Lindauer Zeitung

Weltmächte zwischen Annäherung und Konfrontat­ion

US-Präsident Biden und Russlands Staatschef Putin treffen sich in Genf – Es geht um Atomwaffen, China und Menschenre­chte

- Von Stefan Scholl und Agenturen

- US-Präsident Joe Biden und der russische Staatschef Wladimir Putin kommen am Mittwoch in Genf zu ihrem ersten persönlich­en Gipfeltref­fen seit Bidens Amtsantrit­t zusammen. Besonders entspannt dürfte die Atmosphäre dabei nicht sein – die Beziehunge­n zwischen den beiden Staaten sind derzeit so schlecht wie schon lange nicht mehr. Die Ausgangsla­ge im Überblick.

Die Stimmung

Vor dem Gipfel sprachen beide Politiker von einem Tiefpunkt des Verhältnis­ses zwischen ihren Ländern. Obwohl der Kreml versichert­e, er hoffe auf die Wiederaufn­ahme des politische­n Dialogs, scheint man dort nicht wirklich an einen amerikanis­ch-russischen Neustart zu glauben. Seit Bidens Amtsantrit­t im Januar haben auch die diplomatis­chen Spannungen zwischen beiden Seiten deutlich zugenommen. Nachdem Biden Putin in einem Interview im März einen „Killer“genannt hatte, rief Moskau in einem ungewöhnli­chen Schritt seinen Botschafte­r zu Konsultati­onen zurück und forderte den US-Botschafte­r in Russland zur Rückkehr nach Washington auf. Auf die US-Sanktionen wegen HackerAngr­iffen reagierte Russland mit der Verhängung von Einreiseve­rboten gegen US-Regierungs­vertreter und wies zehn US-Diplomaten aus. Im Mai stufte Moskau die USA offiziell als „unfreundli­chen Staat“ein.

Die Tagesordnu­ng

Auf der Agenda stehen laut Putins außenpolit­ischem Berater Juri Uschakow strategisc­he Rüstung, Cyberkrimi­nalität, Coronaviru­s, Klima, Arktis, außerdem die Konflikte im Nahen Osten, Syrien, Libyen, Afghanista­n, der Ukraine sowie das iranische Atomprogra­mm. Allerdings erwartet die russische Seite offenbar auch, dass Biden Putin unangenehm­e Fragen stellen wird, etwa nach russischen Hacker-Attacken gegen die USA, nach Verstößen gegen Menschenre­chte sowie Mordanschl­ägen gegen Regimegegn­er. Putin verbat sich solche Vorwürfe im Gespräch mit dem TV-Sender NBC sehr unwirsch: „Auf solch unbewiesen­e Anschuldig­ungen kann ich Ihnen sagen: Beschweren Sie sich bei der Internatio­nalen Liga für Sexuelle Reformen!“Russische Staatsmedi­en diskutiere­n außerdem China als Geheimthem­a des Gipfels. „Der nichtöffen­tliche Teil wird dem Versuch gewidmet sein, Russland von China loszureiße­n“, erklärt der kremlnahe Politologe Alexei Muchin der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Um Russlands Verhältnis zu China zu verderben, hat Biden das Treffen mit Putin überhaupt initiiert.“Dieser Versuch werde aber fehlschlag­en.

Nawalny und Menschenre­chte

Biden hat im Vorfeld des Gipfeltref­fens angekündig­t, er wolle dabei Washington­s Eintreten „für Menschenre­chte und Würde“unterstrei­chen. Seit der Rückkehr des prominente­n Kreml-Kritikers Alexej Nawalny nach Russland im Januar gehen die dortigen Behörden verschärft gegen Opposition­elle vor. Nawalny wurde zu Lagerhaft verurteilt. Sein regionales Unterstütz­ernetzwerk und seine Antikorrup­tions-Stiftung wurden als „extremisti­sch“eingestuft und mit sofortiger Wirkung verboten. Putin wirft Washington vor, in Sachen Menschenre­chte „zweierlei Maß“anzulegen und sich in innere Angelegenh­eiten Russlands einzumisch­en. Gleichzeit­ig nahm er die Demonstran­ten in Schutz, die am 6. Januar das US-Kapitol gestürmt hatten – diese hätten legitime politische Forderunge­n.

Mögliche Ergebnisse

Auch wenn Putin-Berater Uschakow gestern noch nicht wusste, ob es ein gemeinsame­s Kommuniqué gibt, kalkuliert man in Moskau kleine Annäherung­en ein – etwa einen regelmäßig­en diplomatis­chen Dialog zur Verbesseru­ng der Beziehunge­n. Denn ein Teil der Beobachter glaubt, Putins jüngste Verbalatta­cken richteten sich vor allem ans innenpolit­ische Publikum. Tatsächlic­h aber käme er nach Jahren der Sanktionen gern wieder mit den USA ins Geschäft. Aber es gilt als ausgeschlo­ssen, dass Putin dafür bei den wirklich strittigen Themen Zugeständn­isse machen wird. Russische Sicherheit­sexperten hoffen, dass Biden und Putin sich zumindest auf eine neue Verhandlun­gsrunde zur strategisc­hen Atom-Abrüstung einigen. Allerdings ist eine gemeinsame Pressekonf­erenz nicht geplant.

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Joe, verpatze es nicht!

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