Katastrophe Starkregen
Überflutete Straßen, zerstörte Häuser und sogar Todesopfer – Immer wieder erschüttern heftige Unwetter den Südwesten – Forscher sagen: Die Häufigkeit wird zunehmen
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- Die Feuerwehr hat ganze Arbeit geleistet. Nur noch Schlamm, Kieselsteine und ein paar Pfützen sind zu sehen. Doch ein dunkler Strich, der sich rundherum an den Kellerwänden bei Gartenbau Friedrich in Friedrichshafen zieht, zeigt: Vor wenigen Tagen stand hier das Wasser noch knapp auf Kopfhöhe. Es ist eine Katastrophe, aber längst nicht die schlimmste, die das erste Juniwochenende mit sich brachte. Heftige Gewitter haben wie hier im ganzen Südwesten Keller, Häuser, Straßen und komplette Ortschaften in Regen, Schlamm und Hagel ertränkt. Neben Sachschaden und Verletzten waren Tote zu beklagen. Forscher sind sich sicher: Solche schweren Starkregenfälle werden die Region künftig noch häufiger treffen.
Gerhard Friedrich sieht sich in den dunklen Kellerräumen um und seufzt. Die Luft ist schwer von all der Feuchtigkeit, in den Wandregalen stapeln sich Werkzeuge, Kisten und Eimer. Vieles davon glänzt noch nass. „Das ging einfach richtig schnell“, sagt der Inhaber des gleichnamigen Gartenbaucenters im Friedrichshafener Teilort Unterraderach. Von dem Moment an, als am Dienstagabend der Vorwoche der Regen einsetzte, seien „vielleicht 20 Minuten vergangen, bis das Wasser überall hereinkam“. Mit Besen und einer kleinen Pumpe versuchten Friedrich und seine Mitarbeiter die Fluten aufzuhalten – ein Kampf gegen Windmühlen. Erst die Feuerwehr konnte in stundenlanger Arbeit den Keller und ein Lager auspumpen, das ebenfalls überschwemmt wurde.
Wie hoch die Schäden sind, sei noch schwer abzuschätzen, meint Friedrich. Das Wichtigste sei, dass niemand verletzt wurde. An anderen Orten hatten die Menschen weniger Glück im Unglück. In Ellwangen, einem kleinen Teilort von Rot an der Rot im Kreis Biberach, ertrank ein 65-Jähriger in seiner Wohnung. DLRG-Taucher konnten nur noch seinen Leichnam bergen.
Nachbarn sprachen später von einer zerstörerischen Wut. Niemand habe sich vorstellen können, mit welcher Gewalt die Wassermassen binnen Sekunden in die Häuser schossen. Vier Tage vor den Gewittern am Bodensee stürzten Fluten aus einem übergelaufenen Bach in Stuttgart ein Baugerüst um. Drei Arbeiter wurden mitgerissen. Einer wurde von der Feuerwehr nahe der Unglücksstelle gerettet, der zweite trieb bis in den Neckar, wo ihn Helfer an Bord eines Boots ziehen konnten. Beide wurden verletzt. Der Dritte, ein 65-jähriger Mann, starb laut Polizeibericht noch an der Baustelle.
Es sind Schreckensnachrichten, die sich in den vergangenen Jahren häufen. Eine Sturzflut verwüstete Ende Mai 2016 das Örtchen Braunsbach bei Schwäbisch Hall – Medien aus ganz Deutschland berichteten tagelang von dem Unglück. Fast jährlich gleichen sich seither die Schlagzeilen: Schwere Unwetter, Starkregen und Hagel halten Feuerwehren und Rettungsdienste auf Trab. Im vergangenen Jahr verursachten solche Naturgefahren in Baden-Württemberg einen Schaden in Höhe von 293 Millionen Euro, rechnete der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) vor. Deutschlandweit schlugen die Unglücke mit 1,95 Milliarden Euro zu Buche.
„Starkniederschlagsereignisse in Deutschland haben in den letzten 50 Jahren tatsächlich zugenommen und sind schwerer geworden“, sagt Michael Kunz, Meteorologe und Klimaforscher am Karlsruher Institut für Technik (KIT). Gemeinsam mit verschiedenen Universitäten
Im Landkreis Biberach setzte der Regen ganze Ortschaften unter Wasser.
