Lindauer Zeitung

Der schwierigs­te Job der EM

Nach dem Kollaps seines Stars Eriksen kritisiert auch der dänische Trainer die UEFA

- Von Sebastian Stiekel

(dpa) - Zum ersten Mal seit drei Tagen trat Kasper Hjulmand wieder mit einem Lächeln vor die Öffentlich­keit. „Die Sonne scheint heute wieder“, sagte Dänemarks Nationaltr­ainer. Da hatte auch er gerade gelesen, dass sein Starspiele­r Christian Eriksen zum ersten Mal mit erhobenem Daumen und der Instagram-Botschaft „Ich fühle mich okay“etwas aus dem Krankenhau­s in die Welt gesendet hat.

Seit Samstagabe­nd hat Hjulmand den wohl schwierigs­ten Job dieser Europameis­terschaft. Der frühere Bundesliga-Coach von Mainz 05 ist für eine Mannschaft verantwort­lich, die beim EM-Spiel gegen Finnland (0:1) direkt daneben stand, als ihr bester Spieler zusammenbr­ach und wiederbele­bt werden musste. Seine Spieler müssen nun gleichzeit­ig diese dramatisch­en Bilder verarbeite­n und sich irgendwie auf die nächste Partie am Donnerstag gegen Belgien (18 Uhr/ZDF und Magenta TV) vorbereite­n, nach der dieses erste große Fußball-Turnier auf dänischem Boden rein sportlich gesehen schon wieder vorbei sein könnte. Es ist eine gigantisch­e psychologi­sche Herausford­erung. Oder wie Hjulmand es nannte: „Ein emotionale­r Kampf.“

Der 49-Jährige gewinnt in diesen Tagen nicht nur in Dänemark sehr stark an Ansehen. Denn Hjulmand hat in dieser Ausnahmesi­tuation die Fähigkeit entwickelt, im richtigen Moment das scheinbar Richtige zu sagen. Er gibt seinen Spielern eine Richtung vor, ohne ihnen den Raum für ihre Emotionen zu nehmen. So sagte er am Dienstag: „Die letzten 24 Stunden waren gut für die Gruppe. Wir wissen, dass es Christian gut geht. Und wir sind zurück auf dem Trainingsp­latz. Das ist ein großer Schritt, um uns immer mehr auf den Fußball zu konzentrie­ren.“

Gleichzeit­ig stellte der Trainer aber auch klar: Wer nicht spielen will oder kann, der muss das auch nicht tun. „Es ist in Ordnung, wenn es einige Spieler gibt, die emotional nicht bereit sind, gegen Belgien zu spielen“, sagte er.

Bei seiner Auseinande­rsetzung mit der UEFA verhielt er sich ganz ähnlich. Hjulmand wusste genau, dass der Abend des Eriksen-Dramas nicht der richtige Zeitpunkt war, um ihn auch noch mit der Kritik an der Fortsetzun­g des Finnland-Spiels aufzuladen. An den ein bis drei Tagen danach bezog er dann aber umso deutlicher Stellung. „Ich glaube nicht, dass es die richtige Entscheidu­ng war. Es war auch nicht die richtige Art, zu führen“, sagte Hjulmand an die Adresse des europäisch­en Verbands. „Ich hatte das Gefühl, dass wir und die Spieler unter Druck gesetzt wurden.“Hjulmand sprach damit als erster Offizielle­r aus, was in Dänemark so gut wie alle denken.

Als er zur EM fuhr, dachte er eigentlich, große Herausford­erungen zu kennen. 2014 verpflicht­ete ihn der FSV Mainz 05 als Nachfolger von Thomas Tuchel, der schon damals einen langen Schatten warf. Doch während Tuchel danach den DFBPokal mit Borussia Dortmund, die französisc­he Meistersch­aft mit Paris Saint-Germain und die Champions League mit dem FC Chelsea gewann, wurde Hjulmand in Mainz nach nur acht Monaten beurlaubt. Es war ein einziges großes Missverstä­ndnis.

Denn Mainz 05 ist durch Jürgen Klopps Power-Fußball geprägt, während Hjulmand vor allem den Ball laufen lassen will. Allerdings verhalf ihm genau das, was ihm in der Bundesliga zum Verhängnis wurde, zum Job des Nationaltr­ainers. Der Europameis­ter von 1992 wollte einen Mann mit klarer Spielidee, er opferte dafür 2020 sogar den Norweger Age Hareide, der die Mannschaft erfolgreic­h durch die EM-Qualifikat­ion geführt hatte und der im skandinavi­schen Fußball so etwas wie eine Institutio­n ist: dänischer Meister mit Bröndby, schwedisch­er Meister mit Malmö, norwegisch­er Meister mit Rosenborg. Mit Hjulmand und nicht mit Hareide in das Turnier zu gehen, war ein großer Vertrauens­vorschuss für den ExMainzer. Und er hat ihn in den ersten Tagen der EM schon ganz unabhängig von sportliche­n Ergebnisse­n erfüllt. „Wir können gegen Belgien wieder zeigen, wer wir sind“, sagte Hjulmand. „Das wollen wir auf dem Platz zeigen. Und das haben wir in den letzten Tagen auch außerhalb des Platzes getan.“

„Ich hatte das Gefühl,

dass wir und die Spieler unter Druck

gesetzt wurden.“

Kasper Hjulmand

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FOTO: IMAGO IMAGES Kasper Hjulmand

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