Die Gefahr lauert in der Höhe
Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft startet im Oberallgäu das Projekt „Weg von der Leiter“
- Laub aus der Dachrinne herausholen, die reifen Äpfel vom Baum pflücken oder eine Lampe an der Zimmerdecke installieren: viele Arbeiten in einigen Metern Höhe erledigen Menschen auf Leitern. „Leitern sind aber brandgefährlich“, sagt Alois Schilling. Er ist Präventionsberater der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG).
Gerade in diesen Berufsgruppen seien Leitern regelmäßig im Einsatz – und führen regelmäßig zu Verletzungen und Schlimmerem. Schilling nennt Zahlen: Seit 2015 wurden der Berufsgenossenschaft deutschlandweit jedes Jahr zwischen 1900 und 2200 Leiterunfälle gemeldet. Neun davon endeten 2019 tödlich. „Und viele nutzen Leitern ja auch privat“, ergänzt Schilling. Die Berufsgenossenschaft startet deshalb das Pilotprojekt „Weg von der Leiter“in vier Landkreisen in Bayern – darunter das Oberallgäu.
Ziel des Projekts ist es, möglichst oft auf den Einsatz von Leitern zu verzichten. „Das Problem ist, dass viele sich erst gar keine Gedanken über Alternativen machen“, sagt Schilling. Die SVLFG nennt auf ihrer Website deshalb Beispiele. So können einige Arbeiten mit leichten Veränderungen vom Boden gemacht werden. Menschen könnten ihre Bäume und Hecken etwa mit Teleskopsägen und -scheren mit ausfahrbaren Griffen zurückschneiden. Hausbesitzer können Regenrinnen vom Boden aus mit einer Sprühlanze freispritzen. Allgemein gelte: Wo es der Platz zulässt, sollen Leitern durch Treppen, im besten Fall mit Handlauf, ersetzt werden – etwa um auf einen Zwischenboden, den Heustock oder das Hochsilo hinauf zu kommen.
„Die meisten Unfälle passieren, wenn man schnell mal was reparieren will“, sagt Cordula Epp. Sie ist gefragt, wenn ein Landwirt im Oberallgäu krankheits- oder verletzungsbedingt – beispielsweise nach einem Sturz von einer Leiter – nicht mehr arbeiten kann. Die Mitarbeiterin des Maschinenrings vermittelt dann Betriebshelfer, die währenddessen die Arbeit auf den Bauernhöfen verrichten.
„Im März ist ein Mann acht Meter vom Dach gestürzt und hat sich schwer verletzt. Vergangenes Jahr wollte ein anderer Fensterläden reparieren, dabei ist die Leiter umgefallen. Und vor zwei Jahren hat sich ein Landwirt beide Beine gebrochen, als er in der Abladegrube von einer Leiter gefallen ist“, zählt sie auf. Viele solcher Unfälle hätten durch den Einsatz von Hebebühnen oder ähnlichem verhindert werden können, ist Epp überzeugt.
Präventionsberater Schilling sagt dazu: „Die meisten Landwirte haben inzwischen Schlepper mit Frontlader.“Diese könnten problemlos mit sicheren Arbeitskörben ausgestattet werden. Im Gegensatz zu eigenen Hubarbeitsbühnen sei der Kauf eines Frontlader-Arbeitskorbs für Landwirte auch finanziell machbar, sagt Erich Krug, Geschäftsführer des Bayerischen Bauernverbands in Lindau und dem Oberallgäu.
Schirmherrin des Pilotprojekts ist die Europaabgeordnete Ulrike Müller (Freie Wähler). „Wir werden damit sicherlich nicht die Leiter abschaffen, aber wir können marode und unsichere Leitern aus dem Verkehr ziehen und die Menschen für die Risiken sensibilisieren“, sagt sie. In einem ersten Schritt will die SVLFG nun etwa 10 000 Mitgliedsbetriebe im Oberallgäu anschreiben und auf Wunsch telefonisch oder vor Ort zu Leiteralternativen beraten.