und der Helmholtz-Gesellschaft forschen Karlsruher Meteorologen an Ursachen, Folgen und Vorhersagemöglichkeiten für solche Unwetter. „Natürlich ist es der Klimawandel“, sagt Kunz. Die Zunahme der Temperaturen sorge für eine Zunahme von Feuchtigkeit. „Das ist ein exponentieller Zusammenhang“, erklärt der Experte für extreme Wetterlagen. Das bedeutet: Jeder kleine Anstieg der Temperatur führt zu einem immer größeren Anstieg der Feuchtigkeit um jeweils ein Vielfaches der vorherigen Zunahme. „Und Feuchtigkeit ist die Energie, die Gewitter brauchen“, sagt Kunz. Kracht es richtig, werden davon ungeheure Mengen frei. „Bei extremen Gewittern, die es etwa alle zehn Jahre gibt, entsprechen die Energiemengen denen von über
1000 Hiroshima-Bomben“, so der Meteorologe.
Besonders ein Phänomen bei den Ursachen bereitet den Forschern noch Kopfzerbrechen: sogenannte blockierende Wetterlagen. Dabei bleibt ein Hochdruckgebiet lange an einem Ort, es herrscht kaum Wind. „Bei trockener Luft sorgt das für eine Hitzewelle“, erklärt Kunz. „Bei feuchter Luft entladen sich dann aber viele Gewitter.“Für sich gesehen seien diese oft gar nicht sehr schwer, doch: Durch den geringen Wind bleiben sie an Ort und Stelle, aller Regen und Hagel fällt auf ein kleines Gebiet. Ob auch diese blockierenden Wetterlagen durch den Klimawandel häufiger auftreten, erforschen die Meteorologen derzeit. Ein weiterer Schwerpunkt der
Arbeit von Kunz und seinen Forscherkolleginnen und -kollegen liegt in der Verbesserung der Vorhersagen. Besonders Starkregenvorfälle treffen die Menschen quasi ohne Vorwarnung. Bei der Entstehung spielten so viele Faktoren eine Rolle, dass nur durch extrem viele und genaue Messungen eine Prognose möglich sei, sagt Kunz. „Das hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Doch das Problem ist, dass Gewitter sehr chaotisch sind.“Noch gibt es viel zu erforschen. Ein bis Ende Juli laufendes Messexperiment unter Federführung des KIT soll unter anderem die Frage klären, warum es in der Region südlich von Stuttgart deutlich häufiger Gewitter gibt als in Karlsruhe.
Die am Montag im Auftrag der Bundesregierung veröffentlichte Klimawirkungs- und Risikoanalyse 2021 für Deutschland prognostiziert für die Zukunft mehr und höhere Schäden. Besonders im Südwesten, so die Autoren, sei häufiger mit klimatischen Extremereignissen zu rechnen. An den Untersuchungen waren Expertinnen und Experten aus 25 Bundesbehörden beteiligt.
Dass die Unwetter so plötzlich auftreten, macht sie für Betroffene umso gefährlicher. Trotzdem gibt es Tipps, was man tun kann, wenn Wassermassen Straßen und Häuser fluten. Kunz, der am KIT auch Sprecher des Zentrums für Naturgefahren und Risikomanagement ist, rät zum Handeln. „Das Wichtigste ist, sich klarzumachen, dass jeder betroffen sein kann“, sagt er. Mit diesem Bewusstsein könnten schon im
Vorfeld viele Schäden verhindert werden. „Selbst kleine Barrieren auf dem Grundstück können das Wasser oft davon abhalten, in den Keller zu laufen.“Da bei richtigem Starkregen auch die Kanalisationssysteme überlaufen könnten, komme das Wasser allerdings nicht immer nur von außen. Die Abhilfe: Rücklaufsperren in den Abwasserleitungen. Kunz rät außerdem dazu, keine
Wertsachen im Keller zu lagern.
Gibt es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen Überschwemmungen, solle man sich einen hohen Punkt suchen, also zum Beispiel ins Obergeschoss flüchten, so Kunz. Und im Notfall Hab und Gut opfern. „Das gilt besonders für Autos. Hier herrscht akute Lebensgefahr“, warnt er. „Das wird völlig unterschätzt. Viele wollen ihr Fahrzeug noch schnell wegfahren, doch es reicht schon wenig Wasser, um ein Auto mitzureißen – im schlimmsten Fall in einen angeschwollenen Fluss oder Bach.“Überhaupt gelte: Abstand halten zu Gewässern. Schnell würden sie zu tödlichen Fallen. „Das geht von jetzt auf nachher, man hat nur wenig Zeit. Es gab Fälle, in denen der Pegel innerhalb von Sekunden von zehn Zentimetern auf drei Meter anstieg.“
Sind die Fluten wieder abgeflaut, hinterlassen sie regelmäßig Bilder von Verwüstungen. Häuser und Straßenzüge sind zerstört, Bäume entwurzelt und Autos zerquetscht. Die Schäden sind immens. Bleibt die Frage: Wer zahlt dafür?
