Weltmächte zwischen Annäherung und Konfrontation
US-Präsident Biden und Russlands Staatschef Putin treffen sich in Genf – Es geht um Atomwaffen, China und Menschenrechte
- US-Präsident Joe Biden und der russische Staatschef Wladimir Putin kommen am Mittwoch in Genf zu ihrem ersten persönlichen Gipfeltreffen seit Bidens Amtsantritt zusammen. Besonders entspannt dürfte die Atmosphäre dabei nicht sein – die Beziehungen zwischen den beiden Staaten sind derzeit so schlecht wie schon lange nicht mehr. Die Ausgangslage im Überblick.
Die Stimmung
Vor dem Gipfel sprachen beide Politiker von einem Tiefpunkt des Verhältnisses zwischen ihren Ländern. Obwohl der Kreml versicherte, er hoffe auf die Wiederaufnahme des politischen Dialogs, scheint man dort nicht wirklich an einen amerikanisch-russischen Neustart zu glauben. Seit Bidens Amtsantritt im Januar haben auch die diplomatischen Spannungen zwischen beiden Seiten deutlich zugenommen. Nachdem Biden Putin in einem Interview im März einen „Killer“genannt hatte, rief Moskau in einem ungewöhnlichen Schritt seinen Botschafter zu Konsultationen zurück und forderte den US-Botschafter in Russland zur Rückkehr nach Washington auf. Auf die US-Sanktionen wegen HackerAngriffen reagierte Russland mit der Verhängung von Einreiseverboten gegen US-Regierungsvertreter und wies zehn US-Diplomaten aus. Im Mai stufte Moskau die USA offiziell als „unfreundlichen Staat“ein.
Die Tagesordnung
Auf der Agenda stehen laut Putins außenpolitischem Berater Juri Uschakow strategische Rüstung, Cyberkriminalität, Coronavirus, Klima, Arktis, außerdem die Konflikte im Nahen Osten, Syrien, Libyen, Afghanistan, der Ukraine sowie das iranische Atomprogramm. Allerdings erwartet die russische Seite offenbar auch, dass Biden Putin unangenehme Fragen stellen wird, etwa nach russischen Hacker-Attacken gegen die USA, nach Verstößen gegen Menschenrechte sowie Mordanschlägen gegen Regimegegner. Putin verbat sich solche Vorwürfe im Gespräch mit dem TV-Sender NBC sehr unwirsch: „Auf solch unbewiesene Anschuldigungen kann ich Ihnen sagen: Beschweren Sie sich bei der Internationalen Liga für Sexuelle Reformen!“Russische Staatsmedien diskutieren außerdem China als Geheimthema des Gipfels. „Der nichtöffentliche Teil wird dem Versuch gewidmet sein, Russland von China loszureißen“, erklärt der kremlnahe Politologe Alexei Muchin der „Schwäbischen Zeitung“. „Um Russlands Verhältnis zu China zu verderben, hat Biden das Treffen mit Putin überhaupt initiiert.“Dieser Versuch werde aber fehlschlagen.
Nawalny und Menschenrechte
Biden hat im Vorfeld des Gipfeltreffens angekündigt, er wolle dabei Washingtons Eintreten „für Menschenrechte und Würde“unterstreichen. Seit der Rückkehr des prominenten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny nach Russland im Januar gehen die dortigen Behörden verschärft gegen Oppositionelle vor. Nawalny wurde zu Lagerhaft verurteilt. Sein regionales Unterstützernetzwerk und seine Antikorruptions-Stiftung wurden als „extremistisch“eingestuft und mit sofortiger Wirkung verboten. Putin wirft Washington vor, in Sachen Menschenrechte „zweierlei Maß“anzulegen und sich in innere Angelegenheiten Russlands einzumischen. Gleichzeitig nahm er die Demonstranten in Schutz, die am 6. Januar das US-Kapitol gestürmt hatten – diese hätten legitime politische Forderungen.
Mögliche Ergebnisse
Auch wenn Putin-Berater Uschakow gestern noch nicht wusste, ob es ein gemeinsames Kommuniqué gibt, kalkuliert man in Moskau kleine Annäherungen ein – etwa einen regelmäßigen diplomatischen Dialog zur Verbesserung der Beziehungen. Denn ein Teil der Beobachter glaubt, Putins jüngste Verbalattacken richteten sich vor allem ans innenpolitische Publikum. Tatsächlich aber käme er nach Jahren der Sanktionen gern wieder mit den USA ins Geschäft. Aber es gilt als ausgeschlossen, dass Putin dafür bei den wirklich strittigen Themen Zugeständnisse machen wird. Russische Sicherheitsexperten hoffen, dass Biden und Putin sich zumindest auf eine neue Verhandlungsrunde zur strategischen Atom-Abrüstung einigen. Allerdings ist eine gemeinsame Pressekonferenz nicht geplant.