran, und sobald wir Lösungen finden, die für uns passen und finanzierbar und darstellbar sind, dann machen wir das.
Beim Thema Finanzierbarkeit und Darstellbarkeit landet man auch schnell bei der Inselhalle. Im vergangenen Herbst haben Sie verkündet, dass die alte Decke des großen Saals marode ist. Wie löst die Stadt das?
Die Inselhalle hat unerfreulicherweise ein paar Schwachpunkte, für die wir überhaupt nichts können. Da ist der Wasserschaden im Keller und da ist die Decke im historischen Saal. Wer dafür was kann, das ist noch der rechtlichen Prüfung vorbehalten. Bei der Decke hat man sich damals aus Kostengründen – und nach fachlicher Einschätzung – dazu entschieden, sie nicht sanieren zu lassen. Jetzt hat sich herausgestellt, dass es besser gewesen wäre, sie zu sanieren. Übergangsweise haben wir das jetzt gelöst, da muss ich unserem Bauamt und dem Hochbauamt ein großes Lob aussprechen. Die haben da über den Winter richtig geackert.
„Meine persönliche Haltung ist bekannt, ich hätte lieber, dass
wir dort keine Wohnungen bauen.“
Die Decke liegt jetzt offen, ein Stadtrat hat in der letzten Sitzung angeregt, das einfach so zu lassen. Sie haben dann auf die nicht öffentliche Sitzung verweisen. Wäre das tatsächlich eine Möglichkeit?
Ich finde, das sieht gar nicht so schlecht aus. Für eine Zeit lang kann man das auch so lassen, alles andere wird jetzt geprüft. Aber so wie ich es verstanden habe, kann man es nicht für immer so lassen.
Zuletzt schätzten sie die Gesamtkosten auf 70 Millionen Euro. Gibt es denn mittlerweile eine Schlussrechnung?
Die gibt es wegen der angesprochenen offenen Punkte noch nicht. Aber es gibt derzeit wenig Anlass, davon auszugehen, dass es weniger wird.
Sie werden im Herbst eine Arbeitspause machen – wenn auch eine kurze, zumindest planen Sie das so. Sie werden Mutter. Wie war denn die Resonanz auf diese Nachricht?
Bei mir sind wirklich nur positive, freudige und ermutigende Reaktionen angekommen. Freundinnen hatten mir vorher gesagt, dass es immer ein komisches Gefühl ist, dem Arbeitgeber seine Schwangerschaft mitzuteilen. Und bei mir sind die Arbeitgeber mehr als 25 000 Lindauer. Ich möchte im Vorfeld keinen Mutterschutz beanspruchen und nach der Geburt so schnell wie möglich in den Dienst zurückkehren. Ich hatte ja immer gesagt, dass ich nur sechs Wochen Pause machen werde, da wurde ich mittlerweile eines Besseren belehrt. Acht Wochen sind gesetzlich verpflichtend. Bis ich wiederkomme, werde ich von meinen Stellvertretern vertreten, in der Verwaltung übernehmen die Amtsleiter. Ansonsten hat uns Corona gelehrt, was in Sachen Homeoffice alles möglich ist – und die Wege hier in Lindau sind kurz. Ich bin sicher, dass wir das gemeinsam hinbekommen.
Das ganze Gespräch gibt es unter: www.schwaebische.de/ podcasts
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