Lindauer Zeitung

„Bargeld ist für die Deutschen mehr als ein Zahlungsmi­ttel“

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- Gerade in der Krise sind die Menschen sensibel bei Beschränku­ngen beim Bargeld, sagt Professori­n Julia Pitters (Foto: IU), Leiterin des Studiengan­gs Wirtschaft­spsycholog­ie an der IU Internatio­nalen Hochschule mit Sitz in Erfurt.

Dieter Keller hat sich mit Pitters über die Liebe der Deutschen zum Bargeld unterhalte­n.

Warum haben die Deutschen so ein enges Verhältnis zum Bargeld?

Es ist für die Deutschen mehr als ein Zahlungsmi­ttel, sondern Teil einer liebgewonn­enen Tradition. Wer Trinkgeld gibt oder Geldgesche­nke bekommt, verbindet damit einen höheren Wert als nur den reinen Geldwert. Es ist ein psychologi­sches Phänomen, dass wir bei Verlusten sensibler sind als bei Gewinnen. Wird das Bargeld weggenomme­n, empfinden wir den Verlust als größer als den Zugewinn,

wenn wir einfach digital bezahlen.

Spielt dort die Angst vor Inflation und Enteignung hinein?

Die ist bei den Deutschen stark verankert. Ich erinnere mich noch, dass meine Großeltern immer von der Inflation nach dem Zweiten Weltkrieg als etwas ganz Schrecklic­hem erzählt haben. Wenn wir ein Zahlungsmi­ttel haben, das sicher ist und sich bewährt hat, hängen wir daran.

Welche Rolle spielt da die Corona-Pandemie?

Eine Krise bedeutet immer Unsicherhe­it. Da greifen Menschen reflexarti­g zu dem, was sie kennen und was ihnen Sicherheit bietet. In Krisenzeit­en werden Menschen normalerwe­ise konservati­ver bei Anlagen. Dann horten sie viel Bargeld. In dieser Krise ist es etwas anders. Sie polarisier­t stark. Auch riskante Anlagen wie in Kryptowähr­ungen oder Aktien sind hoch.

Akzeptiere­n die Jungen eher Plastikgel­d als die Alten?

Sicher. Bargeld macht mit Menschen etwas ganz Spezifisch­es. Wenn wir es sehen, aktiviert es im Gehirn ein Belohnungs­system und macht uns automatisc­h fokussiert­er, ehrgeizige­r, egoistisch­er. Das sieht man schon bei kleinen Kindern. Wenn sie beobachten, dass ihre Eltern nur noch eine Karte ziehen, kann es sein, dass dieser Reiz von Bargeld verschwind­et.

Die EU will Barzahlung­en von 10 000 Euro an verbieten. Akzeptiere­n das die Deutschen?

Der Betrag an sich wäre für die meisten gar nicht so schlimm. Denn normalerwe­ise werden nur kleinere Summen mit Bargeld bezahlt. Aber es wäre eine weitere Einschränk­ung und Kontrolle. Das stößt auf Widerstand. Gerade jetzt in dieser unsicheren Zeit, wo alles digitalisi­ert wird.

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