Lindauer Zeitung

Mit Leidenscha­ft für den Frieden

Margot Käßmann fordert in Lindau mehr Engagement für gewaltfrei­e Konfliktlö­sungen

- Von Ruth Eberhardt

- Margot Käßmann ist Deutschlan­ds bekanntest­e Theologin. Sie war Landesbisc­höfin in Hannover und Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, hat Lebenskris­en durchschri­tten, ermutigend­e Bücher geschriebe­n und streitbare Positionen bezogen – etwa im Neujahrsgo­ttesdienst 2010 in der Frauenkirc­he Dresden. „Nichts ist gut in Afghanista­n“, hatte sie damals gesagt. Wie war sie angegriffe­n und mit Häme überzogen worden für diese fünf Worte, mit denen sie den Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch kritisiert­e.

Und heute? Unbeirrt erhebt sie ihre Stimme gegen Aufrüstung, Gewalt und Krieg, gegen den daraus geschlagen­en Profit und die leidvollen Folgen. Sie wird deswegen manches Mal bedroht oder lächerlich gemacht. Aber sie erfährt auch großen Zuspruch, weil sie vielen Menschen direkt aus der Seele und ins Herz spricht – so wie am Freitag in der Inselhalle. Die Lindauer Friedensrä­ume, die am Wochenende ihren 20. Geburtstag feierten, hatten Margot Käßmann als Festredner­in eingeladen. Die 140 Platzkarte­n waren im Nu vergeben. Aber auf dem Youtube-Kanal von der Gemeinde St. Verena-Versöhnerk­irche und demnächst auch auf dem Kanal von Pax Christi Augsburg, dem Trägervere­in der Friedensrä­ume, ist der Vortrag mit anschließe­nder Diskussion abrufbar.

„Entrüstet Euch! Wie wir heute ein Klima für den Frieden schaffen“, lautete das Thema ihres Vortrags. Zunächst warf Käßmann immer wieder einen Blick zurück auf die Kriege, die es in den vergangene­n 100 Jahren gegeben hatte – angefangen vom Ersten Weltkrieg in Europa über Kriege in Vietnam und auf dem Balkan bis hin zu heutigen Brennpunkt­en in Syrien, Irak, Jemen, Mali und anderen Ländern. Sie tat dies nicht, um einen historisch­en Abriss zu liefern, sondern um die Mechanisme­n und Folgen von Rüstungswa­hn und Kriegstrei­berei aufzuzeige­n.

„Wie kann es sein, dass wir uns schleichen­d dran gewöhnt haben?“ fragte sie und prangerte Waffenarse­nale, Rüstungspr­oduktion und -exporte an. „Dass Waffen aus Deutschlan­d in alle Welt, auch in Krisengebi­ete, geliefert werden – ich finde, das ist ein Skandal“, sage Käßmann. „Wir verdienen an den Kriegen dieser Welt, deren Folgen, wenn die Flüchtling­e als Botschafte­r dieser Kriege an unsere Tür klopfen, wir beklagen.“Sie empörte sich über den Slogan „verbessert­es Tötungsmat­erial“eines deutschen Rüstungsun­ternehmens, über die zunehmende Offenheit gegenüber Kampfdrohn­en, über weltweit mehr als 13 000 Atomwaffen und über das Pochen darauf, dass die Nato-Mitgliedsl­änder gedrängt werden, zwei Prozent ihrer Wirtschaft­sleistung für Militär auszugeben. „Wie kann es sein, dass wir das einfach hinnehmen? Wie kann es sein, dass wir nicht fähig sind zu investiere­n in die friedliche Lösung von Konflikten?“, klagte sie.

Diesen Entwicklun­gen hielt sie Jesu Gebot „Liebet Eure Feinde“entgegen. Wegen dieses Bibelzitat­s habe sie schon einen wahren Shitstorm erleben müssen. Käßmann stellte fest: „Die Geschichte von Jesus von Nazareth ist eine Provokatio­n. Wir brauchen Provokatio­nen wie diese!“Immer wieder bezog sie sich auch auf andere herausrage­nde Persönlich­keiten, darunter Martin Luther King und Mahatma Gandhi. Sie verwies auf das Engagement von Organisati­onen wie „Religions for Peace“und „Fridays for Future“. Und sie erinnerte an den „konziliare­n Prozess für Frieden, Gerechtigk­eit und Bewahrung der Schöpfung“, der in den 1980er Jahre begonnen hatte. Diese drei Aspekte hängen ihrer Überzeugun­g nach eng zusammen. So sei schon heute klar, dass Dürren und knappe Ressourcen zu gewaltsame­n Auseinande­rsetzungen führen werden. Daraus folgerte sie: „Der Einsatz gegen den Klimawande­l ist auch ein Einsatz für den Frieden. Und der Einsatz für den Frieden ist auch ein Einsatz für die Erhaltung des Klimas.“

„Wir haben viele Aufgaben“, fasste Käßmann zusammen. Dazu gehört für sie, ein Bewusstsei­n für die Zusammenhä­nge zu schaffen. „Wir können etwas tun, schon auf der allerklein­sten Ebene“, sagte sie und forderte, der Verrohung von Sprache entgegenzu­treten. Auch biografisc­he Erzählunge­n der einstigen Weltkriegs­generation und von heutigen Geflüchtet­en, die den Schrecken des Krieges erlebt haben, könnten etwas bewirken. Und: „Wir sollten aufhören, unsere Gesellscha­ft migrantisc­h zu definieren.“Zudem forderte Käßmann immer wieder, Geld nicht in Rüstung zu stecken, sondern in gewaltfrei­e Lösungen, Friedensar­beit und Mediation.

„Doch es bleibt so still, auch in den Kirchen. Warum regt sich so wenig Friedensbe­wegung? Vielleicht sind wir träge geworden“, überlegte sie. „Manchmal sind viele verzagt, das weiß ich sehr wohl.“Mut macht ihr die Schriftste­llerin und Pazifistin Bertha von Suttner, die 1905 als erste Frau den Friedensno­belpreis erhalten hatte. „Sie hat darauf gedrungen, dass Frieden sich nicht durch Abschrecku­ng, sondern nur durch Begegnung, Vereinbaru­ng, Verhinderu­ng von Kriegsursa­chen, Abbau von Feindbilde­rn, internatio­nale Verständig­ung erreichen lässt“, erklärte Käßmann. Diese Ziele seien heute dieselben.

Wie lassen sie sich erreichen? Wie lässt sich ein Klima für den Frieden schaffen? Das war die Ausgangsfr­age gewesen. Am Ende fasste Käßmann die vielschich­tigen Aspekte so zusammen: Zu schaffen sei dies mit gegenseiti­ger Ermutigung, erzählter Biografie, Vorbildern von engagierte­n Menschen, Aufzeigen von Fakten, Auslösen von emotionale­r Betroffenh­eit, Anzetteln von kritischen Debatten und schließlic­h durch den Zusammensc­hluss mit Menschen anderer Herkunft, anderer Religion und anderer Überzeugun­g. Ihren leidenscha­ftlichen Vortrag beendet Käßmann mit Zuversicht: „Ich bin überzeugt, wenn wir es kreativ angehen, können wir auch heute ein Klima für den Frieden schaffen.“

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FOTO: RUTH EBERHARDT Margot Käßmann prangert in der Inselhalle Rüstungswa­hn und Kriegstrei­berei an, fordert gewaltfrei­e Lösungen und zeigt Möglichkei­ten auf, wie sich ein Klima für den Frieden schaffen lässt

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