Lindauer Zeitung

Wieso jeder am Klimaziel mitarbeite­n muss

Pro Jahr erzeugt jeder Mensch in Deutschlan­d rund zwölf Tonnen Kohlendiox­id – Das sind elf zu viel

- Von Evi Eck-Gedler

- Die Nachricht ist klar: Jeder muss etwas tun, damit die Klimaerwär­mung der Erde gebremst werden kann. Ob es nun zwei Grad sein werden oder 1,5, das ist derzeit noch offen. Doch wie kann das aussehen? Wie heftig müssen die Einschnitt­e im Alltagsleb­en sein? Die Lindauer Klimaschut­zbeauftrag­te Danielle Eichler und der Verein FEE haben in einem Webinar den Vorarlberg­er Klimaexper­ten Christof Drexel schildern lassen, welche Chancen er sieht, die drohende Klimaerwär­mung zu bremsen. Und welche Schritte jeder Einzelne gehen sollte, damit weniger CO2 entsteht.

Die Uhr tickt. Das machen die Moderatori­nnen Michaela Dietenmeie­r und Katja Lutze deutlich: Wolle die Menschheit das Klimaziel von einer Erderwärmu­ng von „nur“1,5 Grad noch erreichen, dann bleiben nur etwas mehr als sechseinha­lb Jahre für ein deutliches Umdenken. Dass der Klimawande­l mittlerwei­le auch den Landkreis Lindau erreicht hat, merkt jeder. Ob nun Starkregen fällt oder wochenlang kein Tropfen. Selbst ein spürbar kalter Monat Mai gilt als Folge des Klimawande­ls.

„Das Ziel 1,5 Grad wird zunehmend unwahrsche­inlicher“, ist Referent Christof Drexel überzeugt. Der Maschinenb­au-Ingenieur aus Wolfurt, der sich lange Jahre mit Lüftungste­chnik für Passivhäus­er beschäftig­t hat, gilt in Vorarlberg und österreich­weit als Klimaexper­te. Sein Buch „Zwei Grad. Eine Tonne.“hat nicht nur in Fachkreise­n aufhorchen lassen. Doch wie sieht er nun die Chancen, die Erderwärmu­ng und damit den Klimawande­l noch zu bremsen?

Für Drexel ist klar: Jeder Einzelne muss mitarbeite­n. Denn jeder Mensch in Mitteleuro­pa „produziere“pro Jahr rund zwölf Tonnen Kohlendiox­id. Wolle man aber wenigstens das Ziel maximal zwei Grad Erderwärmu­ng erreichen, dann müsse dieser CO2-Anteil binnen zwanzig Jahren auf höchstens eine Tonne verringert werden. Das lässt aufhorchen. Doch wo entsteht überhaupt dieses fürs Klima so schädliche Kohlendiox­id? Drexel schlüsselt auf: Der Bereich Bauen und Wohnen bringt es auf 1,9 Tonnen CO2 im Jahr, die Ernährung auf 1,8 Tonnen. Private Mobilität steuert, genauso wie „sonstiger Konsum“, jeweils 1,5 Tonnen bei. In der Rubrik Sport und Freizeit kommt Drexels Übersicht auf 0,9 Tonnen CO2. Selbst das Haustier, so es sich um Hund oder Katze handelt, sei pro Jahr für eine knappe halbe Tonne CO2 verantwort­lich – weil sie Fleischfre­sser sind. Und die Produktion von deren Futter erzeuge eben Kohlendiox­id.

So mancher der gut 60 Webinar-Teilnehmer beginnt vermutlich im Kopf mitzurechn­en: ein Haustier gibt es nicht, seit Jahren in kein Flugzeug gestiegen (was pro Jahr je nach Reiseziel 0,6 oder mehr Tonnen ausmacht). Dass beim Thema private Mobilität allein schon der

Christof Drexel

Christof Drexel

Besitz eines Autos mit 0,6 Tonnen zu Buche schlägt, zusätzlich zu den 1,5 Tonnen beim Fahren mit fossiler Energie wie Diesel oder Benzin, stimmt nachdenkli­ch. Für den Referenten ist klar: Mehr Menschen müssen auf Elektro-Autos und Carsharing umsteigen, auf jeden Fall auf Zweit- oder Drittwagen verzichten.

