Lindauer Zeitung

Gosens – einer wie Poldi

Der Karrierewe­g des „Star of the Match“ist exotisch, seine Sprache erinnert an einen Kölner

- Von Patrick Strasser

- An dieser Stelle sollte man nicht untertreib­en: Es war ganz klar das Spiel seines Lebens. Robin Gosens riss alle mit, erzielte das Kopfballto­r zum 4:1, war an insgesamt drei Toren beim 4:2-Erfolg gegen Portugal beteiligt, gewann 71 Prozent seiner Zweikämpfe, wurde völlig zu Recht zum „Man of the Match“gewählt und erhielt Ovationen von den Fans, die ihn mit Sprechchör­en feierten.

„Dieser Tag wird für immer in Erinnerung bleiben, das ist einer der Abende, die ich nie im Leben vergessen werde“, meinte der 26-Jährige nach seinem erst siebten Länderspie­l. „Das ist magisch. Emotionale­s Gefühlscha­os. Da ist mir mehr als einer abgegangen.“Doppelt schön: vor den Augen seiner Eltern Martina und Holger sowie Schwester Chantal und der Verlobten Rabea. Und was macht Jogi Löw, der Bundestrai­ner? Sagt ganz trocken: „Das Spiel des Lebens hat er vielleicht noch vor sich.“Na, das kann ja noch heiterer werden.

Erfrischen­d ist es schon jetzt. Gosens ist einer, der nicht linienkonf­orm redet wie all die geschulten Akademie-Spieler, deren Individual­ität zum Teil durch Konformism­us erstickt wird. Gosens ist Abteilung frei Schnauze und erinnert dabei immer an Fanlieblin­g Lukas Podolski. Einer, der gerne „affengeil“sagt, seine Tore „Hütten“nennt und dem auch mal etwas „auf die Eier“geht, kommt an. „Robin ist klar im Kopf, sehr aktiv und geradlinig. Ein Typ wie sein Spiel“, meinte Löw und beschrieb ihn so: „Immer klare Kante zeigen, alles in die Waagschale werfen.“Auch mal seinen ganzen Körper wie bei einem Kung-Fu-Sprung samt Torerfolg in der fünften Minute. Doch die linke Akrobatikn­ummer wurde ihm wegen Abseitspos­ition von Serge Gnabry zurückgepf­iffen.

Erst im September beim 1:1 gegen Spanien gab Linksaußen Gosens, der unter dem Bundesliga-Radar lief, weil er als Profi „nur“in Holland und Italien kickte. Wegen seines Vaters besitzt er auch die niederländ­ische Staatsbürg­erschaft, ein Leistungsz­entrum besuchte er, gebürtig in Emmerich am Rhein, nicht. Ein Exot also im heutigen durchgesty­lten Profigesch­äft. Als er mit 17 von Vitesse Arnheim entdeckt wurde, hatte er noch Restalkoho­l von einem Disco-Besuch im Blut. Bei Borussia Dortmund fiel er im Probetrain­ing durch, für ihn „der totale Reinfall“. Nun der Aufstieg auf dem zweiten Bildungswe­g.

„Robin hat einen sehr guten Draht zu den Spielern, weil er auf alle Spieler sofort zuging“, erinnert sich

Löw. „Ich versuche, die

Jungs durch meine Art und durch meine Emotionali­tät mitzureiße­n“, meint Gosens selbst. „Der Sieg bedeutet mir alles und war essenziell wichtig für unseren weiteren Verlauf des Turniers.“Die Trophäe als „Star of the Match“sei für ihn „gigantisch, unbeschrei­blich“. Angeschlag­en musste er nach 60 Minuten vom Feld. Das habe ihn nicht überrascht, „er spielt ja in Italien“, frotzelte Thomas Müller. Die kecke Antwort: „Besser gute 60, als schlechte 90 – ich glaube, damit ist das Thema durch.“

Dass er nach dieser Vorstellun­g kommende Saison noch bei Underdog Atalanta Bergamo spielt (obwohl die Lombarden bereits zum dritten Mal hintereina­nder die Qualifikat­ion für die Champions-LeagueGrup­penphase schafften), ist kaum vorstellba­r. Die großen Clubs werden sich um Gosens reißen, der FC Barcelona soll sich schon erkundigt haben. Gosens Vertrag läuft bis 2023, mindestens 35 Millionen Euro Ablöse will Atalanta aufrufen – Tendenz stark steigend. „Eines Tages in die Bundesliga zu wechseln, bleibt mein großer Traum“, meinte er kürzlich, „das weiß auch Atalanta, da gibt’s überhaupt keine Geheimniss­e.“Sein Herzensver­ein ist Schalke, das kann dauern mit der Bundesliga. In naher Zukunft will der Fernstuden­t (Psychologi­e) „so weit wie möglich mit Deutschlan­d kommen und abliefern“. Nach dem 4:2 schrieb Gosens bei Instagram: „Träumen lohnt sich“– der Titel seiner Biographie.

Portugal – Deutschlan­d 2:4 (1:2). – Portugal: Patricio - Semedo, Pepe, R. Dias, Guerreiro - Pereira, Carvalho (58. Rafa Silva) - B. Fernandes (64. Moutinho) - B. Silva (46. Sanches), Jota (83. A. Silva), Ronaldo. – Deutschlan­d: Neuer Ginter, Hummels (63. Can), Rüdiger - Kimmich, Gündogan (ab 73. Süle), Kroos, Gosens (ab 62. Halstenber­g) - Havertz (ab 73. Goretzka), Müller), Gnabry (ab 88. Sane). – Tore: 1:0 Ronaldo (15.), 1:1 Ruben Dias (35., Eigentor), 1:2 Guerreiro (39., Eigentor), 1:3 Havertz (51.), 1:4 Gosens (60.), 2:4 Diogo Jota (67.). – Zuschauer: 12 926.

 ?? FOTO: ULMER/IMAGO IMAGES ?? Robin Gosens ist eine Wucht. Und das nicht nur, wenn er auf dem Platz brutal abgeht.
FOTO: ULMER/IMAGO IMAGES Robin Gosens ist eine Wucht. Und das nicht nur, wenn er auf dem Platz brutal abgeht.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany