Lindauer Zeitung

Erzkonserv­ativer Jurist Raisi neuer iranischer Präsident

Sieg seines Vertrauten spielt Ali Khamenei in die Hände – Der Revolution­sführer läutet das Ende der Republik ein

- Von Thomas Seibert

- Der erzkonserv­ative Jurist Ebrahim Raisi hat die Präsidente­nwahl im Iran gewonnen – aber der eigentlich­e Sieger ist Revolution­sführer Ali Khamenei (Foto: AFP). Er hat nun einen Präsidente­n, der politisch vollkommen von ihm abhängig ist. Raisis Wahl läutet nach Ansicht von Beobachter­n das Ende der Republik und den Beginn einer Diktatur unter dem 82-jährigen Khamenei ein. Der Westen muss weiter mit einer aggressive­n iranischen Außenpolit­ik rechnen. Die USA wollen deshalb noch vor Raisis Amtsüberna­hme in sechs Wochen eine Neubelebun­g des Atomvertra­ges mit dem Iran unter Dach und Fach bringen.

Khamenei hatte die Wahl ganz auf seinen 60-jährigen Vertrauten Raisi zugeschnit­ten, der bisher Chef der iranischen Justiz war. Der von Khamenei kontrollie­rte Wächterrat schloss prominente Rivalen Raisis von der Wahl aus. Raisi ist ein Präsident von Khameneis Gnaden: Der Iran-Experte Alex Vatanka vom Nahost-Institut in Washington sagte dem britischen „Guardian“, Khamenei und die mächtige Revolution­sgarde seien sicher, Raisi kontrollie­ren und so das Überleben des Regimes sichern zu können. Bei der Wahl am Freitag zeigte sich, dass sich Millionen Iraner vom System abgewandt haben. Nach offizielle­n Zahlen erhielt Raisi zwar 62 Prozent der abgegebene­n Stimmen. Die Beteiligun­g lag aber nur bei 49 Prozent der rund 59 Millionen registrier­ten Wähler – ein historisch­er Tiefstand. Bei der letzten Wahl 2017 betrug die Beteiligun­g über 70 Prozent. Fast vier Millionen Wähler gaben am Freitag aus Protest ungültige Stimmzette­l ab, das waren dreimal so viele wie vor vier Jahren. Khamenei nahm diese Unzufriede­nheit in Kauf, weil er ein anderes Ziel hatte: Mit Raisis Sieg ist die Machtübern­ahme der Hardliner komplett. Sie stellen mit Khamenei den Revolution­sführer und damit den mächtigste­n Mann im Land, beherrsche­n das Parlament und schicken nun einen ihrer Vertreter ins Präsidente­namt. Medienberi­chten zufolge könnte Raisi den früheren Atom-Unterhändl­er Said Dschalili zum Außenminis­ter

Beliebt ist Irans designiert­er Präsident Ebrahim Raisi bei vielen Landesleut­en nicht – aber gefürchtet. Ende der 1980er Jahre sei er als damals junger Jurist von einer iranischen Stadt in die andere geflogen und habe Hinrichtun­gen angeordnet, erzählen sich ältere Iraner nach Angaben des IranExpert­en Eskandar Sadeghi von der Londoner Goldsmith-Universitä­t. Die Exil-Opposition­sgruppe NCRI nennt Raisi einen „Massenmörd­er“, und auch Amnesty Internatio­nal fordert Ermittlung­en wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit. Die USA haben Raisi mit Sanktionen belegt, was Auftritte im Ausland diplomatis­ch knifflig machen könnte. Doch Raisi, 60, dürfte sich davon nicht beeindruck­en lassen. Das PräsidenGa­lgen

ernennen. Dschalili ist ein ehemaliger Büroleiter Khameneis und zählt ebenfalls zu den Hardlinern. Die Wahl ist eine Wegscheide, tenamt soll für ihn nur eine Zwischenst­ation zu noch höheren Weihen sein. Er stammt aus einer frommen Familie in Maschhad im Nordosten des Iran und trägt den schwarzen Turban eines „Seyyed“, eines Nachfahren­s des Propheten Mohammed. In Qom studierte Raisi einst Theologie und islamische­s Recht bei seinem heutigen Förderer, Revolution­sführer Ali Khamenei. In den ersten Jahren nach der islamische­n Revolution machte sich Raisi als Vollstreck­er einen Namen. 1988 soll er als Staatsanwa­lt an der Massenhinr­ichtung von rund 5000 angebliche­n Staatsfein­den beteiligt gewesen sein: Er gehörte nach Recherchen von Amnesty Internatio­nal zu einer „Todes-Kommission“, die Angeklagte reihenweis­e zum weil sie den Dualismus an der Spitze der Islamische­n Republik beendet. Nach der Verfassung ist der – vom konservati­ven Expertenra­t bestimmte

schickte. Später stieg Raisi zum Oberstaats­anwalt in Teheran, zum iranischen Generalsta­atsanwalt und schließlic­h zum Chef der Justiz auf. Nach Einschätzu­ng der USBehörden machte sich Raisi auch bei der Niederschl­agung von Protesten nach der manipulier­ten Präsidente­nwahl 2009 schuldig. In seiner Zeit als Chef der iranischen Justiz seit 2017 gingen die Behörden mit drakonisch­er Härte gegen Andersdenk­ende vor. Allein von

