Lindauer Zeitung

Sein Herz schlägt für Holz, Klang und Ästhetik

Andreas Ott wollte eigentlich Lehrer werden – Doch dann ging er auf die Geigenbaus­chule

- Von Ralf Lienert

- Vom rohen Stück Holz bis hin zum Aufziehen der Saiten. Nur in ganz wenigen Berufen findet man den Lauf vom Rohmateria­l bis zum Kunstgegen­stand so ausgeprägt wie im Geigenbau. Als einer der Meister im Allgäu gilt Andreas Ott, der seit fünf Jahren in Kempten lebt. In der Lindauer Straße hat er Werkstatt und Wohnung auf einer Ebene: „Das ist auch eine Form von Homeoffice.“Der 48-Jährige ist fasziniert von seinem Handwerk und den Instrument­en, die auf seiner Werkbank landen.

„Natürlich habe ich auch schon einige Stradivari-Geigen in der Hand gehabt, aber hier im Allgäu ist das eher die Ausnahme“, sagt der gebürtige Schwabe. Er kennt die Exemplare, die in der Hoch-Zeit des italienisc­hen Geigenbaus entstanden sind. Namen wie Guarneri, Guadagnini oder Gagliano kommen ihm leicht über die Lippen, deren Meisterwer­ke Vorbild seiner eigenen Arbeiten seien. Dabei ist er selbst ein Meister, dessen Schöpfunge­n auch in Kempten gespielt werden.

Von seiner Werkstatt im ersten Stock aus könnte Ott das geschäftig­e Treiben in der Lindauer Straße verfolgen. Doch sein Herz schlägt für Holz, Lack, Methoden, Ästhetik und Klang. In den hohen Räumen aus dem 19. Jahrhunder­t entstehen in reiner Handarbeit seine Meisterwer­ke. 200 Stunden braucht er vom ersten Bleistifts­trich bis zum fertigen Instrument. Da werden dann Preise ab 12 000 Euro fällig.

Immer wieder fährt Ott nach Mittenwald zu einem Tonholzhän­dler und sucht sich das Holz für den Instrument­enbau aus. Anschließe­nd fertigt er Geigen nach den gleichen Regeln wie seine Vorgänger vor 300 Jahren. So werden die FLöcher mit der Laubsäge ausgesägt und anschließe­nd mit einem „Schnitzer“nachgeschn­itten. Otts Neubauten sind Raritäten, denn sein Kerngeschä­ft sind Restaurier­ung, Reparature­n und Beratung. Und so stehen in seinem Werkverzei­chnis bislang zwölf Geigen, fünf Bratschen und drei Celli. Eine seiner Geigen hängt in seinem Musikzimme­r. Dort ist eine ganze Wand mit Instrument­en zum Ausprobier­en vorhanden. In einem anderen Zimmer hat er Zubehör vom Kinnhalter zur Schulterst­ütze bis zum Bogen.

Andreas Ott hat sich seine jugendlich­e Neugier bewahrt. Er schaut gerne hinter die Kulissen und will wissen, wie etwas funktionie­rt: „Schon als Kind und Jugendlich­er habe ich so ziemlich alle Geräte des elterliche­n Haushaltes zerlegt.“ Auch heute tüftelt er manchmal stundenlan­g nach Lösungen.

Nach dem Abitur studierte Ott Lehramt, beendete das aber nach ein paar Semestern. Die Studienfäc­her Musik, Physik und Biologie waren dann beste Voraussetz­ungen, um bei einem renommiert­en Stuttgarte­r Geigenbaue­r sowie an der Geigenbaus­chule in Mittenwald das Handwerk von Grund auf zu lernen.

Mit 28 Jahren legte er die Prüfung mit Auszeichnu­ng ab. Es folgten 15 Jahre Gesellenze­it bei Pierre Chaubert in der Füssener Altstadt. In den Jahren 2013 bis 2015 organisier­te er den „Treffpunkt Geigenbau“beim Festival „Vielsaitig“.

Ott hat sich bewusst für Kempten entschiede­n: „Ich will in Ruhe arbeiten und das Leben genießen; dazu gehören Radeln und Wandern.“

In seiner Werkstatt mit dem knarrenden Parkettbod­en widmet er sich mit Hingabe alten oder beschädigt­en Instrument­en. Er weiß sich zu helfen, wenn ein Wirbel nicht hält oder der Lack beschädigt ist. In stundenlan­ger Handarbeit haucht er den Geigen wieder Leben ein und lässt sie in neuem Glanz erstrahlen.

Andreas Ott hat auch Erfahrung auf einem weiteren Berufsfeld – dem Bogenbau. Mit der Kenntnis und dem Wissen von 20 Jahren erneuert der 48-jährige Handwerker die Behaarung mit feinem mongolisch­em Pferdehaar oder ersetzt das abgenutzte Daumenlede­r.

Bei so viel Hingabe zum Instrument­enbau liegt es nahe, dass Ott auch selbst musiziert: „Ich kann leider nicht Geige spielen. Aber meine Leidenscha­ft gilt dem E-Bass.“

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FOTO: RALF LIENERT Geigenbaum­eister Andreas Ott in seiner Werkstatt in der Lindauer Straße in Kempten: Dort baut und repariert er Streichins­trumente.

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