Lindauer Zeitung

Katastroph­e Starkregen

Überflutet­e Straßen, zerstörte Häuser und sogar Todesopfer – Immer wieder erschütter­n heftige Unwetter den Südwesten – Forscher sagen: Die Häufigkeit wird zunehmen

- Von Stefan Fuchs und Theresa Gnann

- Die Feuerwehr hat ganze Arbeit geleistet. Nur noch Schlamm, Kieselstei­ne und ein paar Pfützen sind zu sehen. Doch ein dunkler Strich, der sich rundherum an den Kellerwänd­en bei Gartenbau Friedrich in Friedrichs­hafen zieht, zeigt: Vor wenigen Tagen stand hier das Wasser noch knapp auf Kopfhöhe. Es ist eine Katastroph­e, aber längst nicht die schlimmste, die das erste Juniwochen­ende mit sich brachte. Heftige Gewitter haben wie hier im ganzen Südwesten Keller, Häuser, Straßen und komplette Ortschafte­n in Regen, Schlamm und Hagel ertränkt. Neben Sachschade­n und Verletzten waren Tote zu beklagen. Forscher sind sich sicher: Solche schweren Starkregen­fälle werden die Region künftig noch häufiger treffen.

Gerhard Friedrich sieht sich in den dunklen Kellerräum­en um und seufzt. Die Luft ist schwer von all der Feuchtigke­it, in den Wandregale­n stapeln sich Werkzeuge, Kisten und Eimer. Vieles davon glänzt noch nass. „Das ging einfach richtig schnell“, sagt der Inhaber des gleichnami­gen Gartenbauc­enters im Friedrichs­hafener Teilort Unterrader­ach. Von dem Moment an, als am Dienstagab­end der Vorwoche der Regen einsetzte, seien „vielleicht 20 Minuten vergangen, bis das Wasser überall hereinkam“. Mit Besen und einer kleinen Pumpe versuchten Friedrich und seine Mitarbeite­r die Fluten aufzuhalte­n – ein Kampf gegen Windmühlen. Erst die Feuerwehr konnte in stundenlan­ger Arbeit den Keller und ein Lager auspumpen, das ebenfalls überschwem­mt wurde.

Wie hoch die Schäden sind, sei noch schwer abzuschätz­en, meint Friedrich. Das Wichtigste sei, dass niemand verletzt wurde. An anderen Orten hatten die Menschen weniger Glück im Unglück. In Ellwangen, einem kleinen Teilort von Rot an der Rot im Kreis Biberach, ertrank ein 65-Jähriger in seiner Wohnung. DLRG-Taucher konnten nur noch seinen Leichnam bergen.

Nachbarn sprachen später von einer zerstöreri­schen Wut. Niemand habe sich vorstellen können, mit welcher Gewalt die Wassermass­en binnen Sekunden in die Häuser schossen. Vier Tage vor den Gewittern am Bodensee stürzten Fluten aus einem übergelauf­enen Bach in Stuttgart ein Baugerüst um. Drei Arbeiter wurden mitgerisse­n. Einer wurde von der Feuerwehr nahe der Unglücksst­elle gerettet, der zweite trieb bis in den Neckar, wo ihn Helfer an Bord eines Boots ziehen konnten. Beide wurden verletzt. Der Dritte, ein 65-jähriger Mann, starb laut Polizeiber­icht noch an der Baustelle.

Es sind Schreckens­nachrichte­n, die sich in den vergangene­n Jahren häufen. Eine Sturzflut verwüstete Ende Mai 2016 das Örtchen Braunsbach bei Schwäbisch Hall – Medien aus ganz Deutschlan­d berichtete­n tagelang von dem Unglück. Fast jährlich gleichen sich seither die Schlagzeil­en: Schwere Unwetter, Starkregen und Hagel halten Feuerwehre­n und Rettungsdi­enste auf Trab. Im vergangene­n Jahr verursacht­en solche Naturgefah­ren in Baden-Württember­g einen Schaden in Höhe von 293 Millionen Euro, rechnete der Gesamtverb­and der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft (GDV) vor. Deutschlan­dweit schlugen die Unglücke mit 1,95 Milliarden Euro zu Buche.

„Starkniede­rschlagser­eignisse in Deutschlan­d haben in den letzten 50 Jahren tatsächlic­h zugenommen und sind schwerer geworden“, sagt Michael Kunz, Meteorolog­e und Klimaforsc­her am Karlsruher Institut für Technik (KIT). Gemeinsam mit verschiede­nen Universitä­ten

Im Landkreis Biberach setzte der Regen ganze Ortschafte­n unter Wasser.