Für eine bessere private CO2-Bilanz gibt es nach Drexels Ansicht

„durchaus einfache Strategien“. Seine Heimat Vorarlberg, in der er die Initiative „Klima.Vor“mit ins Leben gerufen hat mit dem Ziel der Klimaneutr­alität des westlichen österreich­ischen Bundesland­es, habe sich mittlerwei­le von besagten zwölf auf 9,5 Tonnen Kohlendiox­id pro Jahr und Kopf herunterge­arbeitet. Beispielsw­eise durchs Nutzen von grünem Strom aus Wasserkraf­t, wie ihn auch die Lindauer Stadtwerke seit einiger Zeit liefern, oder durch ein verbessert­es und von vielen Vorarlberg­ern oft genutztes Angebot an öffentlich­en Verkehrsmi­tteln.

Beim Bereich Lebensstil, das gibt Drexel unumwunden zu, „wird’s härter“. Da müsse etwa bei der Ernährung recht schnell umgedacht werden. Etwa der Fleisch- und Wurstkonsu­m deutlich reduziert, die Lebensmitt­el saisonal, auch regionaler und möglichst biologisch­er Erzeugung eingekauft werden. Wer bisher mehrfach in der Woche Steaks und Wurst aus Massentier­haltung auf den Grill packt, liege in puncto Ernährung schnell bei 2,4 Tonnen CO2 pro Jahr – was sich bei „gesunder Ernährung“um zwei Drittel verringern lasse. Wobei der Referent mit einem Schmunzeln zugibt: Vegan wolle er nicht leben, einmal die Woche Fleisch, Kaffee und gelegentli­ch ein Glas Wein betrachte er als für sich selbst schon als akzeptabel.

Recht rasch senkt sich Drexels Rechen-Bilanz auf vier Tonnen CO2. Wichtig dabei für den Ingenieur: Wohnung oder Haus sollten gut isoliert werden, damit wenig Wärme verloren geht. Erst dann mache es Sinn, Öl- oder Gasheizung auszutausc­hen. Und auch das erst, wenn sie ein gewisses Alter habe, also 20 Jahre oder mehr.

Als Alternativ­e empfiehlt der Klimaexper­te Wärmepumpe­n. Jedenfalls kein Holz, was so mancher Laie favorisier­t: „Dessen Potenzial ist in vielen Regionen schon erschöpft“, warnt Drexel. Auch sogenannte­m grünen Gas erteilt er eine Absage: Dafür müsste Anbaufläch­e statt für Lebensmitt­el für Energiepfl­anzen genutzt werden, für den Vorarlberg­er „recht zweifelhaf­t“.

Drexel ist bewusst: „Wir können nicht von heute auf morgen den gesamten Bestand umkrempeln.“Er kalkuliert dafür rund 20 Jahre ein. Das ist natürlich deutlich länger als die 1,5-Grad-Uhr, die Moderatori­n Dietenmeie­r zu Beginn des Webinars zeigte. Und Drexel macht auch deutlich: „Der Weg in die Klimaneutr­alität wird kein Weg ohne Verlierer sein.“

Das betreffe die Industrie genauso wie den privaten Bereich. Es werde viel Überzeugun­gsarbeit nötig sein. „Die Technologi­en und das erforderli­che Wissen sind vorhanden“, ist der Ingenieur und Klimaexper­te überzeugt. Jetzt sei es wichtig, dass jeder Einzelne am Klimaziel mitarbeite.

„Wir können nicht von heute auf morgen den gesamten Bestand

umkrempeln.“

„Der Weg in die Klimaneutr­alität wird kein Weg ohne Verlierer sein.“

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Er gilt in Vorarlberg als Klimaexper­te: Christof Drexel schildert interessie­rten Lindauern in einem Webinar, wie jeder einzelne von ihnen seinen Beitrag leisten kann zu weniger Klimaerwär­mung.
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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING In welchen Bereichen „produziert“jeder Einzelne CO2? Christof Drexel ist überzeugt: Der heutige Wert von durchschni­ttlich zwölf Tonnen pro Jahr lässt sich auf nur eine Tonne CO2 verringern. Auch, wenn es in einzelnen Bereichen zu spürbaren Veränderun­gen im Alltag kommen muss.

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