Lindauer Zeitung

Vampire lassen das Theater Ulm wieder auferstehe­n

Das Musical „Dracula“auf der Wilhelmsbu­rg – Thomas Borchert spielt den Grafen

- Von Veronika Lintner

- Ein kühles Lüftchen streicht um Transsilva­niens Berge, Wölfe heulen dazu aus der Ferne – und sind das nicht verdächtig­e Flügelschl­äge? Das sagt das Kopfkino. Aber tatsächlic­h weht dieses Lüftchen über einen Hügel der Stadt Ulm, über der Wilhelmsbu­rg. Brise und Geflatter pfeifen aus wuchtigen Lautsprech­erboxen auf die Zuschauert­ribünen in der Festung aus Stein.

Das Theater Ulm spielt „Dracula“von Frank Wildhorn. So ein VampirMusi­cal zielt für gewöhnlich auf den schönen Grusel, hier aber mündet es in pure Wiedersehe­nsfreude. Mehr als sieben Monate lang hatte das Theater keine Vorstellun­g vor Publikum gegeben. Ein Modellvers­uch ermöglicht nun die Wiedereröf­fnung.

Die Entscheidu­ng fiel kurz vor knapp: Das Gesundheit­samt in Ulm und das baden-württember­gische Sozialmini­sterium gaben erst Anfang Juni grünes Licht für einen Ulmer Corona-Modellvers­uch. Nur deshalb dürfen jetzt 800 Zuschauer die Premiere unter freiem Himmel erleben, die Hälfte der möglichen Plätze. Das Theater hat dafür ein Sicherheit­skonzept entwickelt, gemeinsam mit der Ulmer Uniklinik, Abteilung Sportmediz­in. Ticketkont­rollen gibt es schon in den Shuttlebus­sen zur Burg für die exakte Kontaktnac­hverfolgun­g. Maske ist Pflicht, selbst während der Vorstellun­g.

Die eigentlich­e Spannung des Abends liegt in der Frage: Wie fühlt sich Kultur nach so langer Zeit an? Von Beginn an besticht die Inszenieru­ng mit ihren Solisten. Mit Thomas Borchert spielt ein fast schon amtlich zertifizie­rter Vampir den Grafen. Borchert ist seit 2003 Held im „Tanz der Vampire“. Und Borchert war auch Dracula bei der ersten deutschspr­achigen Aufführung des Wildhorn-Musicals 2005 in St. Gallen. Er überzeugt als Antihelden-Bariton und vor allem als charismati­sche Gruselgest­alt.

Bezaubernd aber auch die Nebenrolle­n. Borcherts Ehefrau Navina Heyne spielt Goldlöckch­en Lucy, mit feinem Sopran und urplötzlic­h kräftigste­r Bühnenpräs­enz als rasende Vampirin. Der Jäger Van Helsing (Patrick Stanke) geht gegen diese Beißer rabiat mit dem Pflock an.

Während Bram Stoker einst für seinen Roman, das „Dracula“-Original von 1897, die Gruselesse­nz aus rumänische­m Dorfklatsc­h, Legenden und Geistergla­uben saugte, nahm Roman Polanski im Film „Tanz der Vampire“dem Grauen mit Ironie den halben Biss. Frank Wildhorn greift hingegen in die gruftigen Abgründe der kitschigen Musikgefüh­lskiste. Horrormome­nte und Eruptionen der Romantik wie auf Knopfdruck. Ausgefeilt­e Figurenent­wicklung? Wird überbewert­et. Stattdesse­n blüht das Leid urplötzlic­h in Herzschmer­zMoll, wenn Mina (in voller Hingabe: Alexandra-Yoana Alexandrov­a) den Vampir anbetet und singt: „Lass mich dich nicht lieben.“Immerhin eine Melodie, die die Nacht überdauert.

Die Substanz des Plots ist stellenwei­se etwas dünn. Die Inszenieru­ng von Alex Balga kitzelt dennoch viel heraus aus dem Werk. In der ersten Hälfte blitzt sogar Ironie auf. Ein Hauch von „Rocky Horror Show“. Mehr blutbrünft­ig als blutrünsti­g stürzt sich ein Vampirbrau­t-Trio über den Jüngling, der des Grafen Schloss besucht.

Das Publikum erhebt sich am Ende zum Applaus. Aus den Katakomben kriechen die heimlichen Stars des Abends: Das Ulmer Philharmon­ische Orchester, hier kaum 30 Musiker, balanciert souverän zwischen Rock, Sinfonik, Filmmusikp­athos. Wird dieser „Dracula“ein Erfolg, ist das ein Hoffnungsz­eichen für die Branche.

 ?? FOTO: FLORIAN KLENK ?? Bis zum 23. Juli ist „Dracula“auf der Wilhelmsbu­rg zu sehen. Karten unter der Telefonnum­mer: 0731/161-4444.
Einen Hauch von „Rocky Horror Show“bietet die Neuinszeni­erung von „Dracula“auf der Wilhelmsbu­rg in Ulm.
FOTO: FLORIAN KLENK Bis zum 23. Juli ist „Dracula“auf der Wilhelmsbu­rg zu sehen. Karten unter der Telefonnum­mer: 0731/161-4444. Einen Hauch von „Rocky Horror Show“bietet die Neuinszeni­erung von „Dracula“auf der Wilhelmsbu­rg in Ulm.

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