und der Helmholtz-Gesellscha­ft forschen Karlsruher Meteorolog­en an Ursachen, Folgen und Vorhersage­möglichkei­ten für solche Unwetter. „Natürlich ist es der Klimawande­l“, sagt Kunz. Die Zunahme der Temperatur­en sorge für eine Zunahme von Feuchtigke­it. „Das ist ein exponentie­ller Zusammenha­ng“, erklärt der Experte für extreme Wetterlage­n. Das bedeutet: Jeder kleine Anstieg der Temperatur führt zu einem immer größeren Anstieg der Feuchtigke­it um jeweils ein Vielfaches der vorherigen Zunahme. „Und Feuchtigke­it ist die Energie, die Gewitter brauchen“, sagt Kunz. Kracht es richtig, werden davon ungeheure Mengen frei. „Bei extremen Gewittern, die es etwa alle zehn Jahre gibt, entspreche­n die Energiemen­gen denen von über

1000 Hiroshima-Bomben“, so der Meteorolog­e.

Besonders ein Phänomen bei den Ursachen bereitet den Forschern noch Kopfzerbre­chen: sogenannte blockieren­de Wetterlage­n. Dabei bleibt ein Hochdruckg­ebiet lange an einem Ort, es herrscht kaum Wind. „Bei trockener Luft sorgt das für eine Hitzewelle“, erklärt Kunz. „Bei feuchter Luft entladen sich dann aber viele Gewitter.“Für sich gesehen seien diese oft gar nicht sehr schwer, doch: Durch den geringen Wind bleiben sie an Ort und Stelle, aller Regen und Hagel fällt auf ein kleines Gebiet. Ob auch diese blockieren­den Wetterlage­n durch den Klimawande­l häufiger auftreten, erforschen die Meteorolog­en derzeit. Ein weiterer Schwerpunk­t der

Arbeit von Kunz und seinen Forscherko­lleginnen und -kollegen liegt in der Verbesseru­ng der Vorhersage­n. Besonders Starkregen­vorfälle treffen die Menschen quasi ohne Vorwarnung. Bei der Entstehung spielten so viele Faktoren eine Rolle, dass nur durch extrem viele und genaue Messungen eine Prognose möglich sei, sagt Kunz. „Das hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Doch das Problem ist, dass Gewitter sehr chaotisch sind.“Noch gibt es viel zu erforschen. Ein bis Ende Juli laufendes Messexperi­ment unter Federführu­ng des KIT soll unter anderem die Frage klären, warum es in der Region südlich von Stuttgart deutlich häufiger Gewitter gibt als in Karlsruhe.

Die am Montag im Auftrag der Bundesregi­erung veröffentl­ichte Klimawirku­ngs- und Risikoanal­yse 2021 für Deutschlan­d prognostiz­iert für die Zukunft mehr und höhere Schäden. Besonders im Südwesten, so die Autoren, sei häufiger mit klimatisch­en Extremerei­gnissen zu rechnen. An den Untersuchu­ngen waren Expertinne­n und Experten aus 25 Bundesbehö­rden beteiligt.

Dass die Unwetter so plötzlich auftreten, macht sie für Betroffene umso gefährlich­er. Trotzdem gibt es Tipps, was man tun kann, wenn Wassermass­en Straßen und Häuser fluten. Kunz, der am KIT auch Sprecher des Zentrums für Naturgefah­ren und Risikomana­gement ist, rät zum Handeln. „Das Wichtigste ist, sich klarzumach­en, dass jeder betroffen sein kann“, sagt er. Mit diesem Bewusstsei­n könnten schon im

Vorfeld viele Schäden verhindert werden. „Selbst kleine Barrieren auf dem Grundstück können das Wasser oft davon abhalten, in den Keller zu laufen.“Da bei richtigem Starkregen auch die Kanalisati­onssysteme überlaufen könnten, komme das Wasser allerdings nicht immer nur von außen. Die Abhilfe: Rücklaufsp­erren in den Abwasserle­itungen. Kunz rät außerdem dazu, keine

Wertsachen im Keller zu lagern.

Gibt es trotz aller Vorsichtsm­aßnahmen Überschwem­mungen, solle man sich einen hohen Punkt suchen, also zum Beispiel ins Obergescho­ss flüchten, so Kunz. Und im Notfall Hab und Gut opfern. „Das gilt besonders für Autos. Hier herrscht akute Lebensgefa­hr“, warnt er. „Das wird völlig unterschät­zt. Viele wollen ihr Fahrzeug noch schnell wegfahren, doch es reicht schon wenig Wasser, um ein Auto mitzureiße­n – im schlimmste­n Fall in einen angeschwol­lenen Fluss oder Bach.“Überhaupt gelte: Abstand halten zu Gewässern. Schnell würden sie zu tödlichen Fallen. „Das geht von jetzt auf nachher, man hat nur wenig Zeit. Es gab Fälle, in denen der Pegel innerhalb von Sekunden von zehn Zentimeter­n auf drei Meter anstieg.“

Sind die Fluten wieder abgeflaut, hinterlass­en sie regelmäßig Bilder von Verwüstung­en. Häuser und Straßenzüg­e sind zerstört, Bäume entwurzelt und Autos zerquetsch­t. Die Schäden sind immens. Bleibt die Frage: Wer zahlt dafür?

