Psychiater Dogs über den Umgang mit Neid
Warum wir Beziehungen nicht mit Erwartungen überfrachten sollten
- Seine Klienten sind Menschen wie du und ich. Einige brauchen ihn als Psychiater, manche als Psychotherapeuten und wieder andere als Coach. Dr. Christian Peter Dogs lädt die Leser der „Lindauer Zeitung“dazu ein, ihm bei der Arbeit über die Schulter zu schauen und verspricht: „Bei vielen Fällen werden Sie manches von sich selbst wiedererkennen.“
Bei Freundschaften ist es wie bei Beziehungen: Man kann sie mit Erwartungen „erschlagen“. Freundschaft ist für uns Menschen ein zentrales Thema, manchmal noch wichtiger als Partnerschaft. Deshalb lohnt es sich, sich mit diesem Thema intensiv auseinanderzusetzen. Wir alle leben von sozialen Beziehungen. Ständig wird nachgewiesen, dass diese sowohl lebensverlängernd als auch lebenserfüllend sind. Dass sie uns psychisch und physisch stabilisieren und – gerade in Corona-Zeiten – aufrecht halten, und sei es über Ozeane hinweg oder digitale Distanz.
Nehmen Sie sich einen Moment Zeit. Wenn Sie sich den Begriff Freundschaft einfach mal vor Ihrem inneren Auge vorstellen. Welche Begriffe assoziieren Sie? Frei herausgedacht entstehen bei mir Erwartungen wie: Zuverlässigkeit, unbedingte Solidarität, Treue, Ehrlichkeit, Verschwiegenheit, Spaß miteinander haben, auch zusammen traurig sein können, Gefühle miteinander teilen, unbedingtes Verständnis, der Freund oder die Freundin ist immer da, vor allem in Zeiten der Not. Er oder sie akzeptiert mich genau wie ich bin und noch vieles mehr.
Stoppen wir hier mal die Assoziationen. Wow, was für ein Bündel von Erwartungen habe ich an einen Freund und der an mich. Dadurch, dass wir Beziehungen überladen und idealisieren, machen wir sie zu einem fragilen Geschöpf. Wir überfrachten sie mit Erwartungen, die niemals von uns selbst und von anderen erfüllt werden können. Damit sind Enttäuschungen programmiert.
Wenn Sie sich auf diese stille Assoziation eingelassen haben, werden Sie feststellen, dass die wenigsten von uns bei einer Freundschaft auch ein Gleichgewicht der Problemlagen erwarten. Sicher erwarten wir auch keinen Neid in der Freundschaft. Nein, das ist gerade oft der Gewinn einer guten Beziehung, dass es meiner Freundin gut geht, wenn ich hänge. Und sie mich dann stabilisieren könnte.
Das Fatale ist oft, dass Menschen, denen es gerade sehr gut geht, nicht mehr zuhören, sondern ihre Umgebung eher mit ihrer Harmonie überschütten. Ihre Freundin gehört offenbar dazu. Das führt bei Ihnen dazu, dass Sie Ihre Welt und Ihre Partnerschaft als problematischer empfinden, als sie wahrscheinlich ist, weil sie mit dieser „Glücksbotin“konfrontiert sind. Die Verdrängung, die uns im Alltag sonst so gut gelingt, wird schwieriger.
Was also ist zu tun? Das könnte Ihnen etwas helfen: Sie freuen sich für Ihre Freundin, dass sie gerade in so einer guten Phase ist. Sagen ihr das auch, um Ihre Bindung zu verstärken, denn bei einer Freundin können Sie sich neidlos freuen. Sie machen gleichzeitig aber auch auf Ihre Bedürfnisse aufmerksam, dass Sie Ihnen zuhören soll, weil Ihr Leben nicht so gut läuft, wie das ihre. Das müssen Sie deutlich sagen, sonst hört sie Sie nicht. Gleichzeitig machen Sie sich klar, dass Ihre Freundin Wunden triggert, weil Sie selbst gerne auch mal wieder eine solche Glücksphase hätten. Am Rande bemerkt: Solche Phasen sind selten, meistens vergänglich – und die Sehnsucht danach ist bei allen Menschen groß.
Und jetzt kommen wir zum Wichtigsten: Kommen Sie wieder in Ihr Selbstvertrauen und hören Sie auf, Ihr Leben mit dem Ihrer Freundin abzugleichen. Der ständige Vergleich tötet jede Freundschaft – und übrigens auch jede Partnerschaft.
Dr. Christian Peter Dogs ist Psychiater und ärztlicher Psychotherapeut, war 30 Jahre Chefarzt verschiedener psychosomatischer Fachkliniken (unter anderem der Panorama Fachklinik in Scheidegg), Coach für Unternehmer und Manager der ersten Führungsebene. Das Buch „Gefühle sind keine Krankheit: Warum wir sie brauchen und wie sie uns zufrieden machen“, das er zusammen mit der Stern-Redakteurin Nina Poelchau geschrieben hat, wurde zum Spiegelbestseller. Außerdem war er Kolumnist der Wirtschaftswoche und des Stern. Ab sofort hat er auch in der LZ einen festen Platz. Online gibt es alle Teile der Kolumne unter:
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