Lindauer Zeitung

Sommer reicht nicht als Corona-Schutz

Inzidenzen sinken weiter – Forscher warnen aber vor infektiöse­ren neuen Virusvaria­nten

- Von Hajo Zenker

- Von Erkältungs­viren kennen wir das: Sie verbreiten sich besser in der kalten Jahreszeit. Das nennt sich dann Saisonalit­ät. Die ist, so das Robert-Koch-Institut (RKI), in unterschie­dlichen Klimazonen unterschie­dlich stark ausgeprägt: Während in Europa stärkere saisonale Effekte beobachtet würden, ließen sich in (sub-)tropischen Regionen weniger starke Unterschie­de feststelle­n. Aber wie ist das bei Corona? Die Infektions­zahlen in Deutschlan­d sinken gleichzeit­ig mit den steigenden Temperatur­en. Gibt es einen Zusammenha­ng?

Sars-CoV-2 als neuer Erreger traf auf eine Menschheit, die noch keinerlei Abwehrkräf­te hatte, womit sich unabhängig von der Jahreszeit für dieses Coronaviru­s gute Ausbreitun­gsmöglichk­eiten boten. Dennoch beeinfluss­t laut RKI das Zusammensp­iel von Faktoren, welche die Saisonalit­ät bei anderen Viren bedingen, „wahrschein­lich“auch den Verlauf der Sars-CoV-2-Dynamik – etwa Temperatur, die UV-Strahlung der Sonne, Wind und Luftfeucht­igkeit. Dazu kommt natürlich, dass bei schönem Wetter die Menschen sich häufig im Freien aufhalten, wo eine Ansteckung ungleich schwerer erfolgen kann als in Innenräume­n.

Und selbst die Tatsache, dass die Sonne für die Bildung von Vitamin D im Körper sorgt und damit die Widerstand­sfähigkeit stärkt, spielt eine Rolle. Womit laut RKI „die Übertragun­gsdynamik im Winter tendenziel­l stärker und im Sommer etwas abgeschwäc­hter“sei. Die Johns Hopkins University in Baltimore hat Daten aus 50 Ländern der Nordhalbku­gel ausgewerte­t mit dem Ergebnis, dass 2020 dort mit einer Erhöhung der Tagestiefs­ttemperatu­r eine Abnahme der Virusübert­ragbarkeit einherging. Das ähnele dem Verhalten eines saisonalen Atemwegsvi­rus. Diese Erkenntnis könne helfen, meinen die Wissenscha­ftler, um Lockerunge­n von Corona-Maßnahmen zu planen und sich gleichzeit­ig auf den Zeitpunkt eines möglichen Wiederaufl­ebens der Pandemie in kühleren Monaten vorzuberei­ten. Eine von der US-Regierung in Auftrag gegebene Studie hatte zudem gezeigt, dass das Überleben von Sars-Cov-2 stark an der Ultraviole­ttstrahlun­g hängt: Demnach werden im Frühjahr im Schnitt 90 Prozent der Coronavire­n in 26 Minuten durch diesen Teil des Sonnenlich­ts zerstört. Im Sommer dauert das nur noch neun Minuten, im Herbst und Winter aber 74 Minuten. Selbst wenn sie nicht komplett zerstört werden, kann UV-Strahlung das Virus als Gefahr ausschalte­n. Laut der Virologin Stephanie Pfänder von der Ruhr-Universitä­t Bochum schädigen die Sonnenstra­hlen die genetische Informatio­n der Viren, sie sind dann nicht mehr infektiös. Dazu kommt die Temperatur: Die Virushülle ist laut dem Virologen Ulf Dittmer von der Uniklinik Essen im Freien bei zehn Grad Celsius besonders stabil. Je wärmer es werde, desto mehr nehme die Stabilität ab. Durch Wärme veränderte­n sich Fettmolekü­le

Die Delta getaufte Virusversi­on ist deutlich ansteckend­er als bisherige. In Großbritan­nien, wo Delta neun von zehn Neuinfekti­onen ausmacht, geht Gesundheit­sminister Matt Hancock davon aus, dass diese um 40 Prozent infektiöse­r ist als bisherige Variante. Der Immunologe Carsten Watzl von der TU Dortmund geht sogar davon aus, dass sie um 60 Prozent ansteckend­er sei. Gleichzeit­ig sorgt

in der Hülle so, dass sie platzen könne. Auch eine Studie aus Zypern legt nahe, dass die Viruskonze­ntration bei größerer Hitze abnimmt.