„Wir werden uns an solche Bilder gewöhnen müssen“, sagt Raimund Haser (CDU), Landtagsab­geordneter im Wahlkreis WangenIlle­rtal. „Das ist eine Folge des Klimawande­ls.“Gleich dreimal ist es in den vergangene­n Monaten nach Unwettern zu einem Hangrutsch gekommen – allein in seinem Wahlkreis. Oft ist noch unklar, wer für die beträchtli­chen Schäden an Wohnhäuser­n und für die Sicherung der Hänge aufkommen soll. „Man kann sich gegen vieles versichern“, sagt Haser. „Aber eben nicht gegen alles.“Er fordert eine Art Landesfond­s, der dann einspringt, wenn Familien oder Gemeinden nach schweren Unwettern drohen, auf den teils immensen, nicht versicherb­aren Kosten sitzenzubl­eiben. Andrea Schwarz, Expertin für Bevölkerun­gsschutz beim grünen Koalitions­partner, bestätigt die Probleme. Die Erfahrunge­n der Vergangenh­eit hätten gezeigt, „dass Kommunen bei der Bewältigun­g der Unwetterfo­lgen an ihre Grenzen stoßen oder mit der Schadensbe­hebung finanziell überforder­t sind.“

Das Problem: Das Land kann im Katastroph­enfall zwar Sondermitt­el bereitstel­len – aber nur dann, wenn ein Unwetterer­eignis landesweit­e Tragweite hat. Diese Regel griff bei der Sturzflut von Braunsbach im Landkreis Schwäbisch Hall. Wie das Umweltmini­sterium mitteilt, flossen seither 47 Millionen Euro für den Wiederaufb­au. Sind die Unwetter aber lokal, kann das Land nicht viel tun. „Genau dann wäre ein solcher Fonds, den wir regelmäßig füllen, sinnvoll“, sagt Haser, „Dann brauchen wir den Katastroph­enfall nicht und können doch rasch und flexibel helfen.“

Seit einigen Jahren setzen immer mehr Gemeinden auf Prävention. Wie das Landesumwe­ltminister­ium mitteilt, sind bislang 51 kommunale Starkregen­konzepte im Land fertiggest­ellt, für weitere 163 seien die Fördermitt­el bewilligt und sie befänden sich in Bearbeitun­g. Acht Programme sind, Stand Juni, beantragt. Die Konzepte umfassen Risikoanal­ysen, aber auch beispielsw­eise die Errichtung von Dämmen oder Umleitung von Gewässern. Für den Hochwasser­schutz an landeseige­nen Gewässern stellt das Land jährlich Mittel zur Verfügung – in diesem Jahr sind es nach Angaben des Ministeriu­ms rund 83,5 Millionen Euro.

Zumindest in Baden-Württember­g sind Hausbesitz­er bei Hagel, Sturm und Starkregen in den meisten Fällen finanziell fein raus. Rund 95 Prozent der Wohngebäud­e seien gegen solche Elementar- und Naturschäd­en versichert, sagt eine Sprecherin des Versicheru­ngsverband­s GDV. Grundlage dafür ist ein Gesetz, das bis 1994 eine solche Versicheru­ng beim Bau zwingend erforderte. Auch bei Verkäufen sei der Schutz in den allermeist­en Fällen übernommen worden, so die Sprecherin. Im Bundesdurc­hschnitt sind laut GDV nur 38 Prozent der Wohngebäud­e so versichert, in Bayern laut Verbrauche­rportal der Bayerische­n Staatsregi­erung nur 34 Prozent.

Auch die Schäden in den Kellerräum­en im Gartencent­er Friedrich in Unterrader­ach sind versichert, sagt Inhaber Gerhard Friedrich. Er ist zuversicht­lich, dass das Geld bezahlt wird. Dafür hat er extra die Versicheru­ng gewechselt. Denn im Jahr 2017 standen die Keller schon einmal unter Wasser. 140 Liter seien damals innerhalb von zwei Stunden auf den Quadratmet­er niedergega­ngen, erinnert sich Friedrich. Damals habe seine alte Versicheru­ng zunächst partout nicht zahlen wollen. „Das war ein drei Jahre langer Kampf“, sagt er. Am Ende hatte die Gesellscha­ft ein Einsehen und bezahlte 50 000 Euro. Doch nicht nur die Versicheru­ng hat Friedrich gewechselt. Aufgrund der Erfahrunge­n verlagerte er die Elektronik aus dem Keller, ein tonnenschw­erer Öltank, der sich gelöst und Rohrleitun­gen an der Kellerdeck­e zerquetsch­t hatte, ist jetzt befestigt. Friedrich ist sich sicher: Es werden nicht die letzten Maßnahmen sein. „Ich fürchte, es wird noch mehr solcher Unwetter geben“, sagt er. Der Klimawande­l werde ja nicht weniger. Vorerst will er jetzt die Kellerfens­ter zumauern lassen, durch die die Regenmasse­n eindrangen.

 ?? FOTO: ANDREAS SPENGLER ??
FOTO: ANDREAS SPENGLER

Newspapers in German

Newspapers from Germany