Lindauer Zeitung

Psychiater Dogs über den Umgang mit Neid

Warum wir Beziehunge­n nicht mit Erwartunge­n überfracht­en sollten

- Ich bin Mitte 40 und kenne meine enge Freundin seit Kindertage­n. Wir haben uns viele Jahre lang vieles anvertraut, auch Nöte und Sorgen aus Familie, Beruf und Partnersch­aft. Seit einiger Zeit hat sich etwas verändert. Sorgen und Nöte kommen in dem, was me

- Seine Klienten sind Menschen wie du und ich. Einige brauchen ihn als Psychiater, manche als Psychother­apeuten und wieder andere als Coach. Dr. Christian Peter Dogs lädt die Leser der „Lindauer Zeitung“dazu ein, ihm bei der Arbeit über die Schulter zu schauen und verspricht: „Bei vielen Fällen werden Sie manches von sich selbst wiedererke­nnen.“

Bei Freundscha­ften ist es wie bei Beziehunge­n: Man kann sie mit Erwartunge­n „erschlagen“. Freundscha­ft ist für uns Menschen ein zentrales Thema, manchmal noch wichtiger als Partnersch­aft. Deshalb lohnt es sich, sich mit diesem Thema intensiv auseinande­rzusetzen. Wir alle leben von sozialen Beziehunge­n. Ständig wird nachgewies­en, dass diese sowohl lebensverl­ängernd als auch lebenserfü­llend sind. Dass sie uns psychisch und physisch stabilisie­ren und – gerade in Corona-Zeiten – aufrecht halten, und sei es über Ozeane hinweg oder digitale Distanz.

Nehmen Sie sich einen Moment Zeit. Wenn Sie sich den Begriff Freundscha­ft einfach mal vor Ihrem inneren Auge vorstellen. Welche Begriffe assoziiere­n Sie? Frei herausgeda­cht entstehen bei mir Erwartunge­n wie: Zuverlässi­gkeit, unbedingte Solidaritä­t, Treue, Ehrlichkei­t, Verschwieg­enheit, Spaß miteinande­r haben, auch zusammen traurig sein können, Gefühle miteinande­r teilen, unbedingte­s Verständni­s, der Freund oder die Freundin ist immer da, vor allem in Zeiten der Not. Er oder sie akzeptiert mich genau wie ich bin und noch vieles mehr.

Stoppen wir hier mal die Assoziatio­nen. Wow, was für ein Bündel von Erwartunge­n habe ich an einen Freund und der an mich. Dadurch, dass wir Beziehunge­n überladen und idealisier­en, machen wir sie zu einem fragilen Geschöpf. Wir überfracht­en sie mit Erwartunge­n, die niemals von uns selbst und von anderen erfüllt werden können. Damit sind Enttäuschu­ngen programmie­rt.

Wenn Sie sich auf diese stille Assoziatio­n eingelasse­n haben, werden Sie feststelle­n, dass die wenigsten von uns bei einer Freundscha­ft auch ein Gleichgewi­cht der Problemlag­en erwarten. Sicher erwarten wir auch keinen Neid in der Freundscha­ft. Nein, das ist gerade oft der Gewinn einer guten Beziehung, dass es meiner Freundin gut geht, wenn ich hänge. Und sie mich dann stabilisie­ren könnte.

Das Fatale ist oft, dass Menschen, denen es gerade sehr gut geht, nicht mehr zuhören, sondern ihre Umgebung eher mit ihrer Harmonie überschütt­en. Ihre Freundin gehört offenbar dazu. Das führt bei Ihnen dazu, dass Sie Ihre Welt und Ihre Partnersch­aft als problemati­scher empfinden, als sie wahrschein­lich ist, weil sie mit dieser „Glücksboti­n“konfrontie­rt sind. Die Verdrängun­g, die uns im Alltag sonst so gut gelingt, wird schwierige­r.

Was also ist zu tun? Das könnte Ihnen etwas helfen: Sie freuen sich für Ihre Freundin, dass sie gerade in so einer guten Phase ist. Sagen ihr das auch, um Ihre Bindung zu verstärken, denn bei einer Freundin können Sie sich neidlos freuen. Sie machen gleichzeit­ig aber auch auf Ihre Bedürfniss­e aufmerksam, dass Sie Ihnen zuhören soll, weil Ihr Leben nicht so gut läuft, wie das ihre. Das müssen Sie deutlich sagen, sonst hört sie Sie nicht. Gleichzeit­ig machen Sie sich klar, dass Ihre Freundin Wunden triggert, weil Sie selbst gerne auch mal wieder eine solche Glücksphas­e hätten. Am Rande bemerkt: Solche Phasen sind selten, meistens vergänglic­h – und die Sehnsucht danach ist bei allen Menschen groß.

Und jetzt kommen wir zum Wichtigste­n: Kommen Sie wieder in Ihr Selbstvert­rauen und hören Sie auf, Ihr Leben mit dem Ihrer Freundin abzugleich­en. Der ständige Vergleich tötet jede Freundscha­ft – und übrigens auch jede Partnersch­aft.

Dr. Christian Peter Dogs ist Psychiater und ärztlicher Psychother­apeut, war 30 Jahre Chefarzt verschiede­ner psychosoma­tischer Fachklinik­en (unter anderem der Panorama Fachklinik in Scheidegg), Coach für Unternehme­r und Manager der ersten Führungseb­ene. Das Buch „Gefühle sind keine Krankheit: Warum wir sie brauchen und wie sie uns zufrieden machen“, das er zusammen mit der Stern-Redakteuri­n Nina Poelchau geschriebe­n hat, wurde zum Spiegelbes­tseller. Außerdem war er Kolumnist der Wirtschaft­swoche und des Stern. Ab sofort hat er auch in der LZ einen festen Platz. Online gibt es alle Teile der Kolumne unter:

www.schwaebisc­he.de/dogs

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Dr. Christian Peter Dogs: Psychiater, Arzt für Psychosoma­tik und Psychother­apeut.
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