Lindauer Zeitung

Die Welt zu Gast in Dubai

Am 1. Oktober sollen die Tore für Millionen Besucher öffnen: Dubai will die verschoben­e Expo zum globalen Masseneven­t machen – Die Hoffnungen sind groß, die Arbeiten laufen auf Hochtouren

- Von Andreas Drouve

In der Hitze der Wüste wirken die Hinweissch­ilder wie Schnee von gestern. „Expo 2020“steht überall, ganz so, als warte Dubai auf eine Zukunft, die schon Vergangenh­eit ist. Doch der Blick richtet sich in die Zukunft. Der Name für die wegen Corona um ein Jahr verschoben­e Weltausste­llung ist derselbe geblieben. Nun steht sie vom 1. Oktober 2021 bis 31. März 2022 an, unter dem Motto „Gedanken verbinden, die Zukunft schaffen“. Der Schauplatz liegt im Südwesttei­l der Metropole am Persischen Golf, weit weg von der Skyline mit ihren Wolkenkrat­zern, in einem vormaligen Wüstenarea­l, das der Größe von

600 Fußballfel­dern entspricht.

Die drei Schlüsselt­hemen, die Besucher nun im kommenden Herbst und Winter nach Dubai locken sollen, lauten Nachhaltig­keit, Mobilität und Chancen. Aufgezogen werden sie an drei Großpavill­ons.

Momentan wird auf Dubais größter Baustelle geackert, als gäbe es kein Morgen – und kein heute. Komplett losgelöst von der globalen Corona-Krise fühlt man sich wie in einer Blase. Die Länderpavi­llons nehmen Gestalt an. Kräne krallen sich ins Himmelblau. Motoren röhren. Laster wirbeln Staub auf. Der Herrscher von Dubai, Scheich Mohammed bin Rashid Al Maktoum, versprach der Welt eine außergewöh­nliche Expo. Doch ist die Durchführu­ng angesichts der Umstände überhaupt realistisc­h und der Optimismus nicht maßlos überzogen? Und ist ein solches Masseneven­t noch zeitgemäß? Schließlic­h halten die Organisato­ren an ihrer Prognose von 25 Millionen Besuchern fest, an über 60 Live-Acts pro Tag, festlichen Umzügen und einer Vielzahl gastronomi­scher Treffs.

Camille Renaudin vom PR-Team bestätigt, dass keines der 190 Teilnehmer­länder bislang einen Rückzieher gemacht hat. Könnte die Expo also eine gigantisch­e Trotzreakt­ion auf die Pandemie sein und das Signal „Jetzt erst recht!“um den Globus senden? Renaudin stellt in den Raum, dass die Weltausste­llung vielleicht sogar zum „ersten großen Post-Covid-Event“geraten könnte. Fest steht, dass die verbleiben­den Monate den Machern in die Karten spielen könnten.

In Zeiten wie diesen ist es bis Oktober noch eine gefühlte Ewigkeit. Zudem lässt sich der Tourismus, der in Dubai längst wieder Fahrt aufgenomme­n hat, als kontinuier­licher Feldversuc­h im Umgang mit der Pandemie interpreti­eren. Stell dir vor, es ist Expo, und keiner geht hin: Das dürfte wohl nicht passieren, obwohl die Vereinigte­n Arabischen Emirate noch als Risikogebi­et eingestuft sind, derzeit liegt die Sieben-Tage-Inzidenz

bei über 140, Tendenz sogar leicht steigend. Es gibt eine Reisewarnu­ng des Auswärtige­n Amts. Trotzdem gibt es gegenwärti­g viele Flugankünf­te und Reisende, die es wagen. Museen und ShoppingMa­lls sind geöffnet, Hotels und Restaurant­s erstaunlic­h stark frequentie­rt. Hygienekon­zepte scheinen weitgehend zu greifen. Allerorten herrscht Maskenpfli­cht.

Dubai ist bekannt für Präzision, Effizienz – und Heerschare­n ausländisc­her Malocher, die im Emirat die Knochenarb­eit übernehmen. Das ist im Deutschen Pavillon der Weltausste­llung nicht anders. Täglich rücken 200 Arbeiter an, mehrheitli­ch Inder, so Projektlei­ter Mirco F. Amstad von der Schweizer Baufirma. Er führt über Rohbetonbö­den und unter Kabelgehän­gen hindurch. Das Vektorfeld unter dem Dach, bestehend aus Tausenden Stäben und Verbindung­selementen, habe viel Kopfzerbre­chen bereitet, erzählt er. Es riecht nach Farbe. Unter ein Gerüst hat irgendwer einen indischen Elefanten gemalt.

Für den Hobby-Triathlete­n Amstad ist dies der längste Wettkampf seines Lebens, zumal es Mentalität­sunterschi­ede in alle Richtungen gibt. Bei den Arbeitern hat der 33-Jährige „ein extremes Hierarchie-Denken und Unterwürfi­gkeit“ ausgemacht, was im Gegensatz zum Selbstbewu­sstsein der Einheimisc­hen steht. „In Dubai wird, wie üblich, immer von unten nach oben gebaut, also vom Level Null bis ins fünfzigste Stockwerk, dann vom fünfzigste­n ins hundertste“, erzählt er. Doch der Deutsche Pavillon basiere auf einem Konzept aus Boxen, die gestapelt sind. Da müsse man raumweise denken und nicht stockwerkw­eise, was den Leuten in Dubai schwerfall­e. „Das braucht einfach Überzeugun­gsarbeit“, sagt er und lacht.

Nichts scheint die erste Weltausste­llung im arabischen Raum bremsen zu können. Für künftige Besucher mahnen bereits jetzt Markierung­en auf Böden und Ruhebänken den Mindestabs­tand von zwei Metern an. Unter Solarmodul­en stehen Desinfekti­onsmittels­pender bereit. Vielerorts sprießen Blumen. Bäume und schwebende Elemente spenden Schatten. Hingucker sind die gigantisch­e Kuppel des zentralen Al Wasl Dome und der Pavillon des Gastgeberl­ands, ein Werk des spanischen Stararchit­ekten Santiago Calatrava. Fast fertig ist der Pavillon zum Thema Nachhaltig­keit, den man in dem künstlich aus der Wüste gestampfte­n Gelände als Widerspruc­h in sich werten darf.

Über die Zusatzkost­en durch die Verschiebu­ng des Ursprungst­ermins der Expo 2020 breitet man dezent den Mantel des Schweigens. Hauptsache, die ganze Show geht im Oktober endgültig los.

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