„Wir werden uns an solche Bilder gewöhnen müssen“, sagt Raimund Haser (CDU), Landtagsabgeordneter im Wahlkreis WangenIllertal. „Das ist eine Folge des Klimawandels.“Gleich dreimal ist es in den vergangenen Monaten nach Unwettern zu einem Hangrutsch gekommen – allein in seinem Wahlkreis. Oft ist noch unklar, wer für die beträchtlichen Schäden an Wohnhäusern und für die Sicherung der Hänge aufkommen soll. „Man kann sich gegen vieles versichern“, sagt Haser. „Aber eben nicht gegen alles.“Er fordert eine Art Landesfonds, der dann einspringt, wenn Familien oder Gemeinden nach schweren Unwettern drohen, auf den teils immensen, nicht versicherbaren Kosten sitzenzubleiben. Andrea Schwarz, Expertin für Bevölkerungsschutz beim grünen Koalitionspartner, bestätigt die Probleme. Die Erfahrungen der Vergangenheit hätten gezeigt, „dass Kommunen bei der Bewältigung der Unwetterfolgen an ihre Grenzen stoßen oder mit der Schadensbehebung finanziell überfordert sind.“
Das Problem: Das Land kann im Katastrophenfall zwar Sondermittel bereitstellen – aber nur dann, wenn ein Unwetterereignis landesweite Tragweite hat. Diese Regel griff bei der Sturzflut von Braunsbach im Landkreis Schwäbisch Hall. Wie das Umweltministerium mitteilt, flossen seither 47 Millionen Euro für den Wiederaufbau. Sind die Unwetter aber lokal, kann das Land nicht viel tun. „Genau dann wäre ein solcher Fonds, den wir regelmäßig füllen, sinnvoll“, sagt Haser, „Dann brauchen wir den Katastrophenfall nicht und können doch rasch und flexibel helfen.“
Seit einigen Jahren setzen immer mehr Gemeinden auf Prävention. Wie das Landesumweltministerium mitteilt, sind bislang 51 kommunale Starkregenkonzepte im Land fertiggestellt, für weitere 163 seien die Fördermittel bewilligt und sie befänden sich in Bearbeitung. Acht Programme sind, Stand Juni, beantragt. Die Konzepte umfassen Risikoanalysen, aber auch beispielsweise die Errichtung von Dämmen oder Umleitung von Gewässern. Für den Hochwasserschutz an landeseigenen Gewässern stellt das Land jährlich Mittel zur Verfügung – in diesem Jahr sind es nach Angaben des Ministeriums rund 83,5 Millionen Euro.
Zumindest in Baden-Württemberg sind Hausbesitzer bei Hagel, Sturm und Starkregen in den meisten Fällen finanziell fein raus. Rund 95 Prozent der Wohngebäude seien gegen solche Elementar- und Naturschäden versichert, sagt eine Sprecherin des Versicherungsverbands GDV. Grundlage dafür ist ein Gesetz, das bis 1994 eine solche Versicherung beim Bau zwingend erforderte. Auch bei Verkäufen sei der Schutz in den allermeisten Fällen übernommen worden, so die Sprecherin. Im Bundesdurchschnitt sind laut GDV nur 38 Prozent der Wohngebäude so versichert, in Bayern laut Verbraucherportal der Bayerischen Staatsregierung nur 34 Prozent.
Auch die Schäden in den Kellerräumen im Gartencenter Friedrich in Unterraderach sind versichert, sagt Inhaber Gerhard Friedrich. Er ist zuversichtlich, dass das Geld bezahlt wird. Dafür hat er extra die Versicherung gewechselt. Denn im Jahr 2017 standen die Keller schon einmal unter Wasser. 140 Liter seien damals innerhalb von zwei Stunden auf den Quadratmeter niedergegangen, erinnert sich Friedrich. Damals habe seine alte Versicherung zunächst partout nicht zahlen wollen. „Das war ein drei Jahre langer Kampf“, sagt er. Am Ende hatte die Gesellschaft ein Einsehen und bezahlte 50 000 Euro. Doch nicht nur die Versicherung hat Friedrich gewechselt. Aufgrund der Erfahrungen verlagerte er die Elektronik aus dem Keller, ein tonnenschwerer Öltank, der sich gelöst und Rohrleitungen an der Kellerdecke zerquetscht hatte, ist jetzt befestigt. Friedrich ist sich sicher: Es werden nicht die letzten Maßnahmen sein. „Ich fürchte, es wird noch mehr solcher Unwetter geben“, sagt er. Der Klimawandel werde ja nicht weniger. Vorerst will er jetzt die Kellerfenster zumauern lassen, durch die die Regenmassen eindrangen.