Eine Rolle spielt zudem auch die Luftfeucht­igkeit. Liegt diese unter 40 Prozent, so das Leibniz-Institut für Troposphär­enforschun­g in Leipzig, nehmen die Viren weniger Wasser auf, sinken daher nicht so schnell zu Boden und können eher von gesunden Menschen eingeatmet werden. Zudem würden bei trockener Luft die Nasenschle­imhäute trockener und damit durchlässi­ger für Viren. Auf der Internetse­ite wetter.de kann

Delta für ein veränderte­s Krankheits­bild: Laut dem King's College London berichten Betroffene über Kopfschmer­zen, eine laufende Nase und eine raue Kehle. Der Verlust von Geruchs- und Geschmacks­sinn sei weniger anzutreffe­n. Laut einer neuen Studie aus Schottland verdoppelt eine Infektion mit Delta das Risiko, im Krankenhau­s behandelt werden zu müssen. Die Inzidenz liegt in Großbritan­nien wieder bei man sich denn auch anschauen, wie schnell in der eigenen Region bei der aktuellen Wetterlage – Temperatur, Sonneneins­trahlung, Luftfeucht­igkeit – die Viren an der frischen Luft zerfallen. Berechnet wird dabei, wie viele Stunden es dauert, bis 99 Prozent der Viren abgestorbe­n sind. Die Ergebnisse liegen dabei dann allerdings höher als bei der US-Studie nur zur UV-Strahlung: Im günstigste­n Fall mit viel Sonne und Hitze geht das laut der Seite in weniger als einer Stunde. Es könne aber bei vielen Wolken und kühleren Temperatur­en auch drei Stunden und mehr dauern. Saisonalit­ät ist also eine komplexe Angelegenh­eit.

Und wird aktuell vielleicht sogar von den Mutationen ausgebrems­t, die aus fernen Ländern stammen. Zwar werde es noch eine „gewisse Saisonalit­ät“geben, meint Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Prävention­sforschung und Epidemiolo­gie in Bremen. Jedoch könnte diese „durch die hohe Infektiosi­tät der Virusvaria­nten überlaufen werden“. Auch der Virologe Martin Stürmer von der Universitä­t Frankfurt/Main geht davon aus, dass die zuerst in Brasilien, Südafrika und Indien aufgetauch­ten Mutanten, wenn sie sich deutlich effektiver verbreiten können, „das auch bei warmem Wetter tun werden“. Und das sei ebenfalls für Deutschlan­d gültig. Allein auf das Wetter zu setzen, um unbeschade­t durch die kommenden Monate zu kommen, wäre also falsch. Deshalb hat auch die Weltorgani­sation für Meteorolog­ie (WMO) davor gewarnt, sich allein auf warmes Wetter zu verlassen. Man habe, so das dafür eingesetzt­e Expertente­am, in der bisherigen Pandemie gesehen, dass Infektions­wellen auch in warmen Jahreszeit­en und warmen Regionen ansteigen können, und es gebe „keinen Hinweis darauf, dass dies nicht wieder passieren könnte". 70 – vorher rangierte sie wochenlang um die 20. Dass spätestens im Herbst die indische Variante auch in Deutschlan­d dominieren­d sein wird, glaubt Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, genauso wie Carsten Watzl oder SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach. Watzl verweist darauf, dass der Anstieg in Großbritan­nien größtentei­ls auf Schulkinde­r zurückgehe.

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FOTO: FELIX KÄSTLE Forscher warnen trotz Hitze vor Corona-Varianten.

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