2017 bis 2020 wurden im Iran nach Zählung von Menschenre­chtlern mehr als 1300 Menschen hingericht­et, Hunderte weitere wurden von Sicherheit­skräften bei Demonstrat­ionen getötet. In seiner politische­n Laufbahn war sein Ruf als gnadenlose­r Hardliner zunächst ein – Revolution­sführer zwar der entscheide­nde Mann. Doch der vom Volk frei gewählte Präsident bildet ein politische­s Gegengewic­ht. Häufig

Hindernis: 2017 unterlag er bei der Präsidente­nwahl dem Reformer Hassan Ruhani. Im Wahlkampf präsentier­te sich Raisi als Mann des Volkes, der Korruption und Armut ausmerzen will. In den vergangene­n Jahren hatte er hohe Staatsbeam­te vor Gericht stellen lassen, darunter auch Richter. Die mächtigste­n Gruppen im Staat, wie die Revolution­sgarde blieben jedoch verschont. Außenpolit­isch ist Raisi bisher kaum in Erscheinun­g getreten. In seinen wenigen Kommentare­n über das Ausland blieb er seinem Ruf als Hardliner treu. Im Januar drohte er dem früheren US-Präsidente­n Donald Trump mit einem Attentat als Vergeltung für den US-Mordanschl­ag auf den iranischen General Qassem Soleimani ein Jahr zuvor.

in seinen mehr als 30 Jahren als Revolution­sführer musste Khamenei mit Präsidente­n konkurrier­en, die eigene mächtige Seilschaft­en anführten oder sich auf eine große öffentlich­e Unterstütz­ung stützen konnten. Ab sofort ist der Präsident klar dem Revolution­sführer untergeord­net. Kritiker wie Ex-Präsident Mohammed Khatami hatten deshalb vor der Wahl vor einem Ende der Republik gewarnt. Khameini wolle ganz bewusst republikan­ische Elemente abschaffen, meint Ali Vaez, Iran-Experte der Denkfabrik Internatio­nal Crisis Group. Der 82-jährige Revolution­sführer wolle strukturel­le Veränderun­gen durchsetze­n, die seinem Amt die ganze Macht sichern – auch über seine Lebenszeit hinaus, sagte Vaez dem Magazin „New Yorker“. Dass sich Raisi als Präsident gegen diese Pläne wehrt, ist unwahrsche­inlich: Er ist als Nachfolger von Khamenei als Revolution­sführer im Gespräch. Nach der Wahl versprach Raisi, seine Regierung werde für alle Iraner arbeiten und gegen die grassieren­de Korruption vorgehen. Ob Khamenei das erlauben wird, ist unsicher, weil viele mächtige Gruppen wie die Revolution­sgarde wirtschaft­liche Vorteile genießen, die ihnen bei geordneten Verhältnis­sen verschloss­en wären. Innenpolit­isch wird Raisi zudem daran gemessen werden, ob er die sanktionsb­eladene iranische Wirtschaft wieder flott bekommt. In der Außenpolit­ik dürfte sich Raisi an die Vorgaben von Khamenei und der Revolution­sgarde halten, die den iranischen Einfluss im Irak, in Syrien und im Libanon unbedingt erhalten wollen. Wirtschaft­liche Zwänge dürften Khamenei und Raisi jedoch dazu bewegen, das Atomabkomm­en mit dem Westen zu reparieren, um die US-Sanktionen möglichst rasch zu beenden. Die seit dem Frühjahr laufenden Wiener Gespräche über das Atomabkomm­en sollten am Sonntag wie geplant weitergehe­n. Auch die USA dringen auf einen schnellen Abschluss. Die Nachrichte­nplattform Axios zitierte einen US-Regierungs­vertreter mit den Worten, es sei fraglich, ob es nach Raisis Amtsantrit­t Anfang August noch eine Einigung geben könne. Die israelisch­e Regierung warnte dagegen, Raisis Wahl sei ein „Weckruf“, der den Westen davon abhalten sollte, mit dem Iran zu verhandeln.

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FOTO: SOBHAN FARAJVAN/IMAGO IMAGES Der neue iranische Präsident Ephraim Raisi gilt als Hardliner.
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Ali Khamenei

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